GI-Radar 329: OER

 

Liebe Leserinnen und Leser,

in unseren Kurzmitteilungen geht es in dieser Woche unter anderem um unterschiedliche Daten: solche, die von der Polizei ausgewertet und solche, die über Sie im Netz gesammelt werden. Das Thema im Fokus behandelt sogenannte „Open Educational Resources“ (OER) – das sind öffentlich zugängliche Lehr- und Lernmaterialien. In den GI-Mitteilungen bitten wir Sie einerseits um Ihre Ideen und andererseits darum, dass Sie in Ihrem Umfeld für die GI werben. Das Fundstück gibt einen Einblick in die Erforschung des automatisierten Fahrens.

Wir wünschen Ihnen viel Spaß mit dieser Ausgabe!

auf gi-radar.de weiterlesen

Datenanalyse-Software der Polizei rechtswidrig + Onlineeinkauf und Retouren + Go-KI besiegt + Tracking im Netz + OER + Radar-Beiträge gesucht + GI-Fellows in Sicht? + Werbung für die GI + Algorithmus für bessere selbstfahrende Autos

KURZMITTEILUNGEN

Einsatz von Datenanalyse-Software eingeschränkt (Spiegel). Das Bundesverfassungsgericht hat den Einsatz allzu datenhungriger Polizeisoftware eingeschränkt. Einzelne Bundesländer hatten Software im Einsatz, die vorliegende personenbezogene Daten automatisiert analysieren kann. Dies sei verfassungswidrig, urteilte das Gericht.  weiterlesen

Einkaufen im Netz: Retouren eingeplant (ZEIT). 10% aller Käufe im Internet gehen zurück an den Händler. Dies hat eine Umfrage ergeben, die den Grund für die massenhaften Rücksendungen erforschen wollte. Neben Nichtgefallen und falschen Größen ist der Kauf gleich mehrerer Artikel zur Auswahl einer der Hauptgründe, warum so viele Waren zurückgeschickt werden.  weiterlesen

Go-Amateur besiegt Programm – wie sich KI austricksen lässt (SZ). Schachcomputer kennen nahezu alle. Aber auch für das japanische Brettspiel Go gibt es entsprechende virtuelle Gegner. Nun hat es ein Amateur mithilfe wiederum einer anderen Software geschafft, das Go-Programm auszutricksen, indem er (für die KI) unvorhersehbar agiert hat.  weiterlesen

Cookies, Fingerprints, Browseranalyse: Überwachungszenarien im Netz (taz). Dass sich die meisten von uns aus Bequemlichkeit Cookies einfangen, wissen wir. Aber ist ebenso bekannt, dass häufig der Browser detaillierte Informationen über den benutzten Rechner sammelt, dass es so genannte „evercookies“ gibt, oder Browser-Fingerabdrücke? Eine Analyse erklärt die verschiedenen Trackingtools und mögliche Schutzmechanismen.  weiterlesen

THEMA IM FOKUS

Open Educational Resources (OER). Immer häufiger fällt der Begriff OER im Zusammenhang mit (digitalen) Lehr- und Lernmaterialien. Aber was sind OER-Materialien eigentlich genau? Die UNESCO veröffentlicht dazu im Jahre 2019 eine Definition, die das zwischenstaatliche gemeinsame Verständnis von OER zusammenfasst und mittlerweile allgemein anerkannt ist.

„Open Educational Resources (OER) sind Lern-, Lehr- und Forschungsmaterialien, in jedem Format und Medium, die gemeinfrei sind oder urheberrechtlich geschützt und unter einer offenen Lizenz veröffentlicht sind, wodurch kostenloser Zugang, Weiterverwendung, Nutzung zu beliebigen Zwecken, Bearbeitung und Weiterverbreitung durch Andere erlaubt wird.“ (unseco.de)

Zeitliche Entwicklung der OER-Bewegung. Schon 2007 empfiehlt die OECD die Verbreitung von OER. Im gleichen Jahr werden in der von Aktivistinnen und Aktivisten verabschiedeten Kapstadt-Deklaration Lehrende und Lernende dazu aufgerufen, sich der OER-Bewegung anzuschließen (capetowndeclaration.org). Die UNESCO veranstaltet 2012 einen Weltkongress zum Thema Open Educational Resources, in welchem sie die Ziele der Kapstadt-Deklaration aufgreift und weiter ausführt. Das Ergebnis wird in der Pariser Erklärung zusammengefasst. Im Jahre 2015 veröffentlicht die UNESCO einen Leitfaden mit Handlungsempfehlungen und Argumenten, um die Hochschulen und die Politik dazu zu bewegen, OER gezielt in Hochschulen zu verankern. Im September 2017 wird der zweite UNESCO-Weltkongress zu OER durchgeführt, aus welchem der OER-Aktionsplan von Ljubljana mit Handlungsempfehlungen zur Verankerung von OER in der Bildungspolitik und -praxis hervorgeht. Dies verhilft OER zu internationaler Bedeutung (unesco.de).

