GI-Radar 314: Gegen die Massenüberwachung

 

Liebe Leserinnen und Leser,

in den Kurzmitteilungen erfahren Sie, welchen Vorteil die momentan sinkenden Kurse von Bitcoin und Co. haben. Das Thema im Fokus ist ein Aufruf zur Bekämpfung der Massenüberwachung. In den GI-Meldungen weisen wir Sie unter anderem auf die INFORMATIK 2022 hin. Das Fundstück ist eine Video-Sammlung zu KI.

Wir wünschen Ihnen viel Spaß mit dieser Ausgabe!

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Behörden sollen Facebook verlassen + PNR-Weitergabe + Energieverbrauch von Kryptowährungen + Ransomware + Datenbanken für NS-Überlebende + Massenüberwachung + INFORMATIK 2022 + Grand Challenges 2025 + Präsidiumswahl + Neues Informatik Spektrum + Videosammlung Künstliche Intelligenz

KURZMITTEILUNGEN

Hessischer Datenschutzbeauftragte Roßnagel: Behörden sollen Facebook verlassen (dpa via it-daily). Der hessische Datenschutzbeauftragte und GI-Fellow Alexander Roßnagel fordert die hessischen Landesbehörden auf, ihre Facebook-Präsenzen zu schließen. Der Betrieb sei laut eines Gerichtsurteils aus Schleswig-Holstein ein schwerer, datenschutzrechtlicher Verstoß.  weiterlesen

Datenweitergabe im Flugverkehr (ZEIT). Derzeit macht der Flugverkehr vor allem durch überlastete Flughäfen Schlagzeilen. Tatsächlich aber gab es eine weitreichende Entscheidung zum Datenschutz beim Überschreiten der EU-Außengrenze. Ein belgisches Gericht hat die automatische Personal-Name-Record-Weitergabe (PNR) gekippt. Fortan dürfen Personendaten nur noch beim Verdacht auf eine konkrete terroristische Bedrohung weitergegeben werden.  weiterlesen

Energieverbrauch der Kryptowährungen (NZZ). Neben dem Klima und der Politik spielen derzeit auch die Finanzmärkte verrückt. Kryptowährungen, zeitweise ein Hype sondergleichen, verlieren rasant an Wert. Für das Klima ist das gut. Denn was Bitcoin & Co an Rechenleistung und Energie verbrauchen, ist enorm. Wodurch, lässt sich hier zusammenfassend lesen. weiterlesen

Ransomware: Erpresser werden faul (Golem). Bislang wurden bei Ransomware-Attacken Daten gestohlen und verschlüsselt. Für die Entschlüsselung war Lösegeld fällig. Mittlerweile reicht häufig die Drohung mit der Veröffentlichung der Daten, um Lösegeld zu erpressen.  weiterlesen

Datenbanken und Archive für Opfer und Überlebende des Nationalsozialismus: ein Mammutprojekt (Netzpolitik). Gerade ist ein ehemaliger KZ-Wachmann zu einer Haftstrafe verurteilt worden. Dennoch laufen Aufklärung und Bestrafung von nationalsozialistischen Verbrechen aus verschiedenen Gründen schleppend. Ein Onlinearchiv mit digitalisierten Akten soll nun neben der Bewahrung der Opfer vor dem Vergessen unter anderem dazu beitragen, gezielt nach Beteiligten zu suchen.  weiterlesen

THEMA IM FOKUS

Machen Sie mit! – Initiative gegen Massenüberwachung. „Reclaim Your Face“ ist eine zivilgesellschaftliche Initiative, die ein Verbot biometrischer Gesichtserkennung und der damit einhergehenden Massenüberwachung fordert (heise.de).

