Wirtschaftspolitik:Es war einmal ein "Neuland"

FILE PHOTO: A Kuka technician programs a robot arm of German industrial robot maker Kuka in Hanover

Globalisierung? Ist vorbei. Heute geht es darum, strategisch wichtige Industrien der Kontrolle fremder Mächte zu entziehen.

(Foto: Wolfgang Rattay/Reuters)

Die Staaten versuchen, die Kontrolle über das Digitale zurück zu gewinnen und leisten Widerstand gegen das Silicon Valley. Sogar Deutschland bemüht sich plötzlich um digitale Souveränität.

Von  Evgeny Morozov

Im Händeringen über den unvermeidlichen Aufstieg von Nationalismus und Populismus übersieht man leicht etwas Wichtiges: In den vergangenen zwei Jahren hat sich die öffentliche Meinung überraschend, aber höchst nützlich verschoben. Offenbar kann sogar Donald Trump - entgegen seinen Absichten - manchmal eine gute Nachricht für die Welt bedeuten. Denn nirgends ist diese Verschiebung spürbarer als in der Art und Weise, wie wir mit politischen Dilemmata umgehen, die Technologien betreffen.

Die Idee des Digitalen - dieses magischen, unerreichbaren Reichs, das allen Wohlstand und Erfolg versprach, eine Disruption nach der nächsten - ist heutzutage tot. Es sind nicht mehr die reichen Hippies, die die unangenehmen Fragen zu neuen Technologien im Wired-Magazin oder auf Ted-Talks stellen; stattdessen kehren diese Fragen zurück in ihr eigentliches Reich, das des internationalen Handels, des nationalen Wirtschaftswachstums und der nationalen Sicherheit.

Was können wir noch von den Propheten des Digitalen über die Welt da draußen lernen? Nicht viel, sagt der heutige Konsens. Amen! Und damit kommen die Regierungen, die in der Vergangenheit ins digitale Zeitalter eher zu stolpern schienen, zurück auf den Plan. Sie wollen mitmischen und bestehen auf ihrer eigenen technologischen Souveränität.

Die Verteidigungsministerin von Frankreich will den Kontakt zu US-Komponenten senken

China hat dank eines neuen Cybersecurity-Gesetzes weltweit viel Aufmerksamkeit erfahren. Auch weil es auf die globale Vormachtstellung in Sachen künstliche Intelligenz pocht. Die Chinesen sind jedoch nicht die Einzigen, die ihre eigene technische Agenda vorantreiben. Russland hat kürzlich Pläne verlauten lassen, nach denen russische Beamte nur noch in Russland produzierte Handys mit russischer Software benutzen dürfen. Um das in Gang zu setzen, hat Rostelekom, der staatlich kontrollierte Telekommunikationsgigant Russlands, zwei Firmen aufgekauft, die hinter Sailfish OS stehen, einem mobilen Betriebssystem, das ursprünglich von Nokia entwickelt wurde.

Indien will, zum Ärger von US-amerikanischen Unternehmen, dass ausländische Tech- und Finanzfirmen ihre Daten lokal speichern - vorgeblich aus Gründen der nationalen Sicherheit. Damit macht Indien aber auch deutlich, dass es für das Land wichtig ist, die eigene technologische Souveränität aufrechtzuerhalten. Einige indische wirtschaftliche Schwergewichte, die bereits in enger Partnerschaft mit chinesischen Tech-Giganten kooperieren, begrüßten diesen Vorstoß. Sie hoffen, dass er sie auf Augenhöhe mit US-Tech-Plattformen bringt.

Der italienischen Regierung, also der Koalition zwischen der Fünf-Sterne-Bewegung und Salvinis Lega, sind Kontroversen und schädliche politische Strategien gewiss nicht fremd. Nun bewegte sie sich in eine ähnliche Richtung, und zwar als sie versprach, den Verkauf des italienischen Telekommunikationsanbieters Sparkle zu verhindern. Bemerkenswert ist, dass die Idee von technologischer Souveränität auch für solche Länder attraktiv scheint, die sich, zumindest nominell, als weltoffene und internationale Alternativen zu Trumps nationalistischem Projekt gerieren: Frankreich und Deutschland.