Meilenstein: UNESCO-Empfehlung zu OER 2019. Bei der UNESCO-Generalkonferenz im November 2019 wird eine zwischenstaatliche Empfehlung zu OER verabschiedet. Diese zeigt auf, dass OER einen wichtigen Beitrag zum Erreichen der Ziele der Agenda Bildung 2030 (chancengerechte und hochwertige Bildung und lebenslanges Lernen) leisten können. Die Mitgliedsstaaten werden dazu aufgerufen, die notwendigen Kapazitäten zur Förderung und Entwicklung zukunftsfähiger Modelle für OER aufzubauen. 

Und was sind die Potenziale und Vorteile von OER? OER ist sowohl für Lernende als auch für Lehrende interessant. Relevante Vorteile sind Chancengerechtigkeit, Inklusion, Bildung für alle und die Förderung eines lebenslangen Lernens. OER-Materialien können von Studierenden bei der eigenständigen Nachbereitung von Lehrveranstaltungen als zusätzliche Informationsquelle genutzt werden. Auch können sie bereits im Vorfeld eines Studiums genutzt werden, um sich einen ersten Überblick zu verschaffen. Da OER für alle Menschen – auch global betrachtet – jederzeit zugänglich sind, haben auch benachteiligte Gruppen (Menschen mit Behinderungen, sozial oder finanziell Benachteiligte) die Möglichkeit, sich kostenlos fort- und weiterzubilden und von qualitativ hochwertigen Bildungsmaterialien zu profitieren (unesco.de). 

Aus Sicht der Lehrenden sind Zeit- und Kostenersparnis klare Vorteile bei der Nutzung von OER. Unter der Voraussetzung eines Einbezugs der Fachcommunity in die fachliche Gestaltung und Verifikation der OER-Materialien, sind Qualitätszuwachs und übergreifende Konsistenz mögliche Nutzenpotenziale. Darüber hinaus werden Kollaborations- und Kooperationsmöglichkeiten zwischen der Lehrenden gefördert.

Gibt es auch Nachteile? Die vorab genannten Nutzenpotenziale basieren darauf, dass die OER-Materialien einem hohen fachlichen und qualitativen Anspruch genügen. Gerade bei der Integration von OER in bestehende akademische Bildungsangebote ist eine konsequente Beteiligung der Fachcommunity unabdingbar. 

Folgerichtig kritisiert 2017 der Verband Bildungsmedien, dass es bei OER „keine erkennbare Qualitätssicherung der Materialien“ gebe (bpb.de). Bereits 2013 hatte sich das European Trade Union Committee for Education (ETUCE), ein Zusammenschluss von Bildungsgewerkschaften in Europa, skeptisch dazu geäußert, dass es keine Prüf- und Zulassungsverfahren für OER gibt. Dies berge die Gefahr, dass die Bildung kommerzialisiert und monopolisiert wird. Außerdem äußerte das ETUCE das Risiko, dass sich wenige Bildungsanbieter mit eigenen privatwirtschaftlichen Interessen durchsetzen könnten und damit die inhaltliche Gestaltung der Bildungsangebote beeinflussen (csee-etuce.org).

Einheitliche Standards für die Qualitätssicherung gibt es bis heute nicht.

Entwicklung der OER-Bewegung in Deutschland. Auch Deutschland versucht, der UNESCO-Empfehlung von 2019 gerecht zu werden, und so veröffentlicht das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) im Juli 2022 die erste nationale Strategie für offene Bildungsmaterialien, die die Verbreitung von OER in Deutschland fördern soll (bmbf.de). Drei konkrete Handlungsempfehlungen schreibt sich das BMBF in dieser Strategie selbst vor: (1) Schaffung von Anreizsysteme zur Erstellung und Nutzung von OER, (2) Stärkung einer Kultur der Offenheit, der Kooperation und des Teilens sowie (3) Stärkung des Changemanagements in Bildungsinstitutionen.