„Biometrische Massenüberwachung bezeichnet das unterschiedslose oder stichprobenartige Beobachten, Verfolgen und sonstige Verarbeiten von biometrischen Daten von Individuen oder Gruppen“ (algorithmwatch.org). Das Verbot soll die Entwicklung und den Einsatz entsprechender Technologien von öffentlichen und privaten Stellen umschließen. Damit sollen Grundrechte wie die Rechte auf „Privatsphäre, freie Meinungsäußerung, Protest und Diskriminierungsfreiheit“ geschützt werden (reclaimyourface.eu), Rechte, die essenziell für die Teilnahme am öffentlichen Leben und den öffentlichen Diskurs in einer demokratisch organisierten Gesellschaft sind.

Automatisierte Überwachung birgt die Gefahr, Verhalten von Bürger:innen zu kontrollieren und zu manipulieren, indem ihre Gesichter erfasst und ihre Verhaltensweisen analysiert werden (digitalcourage.de).

Die Initiative wurde Anfang 2021 von folgenden Organisationen gegründet: Hermes Center (Italien), Homo Digitalis (Griechenland), Bits of Freedom (Niederlande), Iuridicum Remedium (Tschechien), Share Foundation (Serbien), Access Now und European Digital Rights (EDRi). Weiterhin wurde sie unter anderem unterstützt von Privacy International, Article 19, dem Chaos Computer Club (CCC), der Panoptykon Foundation und La Quadrature du Net (heise.de).

Der „Automating Society Report“ (algorithmwatch.org) zeigt, dass insbesondere der Einsatz von biometrischer Gesichtserkennung im öffentlichen Raum bereits weit verbreitet ist, obwohl biometrische Daten unter der europäischen Datenschutzverordnung besonders schützenswert sind. Eingesetzt wird diese unter anderem in Schulen, an Flughäfen oder Bahnhöfen (algorithmwatch.org). So wurde sie zum Beispiel dazu genutzt, Covid19-bedingte Abstandsregelungen durchzusetzen oder Demonstrant:innen beim G20-Gipfel in Hamburg zu überwachen (algorithmwatch.org). Um symbolisch zu zeigen, dass Bürger:innen sich nicht selbst vor der Massenüberwachung schützen können, überzogen Aktivist:innen im Dezember 2021 eine Vielzahl von Statuen mit Papiertüten. Ziel war es, mit dieser Aktion auf die Initiative aufmerksam zu machen, die öffentliche Debatte anzuregen und Unterschriften für die Petition (europa.eu) zu gewinnen (digitalcourage.de).

Die Kampagne konnte bereits einige Erfolge verzeichnen: Beispielsweise wurde der Einsatz an französischen Schulen gestoppt und in Belgrad ein öffentliches Verzeichnis aller fast 700 Überwachungskameras geschaffen, die initial heimlich von der Stadtverwaltung und Huawei installiert wurden (heise.de).

Die erwähnten und teilweise gestoppten Szenarien der biometrischen Überwachung zeigen eine klare Verletzung der Unschuldsvermutung und könnten somit als rechtswidrig betrachtet werden (wikipedia.org). Das grundlose Sammeln der Daten gleicht eher einem Generalverdacht, der das Grundrecht auf einen respektvollen und fairen Umgang verletzt.

Weiterhin schürt der Einsatz biometrischer Überwachungsmaßnahmen verschiedene Ängste, etwa für die Äußerung seiner freien Meinung verurteilt oder anhand seines Aussehens diskriminiert zu werden. Schließlich werden dabei sensible Informationen über den Körper und das Verhalten einer Person gesammelt und verwendet. Das Gesicht wird ausgemessen und abgespeichert, Blutbahnen, Augen und Hautfarbe werden erfasst und es ist sogar möglich, Personen an Ihrem Gangmuster zu erkennen (reclaimyourface.eu). Dies ist nicht nur aufgrund des Aspektes der Überwachung kritisch, sondern auch den Datenschutz betreffend, wie die Diskussion zum Privacy Shield zeigt. Hierbei geht es darum, dass trotz der EU-Datenschutzrichtlinien Daten über die Strukturen großer Konzerne in weniger stark regulierte Länder fließen. Die zur Überwachung genutzten Programme und die zugehörigen Daten sind nicht auf das zwingend erforderliche Maß beschränkt, wodurch ein Missbrauch personenbezogener Daten ermöglicht wird (netzpolitik.org).

