So schön kann der Status quo sein – Seite 1
Eigentlich müsste man jetzt die Europahymne
singen. In Straßburg haben die Abgeordneten des EU-Parlaments am Donnerstag das
freie Internet verteidigt. Das mag pathetisch klingen. Aber das Nein der Abgeordneten dazu, mit dem vom eigenen Rechtsausschuss bereits abgesegneten Entwurf zur geplanten
Urheberrechtsreform in Verhandlungen mit der Kommission und dem Rat
einzutreten, ist mehr als nur eine gewöhnliche bürokratische Abstimmung. Die
Mehrheit des Parlaments hat sich damit auf die Seite der Netzaktivisten
gestellt, aber auch der Tech-Verbände – und eben auch gegen die europäischen Verlegerverbände.
Für Nutzerinnen und Nutzer bedeutet das: Vorerst bleibt im Netz alles beim Alten. Wir können weiter Links auf Facebook teilen, Auszüge aus Artikeln twittern oder Memes hochladen. Das klingt zunächst wahnsinnig unspektakulär, aber manchmal vergisst man die Schönheit des Status quo: Ein wesentlicher Teil der heutigen Netzkultur besteht darin, dass man Dinge miteinander teilen kann. Dass Leute Bilder mit witzigen Sprüchen versehen und sie im Internet verbreiten, dass jede von uns aus klugen Texten zitieren kann oder Menschen ganze Diskussionen mit nichts als animierten Gifs aus Filmen führen können.
Noch gibt es keinen Grund zum Feiern
Wäre der Parlamentsentwurf in seiner jetzigen
Form inklusive des vorgesehenen Leistungsschutzrechts und der Einführung von Uploadfiltern
durchgewunken worden, hätte er diese alltäglichen Freuden deutlich
erschwert. Womöglich hätten Privatpersonen wegen Urheberrechtsverletzungen verklagt werden können, Uploadfilter
hätten das Erstellen eines potenziellen Memes bereits nach dem Hochladen verhindert.
Die Entscheidung des EU-Parlaments sollte Nutzerinnen und Nutzer freuen.
Noch gibt es aber keinen Grund zum Feiern. Die
EU-Urheberrechtsreform ist nur verschoben worden – sie kann immer noch in der
Form kommen, in der sie entworfen wurde. Nun können die Fraktionen im
EU-Parlament Änderungsvorschläge einbringen, mutmaßlich ab September wird über
diese diskutiert werden. Sie könnten den bestehenden Entwurf abmildern, aber
auch verschlimmbessern. Die Diskussion ist jetzt erst mal nur neu eröffnet.
Bei aller Kritik an dem derzeitigen Entwurf
darf man nicht vergessen, dass eine Reform des EU-Urheberrechts überfällig ist.
Die bisherige Regelung stammt aus dem Jahr 2001, von heute aus betrachtet den
Urzeiten des Internet. Damals gab es soziale Netzwerke wie Facebook und Twitter
noch nicht, auch keine Videoplattformen wie YouTube oder Nachrichtenaggregatoren
wie Google News. Die Reform soll und muss das Urheberrecht an die veränderte Situation
anpassen. Dass die Initiative dazu überhaupt erst 2016 angestoßen wurde, ist einer
der erstaunlicheren Nebenaspekte der Debatte.
Strittig bleiben werden vor allem Artikel 11
und 13: das Leistungsschutzrecht und die Uploadfilter. Verlage, die in europäischen Presseverbänden organisiert sind, erhoffen sich vom Leistungsschutzrecht, dass Artikel im Internet nicht mehr ausschnittweise
von Dritten kopiert und anschließend kostenfrei weiterverbreitet werden können. Ihre
Argumentation: Wenn Google News einen Teaser oder einen Titel übernimmt und
damit Geld verdient, soll die Suchmaschine auch Anteile an die Rechteinhaber des
Textes zahlen.
Unsicherheitsfaktor Uploadfilter
Für Nutzer würde das aber Rechtsunsicherheiten mit sich bringen, weil sich die Frage stellt, wann sie gegen das Leistungsschutzrecht verstoßen. Zwar betont der CDU-Politiker Axel Voss, Autor des aktuellen Reformentwurfs des EU-Parlaments, dass der Einzelne nicht betroffen sein werde. Allerdings fehlt ein klarer Passus dazu in seinem Papier. Theoretisch könnte es sein, dass Nutzerinnen einen Text verlinken und dann zur Kasse gebeten werden – weil der Link in der Vorschau Titel und Teaser anzeigt, also geistiges Eigentum der Verlage.
Unsicherheit bringen auch die Uploadfilter. Was
eine Urheberrechtsverletzung ist und was nicht, das würden künftig Plattformen
wie YouTube oder Facebook entscheiden. Wenn ein Gif eine Passage aus einem
urheberrechtlich geschützten Film oder ein Meme ein urheberrechtlich
geschütztes Bild enthält, könnten sie das Hochladen stoppen. Gegner der Reform
kritisieren, dass diese Entscheidungen in die Meinungsfreiheit des Einzelnen
eingreifen würden – und in das Verständnis eines offenen und freien Internets.
Die Gegenbewegung darf nicht versiegen
Dass all diese Punkte bislang ungeklärt sind,
wirft die Frage auf, wieso dieser Vorschlag zur EU-Urheberrechtsreform nicht bereits
viel früher ausgebremst wurde. Wieso nicht schon der Rechtsausschuss auf die
Idee gekommen ist, dass der Entwurf noch Veränderungen oder zumindest größerer Klarheit
bedarf. Wieso die Netzverbände von CDU, CSU und SPD erst nach der Abstimmung in diesem
Parlamentsgremium auf die Idee kamen, sich in einem offenen Brief gegen die
Reform in der vom Rechtsausschuss bereits verabschiedeten Form auszusprechen.
Als hätte man die Diskussion nicht schon seit zwei Jahren führen können; als
hätte man die Auswirkungen nicht schon abschätzen können; als
hätte man die Unsicherheiten nicht schon längst klären können.
Auch wenn die Abgeordneten dem EU-Parlament noch rechtzeitig das Mandat für die anstehenden Verhandlungen mit Kommission und Rat entzogen haben, die wohl zu einer baldigen Verabschiedung der Urheberrichtlinie ungefähr in der aktuellen Version geführt hätten, darf die Diskussion darum mit der Abstimmung am Donnerstag nicht wieder versiegen. Die Gegner der Reform müssen sich jetzt erst recht damit befassen, wie eine Richtlinie aussehen kann, die sowohl Urheber schützt als auch das freie Internet bewahrt. Bevor wir also alle in EU-Euphorie verfallen, heißt es erst einmal: zurück an die Arbeit.
Eigentlich müsste man jetzt die Europahymne
singen. In Straßburg haben die Abgeordneten des EU-Parlaments am Donnerstag das
freie Internet verteidigt. Das mag pathetisch klingen. Aber das Nein der Abgeordneten dazu, mit dem vom eigenen Rechtsausschuss bereits abgesegneten Entwurf zur geplanten
Urheberrechtsreform in Verhandlungen mit der Kommission und dem Rat
einzutreten, ist mehr als nur eine gewöhnliche bürokratische Abstimmung. Die
Mehrheit des Parlaments hat sich damit auf die Seite der Netzaktivisten
gestellt, aber auch der Tech-Verbände – und eben auch gegen die europäischen Verlegerverbände.