GI-Radar 224: Bildung im Digitalen

 

Sehr geehrte Leserinnen und Leser,

in den Kurzmitteilungen geht es wieder einmal um einen Facebook-Datenskandal. Das Thema im Fokus befasst sich mit der Bildung im Digitalen, die übrigens auch eines der zentralen Themen auf der INFORMATIK 2018 war. Wenn Sie sich hingegen für Kunst und Informatik interessieren, wird Ihnen das Fundstück gefallen.

Nun wünschen wir Ihnen viel Spaß mit dieser Ausgabe!

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Abschiedsbrief an Facebook + Roboter ersetzen Menschen + Souveränität der Schlüsselindustrien + Überwachung versus Transparenz + Bildung im Digitalen + Radiobeitrag zur INFORMATIK 2018 + Klaus-Tschira-Medaille verliehen + GI-Fellows ausgezeichnet + Zur KI-Strategie der Bundesregierung + Kann man Kunst programmieren?

KURZMITTEILUNGEN

Abschiedsbrief an Facebook (ZEIT, 7 min). Ein Skandal um Facebook – wieder einmal, könnte man sagen. 90 Millionen Nutzerinnen und Nutzer könnten betroffen sein. ZEIT-Redakteur Dirk Peitz räsoniert anlässlich des erneuten Datenlecks über die Bedeutung von Facebook in seinem Leben, als Archiv nicht nur von Daten, sondern auch von Beziehungen. Nun gilt es seiner Meinung nach endgültig Abschied zu nehmen und Facebook mit der gespeicherten, gut 10-jährigen Beziehungsgeschichte zu löschen. Eine Rückschau auf eine Symbiose.  weiterlesen

Wo Menschen durch Roboter ersetzt werden (können), hängt (auch) vom Wohnort ab (FAZ). Das Institut für Arbeits- und Berufsforschung (IAB) hat untersucht, in welchen Bundesländern die meisten Stellen theoretisch durch Computer substituiert werden könnten. Das Saarland steht hier beispielsweise sehr viel schlechter da als die Großstädte.  weiterlesen

Bewahrung der Souveränität der eigenen Schlüsselindustrien ist die größere Herausforderung als die Digitalisierung (SZ). Evgeny Morozov kommentiert in der SZ, warum manchmal sogar Trump sein Gutes hat und dass die Sicherung der technischen Souveränität der deutschen Industrie notwendiger ist denn je.  weiterlesen

Überwachung und digitale soziale Kontrolle versus Transparenz (Netzpolitik). Was es bedeutet, wenn es eine absolute Transparenz gibt und warum es manchmal gut ist, dass es sie nicht gibt: ein Vortrag des Datenforschers Wolfie Christl auf der Konferenz „Netzpolitik“.  weiterlesen 

THEMA IM FOKUS

Das Thema im Fokus ist dieses Mal ein Gastbeitrag von Axel Stolzenwaldt, Lehrer an einem hessischen Gymnasium. Der Beitrag basiert auf seinen Beobachtungen in der schulischen Praxis. In der GI befasst sich der Fachbereich IAD mit Fragen der informatischen Bildung und der Didaktik der Informatik.

Bildung im Digitalen. Die Kultusministerkonferenz (KMK) hat Ende 2016 in ihrer Erklärung „Bildung in der digitalen Welt“ formuliert: „Wir wollen, dass sie (die SchülerInnen, d. Verf.) gestaltend in das gesellschaftliche Leben eingreifen können, auch im Sinne von demokratischer Mitwirkung an der Gesellschaft und der Gestaltung an der rasanten Umwälzung, die wir gerade beobachten können.“

Unabhängig von diesem Ziel sind bereits jetzt in der „Bildung im Digitalen“ unterschiedliche Konzepte erkennbar, vom Programmieren als Unterrichtsfach bis zum strikten Verbot von Tablet und Smartphone für Kinder. Dabei sind vier Tendenzen erkennbar:

1. Ignoranz gegenüber jeglicher technischen Entwicklung,

2. Reduzierung auf Anwendungswissen und die Ausbildung am Gerät,

3. Medienbildung zur Förderung selbstbewusster und kritischer Mediennutzung und

4. Technologieunterricht zur Erweiterung der technischen Qualifikation.

Diese Konzepte treten kaum in Reinform auf, sie werden je nach Kollegium, Schule oder Elternschaft unterschiedlich stark realisiert.