Parallel plant die Europäische Kommission mit der sogenannten Chat-Kontrolle (gi.de) eine weitere Maßnahme zur Massenüberwachung von Bürger:innen. Diese Regelung verletzt das Grundrecht auf eine sichere und private Kommunikation, indem jeglicher Informationsaustausch zwischen Personen abgefangen und an Behörden weitergegeben werden darf.

Das massenhafte Sammeln von Daten von Nutzer:innen eines Telekommunikationsdienstes ist nicht mit der Charta der Grundrechte der Europäischen Union vereinbar. Das entschieden der Europäische Gerichtshof (EuGH) und der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) nach einer Klage gegen die Geheimdienste GCHQ und MI6 (coe.int). Die Massenüberwachung durch die Geheimdienste im Vereinigten Königreich wurde vom EGMR als Verstoß gegen die Menschenrechte eingestuft. Begründet wird dies mit Artikel 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention, der das Menschenrecht auf Achtung des Privat- und Familienlebens sicherstellt sowie mit Artikel 10, der das Menschenrecht auf freie Meinungsäußerung garantiert (netzpolitik.org).

Wie die Erfolge in Frankreich und Belgrad ist dieses Urteil ein erster Schritt in die richtige Richtung, indem die Anforderungen an Gesetzgeber und europäische Staaten restriktiver werden. Dennoch darf man nicht außer Acht lassen, dass Massenüberwachung weiterhin möglich bleibt.

Für uns ist klar: Massenüberwachung und Kontrolle sind nicht der richtige Weg, um einzelne Täter:innen zu überführen. An dieser Stelle verzichten wir also auf unsere gewohnte Abwägung möglicher Vor- bzw. Nachteile und zeigen Möglichkeiten auf, die Initiative zu unterstützen. Diese wird inzwischen von über 60 Organisationen, unter anderem der Gesellschaft für Informatik, mit unterschiedlicher Beteiligung unterstützt (reclaimyourface.eu).

Der einfachste Weg als Privatperson ist bis zum 01. August 2022 das Unterschreiben der Petition (reclaimyourface.eu) und deren Verbreitung. Unterstützend bietet die Initiative hierfür verschiedene Aktionspakete wie Banner für den Gebrauch im Netz oder Sticker und Plakate zum Ausdrucken (reclaimyourface.eu). Von der Aktion „Gesichtserkennung Stoppen“ (gesichtserkennung-stoppen.de) wird außerdem empfohlen, Abgeordnete zur Thematik zu befragen (abgeordnetenwatch.de).

Den Austausch mit dem eigenen Umfeld zu suchen und ihnen die Thematik zu erklären sowie Beteiligungsmöglichkeiten aufzuzeigen, ist eine gute Möglichkeit, die Sichtbarkeit des Themas zu verbessern – immer mit dem Ziel, das kritische Hinterfragen digitaler Gesetzgebung und zugehöriger Strukturen zu fördern und auch älteren Familienmitgliedern den Zugang zu ermöglichen. Wie auch im Falle der „Chatkontrolle“ (campact.de) ist es gesellschaftlich von großer Wichtigkeit, die Initiativen und Aktionen, sowie die politischen Entwicklungen zu verfolgen, Verständnis zu schaffen und sich zu beteiligen.

Da sowohl gesellschaftlich als auch politisch insbesondere im Rahmen der Verwendung neuer Technologien immer wieder Diskussionsbedarf entsteht, freuen wir uns, gemeinsam einen Diskurs zu genau solchen Fragen zu gestalten. Verlinken (und folgen) Sie uns gerne auf Twitter unter @society_read. Diesen Beitrag haben Yasmina Adams, Sarah Groos und Abdulkadir Noyan aus der SocIeTy (ehem. Redaktion Sozioinformatik) beigesteuert. Vielen Dank!