Die deutsche Kanzlerin hat ihren Kurs vollkommen geändert

So kündigte die französische Verteidigungsministerin Florence Parly an, sie wolle Frankreichs Kontakt zu US-Komponenten senken. Französische Nachrichtendienste suchen derweil nach Alternativen zu den Dienstleistungen von Peter Thiels Palantir, einer Firma mit engen Verbindungen nach Washington. Ende Juli hat ein Parlamentsabgeordneter aus Emmanuel Macrons Partei bei der Regierung angefragt, ob sie eine Kommission zur digitalen Souveränität einrichten würden, damit, nach seinen Worten, die französischen Institutionen mehr Autonomie gegenüber den allmächtigen US-Tech-Firmen behaupten können.

Deutschland, dessen Kanzlerin vor fünf Jahren das Internet noch als "Neuland" bezeichnete, hat seinen Kurs ebenfalls vollkommen geändert. Nachdem man in Berlin gesehen hat, wie die Früchte der eigenen Robotik- und Technologie-Industrie von ausländischen - insbesondere chinesischen - Investoren geerntet wurden, zögert Deutschland nicht mehr, von seinem Vetorecht Gebrauch zu machen und Firmenkäufe zu verhindern. Außerdem zieht man in Erwägung, einen nationalen Fonds einzurichten, um vor allem Anteile von wichtigen deutschen Tech-Firmen erwerben zu können. Ein Sprecher des Wirtschaftsministeriums verneinte das zwar, sagte jedoch, dass die Regierung durchaus über Mechanismen nachdenke, um die technologische Souveränität der deutschen Industrie zu sichern. Eine Vereinbarung zwischen dem Innenministerium und dem größten deutschen Wirtschaftsverband lobte kürzlich die Möglichkeiten einer Produktentwicklung, die Deutschlands Abhängigkeit von ausländischen Technologien senkt.

Der Ton ist rauer geworden

Wenn man nicht für technologische Souveränität ist, wofür dann? Früher war die übliche Antwort: Globalisierung und Welthandel. Heute predigt jedoch keine Regierung mehr eine weitere Liberalisierung des Daten-, Software- oder Hardware-Markts. Alle Staaten sind nun gezwungen, zwischen zwei Optionen zu wählen: die technologische Souveränität wieder zu behaupten - oder nichts zu tun, entweder weil es an guten Ideen fehlt, an Macht oder wegen anhaltender innenpolitischer Kämpfe (wie in Großbritannien).

Der Ton, in dem die aktuellen Technologiedebatten geführt werden, ist rauer geworden; das Digitale ist längst nicht mehr das Allheilmittel, das es einmal war. Trotzdem: Was an Anstand gewichen ist, macht die gegenwärtige Debatte locker mit Realismus wett. Der Einsatz ist höher: Wir reden nicht mehr über abstrakte Vorzüge der Digitalisierung, sondern darüber, was es heißt, strategisch wichtige Industrien der Kontrolle fremder Mächte zu überlassen.

Das Weiße Haus hat eine nationale Cyberstrategie veröffentlicht, die dem US-Militär erlaubt, sich ohne große Einschränkungen offensiv an Cyberoperationen zu beteiligen. Die Widerstandsfähigkeit nationaler digitaler Infrastruktur ist keine Selbstverständlichkeit mehr. Wenn schon Obama offenbar keine Skrupel hatte, Angela Merkels Handy abzuhören - würde dann irgendwer Trump zutrauen, dieser Versuchung zu widerstehen?

Der Autor hat mehrere Bestseller, darunter "Smarte neue Welt", verfasst . Im Silicon Valley ist er als Kritiker mit Sinn für politische Kontexte gefürchtet. Aus dem Englischen von Ekaterina Kel.

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