Ignoranz. LehrerInnen, die sich von den Herausforderungen neuer Medien überrannt fühlen, versuchen meistens alle digitalen Themen aus dem Unterricht fern zu halten. Argumentiert wird häufig damit, dass Bildung Persönlichkeitsentwicklung bedeute und technische Geräte die vielgestaltige Entfaltung von Kindern und Jugendlichen behindere. Mit der Ignoranz gegenüber technischen Entwicklungen lässt man Kinder und Jugendliche blind in zukünftige gesellschaftliche Situationen laufen. Der Bildungsauftrag der Schule wird damit garantiert nicht erfüllt.

Anwendungswissen. Ein anderes Unterrichtskonzept ist Qualifikation für das Arbeitsleben indem der Umgang mit Geräten oder Anwendungssoftware vermittelt wird. Erstellung von Office-Dateien oder Internetsuche sind die Themen. Die Vermittlung von Anwendungswissen wird allerdings dem Bildungsauftrag auch nicht gerecht, da damit Bildung auf Ausbildung reduziert wird.

Medienbildung. Viele LehrerInnen versuchen mit Medienbildung, Themen der gesellschaftlichen Ursachen und Auswirkungen der Digitalisierung im Unterricht aufzugreifen. Lernziel ist der kritische Umgang mit Medien. Die grundlegende Struktur der Medien, ihre technischen Möglichkeiten und ihre Grenzen werden aber nur unzureichend erkannt.

Technische Ausbildung. Das Bildungskonzept „Technische Ausbildung“ zielt darauf ab, Programmierfähigkeiten zu unterrichten. Programmieren ist aber eine Spezialfähigkeit, die allein nicht ausreicht, um die gesellschaftlichen, ethischen und wirtschaftlichen Dimensionen von Informationstechnologien zu erkennen.

Was tun? Jedes dieser Bildungskonzepte allein kann nicht genügen, um Kinder/Jugendliche auf einen kritischen und selbstbewussten Umgang mit den neuen Technologien vorzubereiten. Es ergeben sich neue bildungspolitische Anforderungen sowohl für Unterricht und als auch Lehrerfortbildung. Notwendig ist die Etablierung einer informationstechnischen Grundbildung und die Intensivierung des Informatikunterrichts im engeren Sinn.

Unterricht. Wissen um IT-Fragen sollte auf zwei Ebenen unterrichtet werden: als informationstechnische Grundbildung und einen darauf aufbauenden Informatikunterricht. Beide Ebenen können unter den Dimensionen „Unterricht“ und „Lehrerbildung“ betrachtet werden. Beginnen wir mit  dem Unterricht.

Informationstechnische Grundbildung (SchülerInnen). Informationstechnische Grundbildung zielt auf Wissensvermittlung und Persönlichkeitsentwicklung. Sie hat einerseits nicht die reine Codierfähigkeit als Ziel und geht andererseits über die – sicher notwendige – Medienbildung hinaus, indem sie dafür sorgt, dass die technischen Grundlagen der benutzten Medien verstanden werden.

Beispiele. Um Verschlüsselung angemessen verwenden zu können, muss ich die grundsätzlichen Verfahrensweisen kennen. Um digitale Assistenten wie Amazon Echo oder Google Home in ihrer Bedeutung zu erfassen, muss ich wissen, was Big-Data (Datenspeicherung, Informationsgewinnung, ...) heißt. Das Internet of Things verstehe ich nur, wenn ich weiß, wie Netze funktionieren. Weitere Themen: Roboterethik, Verkehrsautomation, Hackerethik, Rationalisierung, Browsertechnologien und Adblocker.

Informationstechnische Grundbildung (LehrerInnen). Von Bildungspolitikern muss das „I“ in MINT endlich ernst genommen werden. Die aktuellen gesellschaftlichen und ökonomischen Entwicklungen erfordern zwingend, dass Informatik im Vergleich zu den etablierten Unterrichtsfächern Physik, Chemie und Biologie eine gleichwertige Stellung erhält.

Lehrerbildung. Häufig ist die Ablehnung der Digitalisierung durch LehrerInnen gespeist von der Hilflosigkeit gegenüber den Herausforderungen technologischer Entwicklungen. Um diese Unsicherheiten beheben zu können, müssen LehrerInnen, auch aus dem sozialwissenschaftlichen oder dem sprachlichen Arbeitsfeld, das fachliche Grundwissen erwerben können, das für die informationstechnische Grundbildung notwendig ist.

Informatikunterricht (LehrerInnen). Für einen qualifizierten Informatikunterricht gibt es zu wenig ausgebildete FachlehrerInnen. Eine Popularisierung der Ausbildung zum/zur InformatiklehrerIn, auch für SeiteneinsteigerInnen, muss schnellst möglich in Gang gesetzt werden. Auch für die bereits unterrichtenden InformatiklehrerInnen ist ständige Weiterbildung zwingend. Heute sollte jede/r InformatiklehrerIn z.B. in der Lage sein, das Wissen zu Neuronalen Netzen über Weiterbildungsangebote zu erwerben. 