GI-MELDUNGEN

INFORMATIK 2022: jetzt anmelden! Endlich wieder Menschen (in echt), endlich wieder ein persönlicher Austausch – wir freuen uns sehr auf die INFORMATIK 2022 in Hamburg. Die diesjährige Jahrestagung steht unter dem Motto „Informatik in den Naturwissenschaften“. Parallel finden die EnviroInfo und die Studierendentagung SKILL statt. Die Registrierung ist eröffnet, ab jetzt können Sie Ihre Tickets buchen.  weiterlesen

Grand Challenges 2025: Ihre Ideen sind gefragt. Der Präsidiumsarbeitskreis Grand Challenges hat eine neue Runde für Vorschläge ausgerufen. Erwünscht sind Themen rund um die großen Herausforderungen der Menschheit und den Beitrag, den die Informatik zur Bewältigung leisten kann. Einreichungen sind willkommen. weiterlesen

Präsidiumswahl 2022: wer stellt sich zur Wahl? Das Präsidium hat auf seiner letzten Sitzung die Vorschläge für die Präsidiumskandidaturen für die Wahl 2022 begrüßt. Die Kandidatinnen und Kandidaten werden auf der Ordentlichen Mitgliederversammlung in Hamburg vorgestellt. Wer jetzt schon neugierig ist, findet die Namen im Mitgliederbereich.  weiterlesen

Neues Informatik Spektrum online. Im neuen Informatik Spektrum geht es unter anderem um die Themen Maschinelles Lernen, Digitale Souveränität und effektive Kommunikation. In den Gewissensbits wird die Frage von Armut und digitaler Teilhabe aus ethischer Sicht thematisiert. Desweiteren beleuchtet ein Artikel das rechtliche Problem des GPS-Trackings von Geschäftsfahrzeugen. Die Einzelartikel finden Sie in unserer Digitalen Bibliothek, das Gesamt-PDF steht Ihnen im Mitgliederbereich und hier zur Verfügung.  weiterlesen

Kennen Sie eigentlich den GI-Pressespiegel? Dort sammeln wir die Berichterstattung über unsere Fachgesellschaft in Zeitungs-, Radio- und Fernsehbeiträgen. In dieser Woche berichtet unter anderem Forschung & Lehre über einen offenen Brief, den mehrere GI-Mitglieder mitgezeichnet haben und wo es darum geht, Lösegeldforderungen bei Ransomware-Erpressungsversuchen nicht nachzugeben. Schauen Sie rein, es gibt da immer wieder Neues oder auch ältere Fundstücke.

FUNDSTÜCK

Genug gelesen? Einfach mal allerlei zum Thema Künstliche Intelligenz erzählt bekommen? Hach, wär’ das schön … Der Fernsehsender Arte hat auf seiner Seite ein Sammlung mit unterschiedlichen Videos rund um das Thema Künstliche Intelligenz und deren Auswirkungen auf die Gesellschaft zusammengetragen. Der Bogen reicht von der digitalen Überwachung über Medizininformatik und Algorithmen bis hin zur Abbildung von Gefühlen. Wenn es also zu warm zum Lesen und Konzentrieren wird … Zum Fundstück (arte.tv)

Welches Fundstück hat Sie zuletzt inspiriert? Senden Sie uns Ihre Ideen!

 

Dies war Ausgabe 314 des GI-Radars. Zusammengestellt hat sie Dominik Herrmann – trotz einer Innentemperatur von 30 Grad Celsius nach Sonnenuntergang. GI-Geschäftsführerin Cornelia Winter hat die Mitteilungen und Meldungen zusammengetragen. Das nächste GI-Radar erscheint am 15. Juli 2022.

Im GI-Radar berichten wir alle zwei Wochen über ausgewählte Informatik-Themen. Wir sind sehr an Ihrer Meinung interessiert. Für Anregungen und Kritik haben wir ein offenes Ohr, entweder per E-Mail (redaktion@gi-radar.de) oder über das Feedback-Formular bei SurveyMonkey. Links und Texte können Sie uns auch über Twitter (@informatikradar) zukommen lassen.