Algorithmus sagt Erdbeben voraus

Zielgenaue Warnungen kurz vor Erdbeben könnten viele Menschenleben retten. Amerikanische Forscher haben jetzt einem Algorithmus beigebracht, tatsächlich Erdbeben rechtzeitig zu erkennen – bislang aber nur im Labor.

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  • TR Online
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Erdbeben forden erschreckend viele Todesopfer – jedes Jahr sterben rund 10.000 Menschen bei diesen Katastrophen und ihren Folgen. Bertrand Rouet-Leduc vom Los Alamos National Laboratory in New Mexiko und seine Kollegen haben vor diesem Hintergrund eine interessante Entdeckung gemacht. Sie trainierten einen Maschinenlern-Algorithmus darauf, die akustischen Signale zu erkennen, die vor einem künstlichen Erdbeben im Labor entstehen. Bezüglich der Übertragung auf echte Erdbeben ist das Team vorsichtig, doch zumindest eröffnet die Arbeit neue Forschungswege auf dem Gebiet.

Geologen sind seit langem in der Lage, das ungefähre Risiko für ein Erdbeben zu berechnen. Dazu ermitteln sie, wann es in der Vergangenheit Plattenbewegung gegeben hat und nutzen mögliche Regelmäßigkeiten für Voraussagen. Solche Prognosen sind nützlich, um beispielsweise Bauvorschriften in Regionen durchzusetzen, die als erdbebengefährdet bekannt sind. Zur Verhinderung von Todesfällen, wenn sich ein Beben ereignet, tragen sie jedoch nichts bei – dazu würden Vorhersagen über wenige Tage benötigt.

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Die Arbeit von Rouet-Leduc und seinen Kollegen könnte solche Prognosen einen Schritt näher gebracht haben. Die Forscher erzeugten im Labor künstliche Erdbeben, indem sie an einer Platte zogen, die zwischen zwei anderen eingeklemmt war. An der Schnittfläche zwischen den Platten platzieren sie eine Mischung aus steinigem Material, um die Eigenschaften von echten Spannungslinien zu simulieren.

Solche künstlichen Erdbeben-Systeme sind intensiv erforscht. Geologen wissen, dass das Material Im Spalt zu zerbröseln beginnt, wenn ein Erdbeben naht, und dabei ist Knacken und Knirschen zu hören. Quasi-regelmäßig beginnt die mittlere Platte dann zu rutschen. Ein solches System hat Ähnlichkeiten mit einem echten Erdbeben. So entspricht die Größenverteilung der einzelnen Stöße der bei echten Beben. Es entstehen viele kleine Stöße und nur wenige große – diese Verteilung entspricht der weithin bekannten Gutenberg-Richter-Beziehung. Also sind Geologen zuversichtlich, dass solche Systeme das Geschehen in der echten Welt zumindest teilweise korrekt wiedergeben.

Damit stellt sich die Frage, ob die registrierten Geräusche genutzt werden können, um den nächsten Ruck vorherzusagen. Bislang hat noch niemand entsprechende Muster darin entdeckt. Rouet-Leduc und Kollegen luden die akustischen Emissionen ihres Experiments deshalb in einen Maschinenlern-Algorithmus. Sie wollten sehen, ob die Maschine Muster entdecken kann, die von Geologen bislang übersehen wurden. Und tatsächlich war es so.

Die Ergebnisse sind überraschend. Die Forscher fütterten den Algorithmus mit einem gleitenden Fenster von akustischen Emissionen und baten ihn, zu jedem Moment die Wahrscheinlichkeit eines Erdbebens anzugeben. Zu ihrem Erstaunen lieferte der Computer präzise Vorhersagen selbst dann, wenn kein Erdbeben bevorstand. "Wir zeigen, dass Maschinenlernen durch die Auswertung des akustischen Signals einer Spannungslinie im Labor die verbleibende Zeit bis zu ihrem Versagen vorhersagen kann", schreiben sie.

Wie das funktioniert, ist rätselhaft. Rouet-Leduc und Co. bieten als Hypothese an, die Vorläufer von Erdbeben seien möglicherweise deutlich kleiner als bislang angenommen, so dass sie in der Realität üblicherweise nicht registriert werden. Die Maschine scheint ein vollkommen neues Signal entdeckt zu haben, das Geologen in ihren bisherigen Erdbeben-Experimenten als Rauschen abgetan hatten. "Unsere Maschinenlern-Analyse bietet neue Erkenntnisse über die Physik des Rutschens", schreiben Rouet-Leduc und die anderen Forscher.

Die erste und offensichtlichste Frage, die sich stellt, ist natürlich, ob sich die Technik auf echte Erdbeben übertragen lässt. Genau das will das Team als Nächstes überprüfen, und zwar bei Erdbeben, die solchen im Labor am ähnlichsten sind. Die Möglichkeit dazu soll sich in Parkfield in Kalifornien finden, wo es in relativ kurzen Abständen immer wieder zu Beben kommt. Die Forscher hoffen darauf, dass hier ähnliche Geräusche entstehen wie bei ihrem Experiment mit künstlichen Platten.

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