Schluss. Jetzt sofort sind die Bildungspolitiker gefordert. Sie müssen die Rahmenbedingungen setzen, um eine Reduzierung auf reines Technologie-Know-How oder Anwendungswissen zu verhindern. Es gilt den umfassenden Bildungsauftrag der Schule zu realisieren, der auch technologisches Grundwissen als Basis für kritische Entscheidungen einschließt.

Diesen Beitrag hat Axel Stolzenwaldt verfasst und bereits auf seiner Webseite veröffentlicht. Vielen Dank! Ihre Themenvorschläge können Sie uns gerne per E-Mail an redaktion@gi-radar.de senden.

GI-MELDUNGEN

Radiobeitrag zur INFORMATIK 2018 (Deutschlandfunk). Was alles auf der Jahrestagung passiert ist, welche Themen behandelt wurden, welche Fachleute gesprochen haben: all das haben die Journalisten Manfred Kloiber und Peter Welchering in einem großen Beitrag für den Deutschlandfunk zusammengefasst.  weiterlesen

Klaus-Tschira-Medaille für Frieder Nake. Zum ersten Mal haben die GI und die Klaus Tschira Stiftung (KTS) gemeinsam die Klaus-Tschira-Medaille verliehen. Mit ihr werden Persönlichkeiten ausgezeichnet, die den Einfluss der Informatik auf andere Gebiete in eindrucksvoller Weise deutlich gemacht haben. In diesem Jahr hat die Jury Frieder Nake für seine frühen Arbeiten der Computerkunst ausgezeichnet.  weiterlesen

Debora Weber-Wulff und Ralf Steinmetz werden GI-Fellows. Als zweite große Auszeichnung hat die GI auf der INFORMATIK 2018 Debora Weber-Wulff und Ralf Steinmetz mit dem GI-Fellowship ausgezeichnet. Zu GI-Fellows werden Persönlichkeiten ernannt, die die Informatik und/oder die GI in herausragender Weise vorangebracht haben. Wir gratulieren.  weiterlesen

GI nimmt Stellung zur KI-Strategie der Bundesregierung. Unter Federführung des GI-Fachbereichs Künstliche Intelligenz hat die GI Stellung zur KI-Strategie der Bundesregierung bezogen. Sie weist darauf hin, dass eine eindeutige Definition des Begriffes „Künstliche Intelligenz“ fehlt, sodass eine Diskussion über das Thema – gerade in der Öffentlichkeit – häufig ins Diffuse abdriftet. Hier entwickelt die GI ein Glossar zur besseren Verständlichkeit der zugeordneten Begrifflichkeiten.  weiterlesen

FUNDSTÜCK

Kann man Kunst programmieren? Ist Kunst dann überhaupt noch Kunst? Über diese Frage lässt sich trefflich diskutieren. Für Puristen ist Kunst nur Kunst, wenn ein Pinsel geführt oder ein Meißel geschwungen wurde. Tatsächlich hat sich aber seit Jahrzehnten die Computerkunst etabliert (TU Wien, engl.). Einem der frühen Pioniere, Frieder Nake aus Bremen, ist nun eine eigene Ausstellung in der Kunsthalle Bremen gewidmet. Wir freuen uns, dass unser diesjähriger Träger der Klaus-Tschira-Medaille entsprechend gewürdigt wird. Ein Grund für alle Mitglieder, nach Bremen zu pilgern.   Zum Beitrag (Spiegel Online)

Welches Fundstück hat Sie zuletzt inspiriert? Senden Sie uns Ihre Ideen!

 

Dies war Ausgabe 224 des GI-Radars. Die GI-Mitteilungen hat GI-Geschäftsführerin Cornelia Winter zusammengetragen. Diese Ausgabe wurde von Dominik Herrmann zusammengestellt, der jetzt am liebsten sofort einen Plotter kaufen würde. Das nächste GI-Radar erscheint am 19. Oktober 2018.

Im GI-Radar berichten wir alle zwei Wochen über ausgewählte Informatik-Themen. Wir sind sehr an Ihrer Meinung interessiert. Für Anregungen und Kritik haben wir ein offenes Ohr, entweder per E-Mail (redaktion@gi-radar.de) oder über das Feedback-Formular bei SurveyMonkey. Links und Texte können Sie uns auch über Twitter (@informatikradar) oder Facebook zukommen lassen.