Entwicklung der OER-Bewegung in Deutschland auf Landesebene. Auf Landesebene gibt es eine Vielzahl an Förderkulissen, die den Ausbau sowie die Nutzung von OER vorantreiben und stärken sollen. So fördert beispielsweise das Ministerium für Kultur und Wissenschaften des Landes Nordrhein-Westfalen gemeinsam mit der Digitalen Hochschule NRW (DH.NRW) seit 2020 im Rahmen der Förderlinie „OERContent.nrw“ die Entwicklung von digitalen Lehr- und Lernmaterialien und stellt dafür eine eigene kostenfreie OER-Plattform (ORCA.nrw) bereit (mkw.nrw).

Wo können OER-Materialien gefunden werden? Es gibt eine Vielzahl von Plattformen, auf denen ausschließlich OER-Materialien zu finden sind. Beispiele sind unter anderem Wikimedia Commons, Edutags und OER Commons. Auch viele Suchmaschinen bieten die Möglichkeit, Suchfilter so anzupassen, dass ausschließlich Materialien unter den gewünschten CC-Lizenzen gesucht werden. Ein weiteres Beispiel für eine Plattform, auf der ausschließliche OER-Materialien zu finden sind, ist die oben genannte Plattform ORCA.nrw. 

Förderprojekt WiLMo – Wirtschaftsinformatik Lehr- und Lernmodule. Ein Projekt, welches durch die Förderkulisse „OERContent.nrw“ gefördert wird, ist das Projekt „WiLMo“ (ida.fh-aachen.de). In diesem entwickeln sechs Hochschulen (FH Aachen, FH Bielefeld, Fachhochschule Dortmund, Hochschule Hamm-Lippstadt, TH Köln, Hochschule Niederrhein) unter Konsortialführung der FH Aachen einheitliche digitalen Lehr- und Lernmaterialien im OER-Format für die Kernmodule der Wirtschaftsinformatik. Die hochschulübergreifende fachliche Abstimmung und Qualitätssicherung ist dabei ein zentrales Ziel des Projektes. Dies wird u.a. auch durch einen engen Austausch mit der GI-Fachgruppe Wirtschaftsinformatik an Hochschulen angewandter Wissenschaften gefördert (fg-wi-akwi.gi.de). Außerdem wird die thematische Reduktion auf die zentralen Grundlagenfächer als wichtiger Erfolgsfaktor angesehen, um den Lehrenden den notwendigen Freiraum in der didaktischen Aufbereitung und fachlichen Anreicherung zu lassen. Spätesten Ende September 2024 werden die Inhalte vollständig auf der Plattform ORCA.nrw zu finden sein. 

Wie geht es weiter? Zurzeit werden OER überwiegend durch die Bildungspolitik vorangetrieben. Die Motivation, sich mit OER zu beschäftigen und OER zu erstellen, ist damit hauptsächlich extrinsischen Ursprungs. Ob das ausreicht, um die OER-Bewegung ins Rollen zu bekommen und OER auch über das Ende der zahlreichen Förderkulissen hinaus zu stärken, bleibt abzuwarten. Wichtige Aspekte dabei sind, welcher Nutzen und welche Anreize sich für alle Beteiligten tatsächlich realisieren lassen, und zwar unter Berücksichtigung unterschiedlicher Nutzungsszenarien. Welche Anreize bestehen für die Erstellung und Pflege von OER-Materialien? Werden OER-Materialien von Studierenden als zusätzliche Informationsquelle neben Vorlesungsunterlagen und Lehrbüchern angenommen? Werden OER-Materialien von Lehrenden genutzt und führt dies zu einer Verbesserung der Lehre?

Fazit und Empfehlung. Aus Sicht der Informatik ist OER sowohl ein methodischer Aspekt der Digitalisierung und Innovation von Lehre als auch aus inhaltlicher Sicht eine interessante Informationsquelle für Lernende und Lehrende. Kritisch sind die Fragen der Qualitätssicherung, der Integration in bestehende Bildungsangebote und der konsequenten Ausgestaltung von Nutzungsszenarien. Dabei wäre zu überlegen, wie sich die einzelnen akademischen Einrichtungen, aber auch die Fachcommunities der GI positionieren wollen. 

Dieser Beitrag wurde von Jacqueline Gottowik, Prof. Dr.-Ing. Christian Czarnecki und Prof. Dr.-Ing. Martin Wolf verfasst. Alle drei arbeiten an der FH Aachen in der Wirtschaftsinformatik und beschäftigen sich in Rahmen eines Forschungsprojekts mit OER. Vielen Dank für diesen ausführlichen Einblick!

GI-MELDUNGEN

Radar-Beiträge gesucht! Immer wieder bitten wir Sie um Beiträge für ein buntes Radar und vielfältige Themen im Fokus. Erfreulicherweise melden sich immer wieder Mitglieder mit interessanten Texten. Von dieser Sorte wünschen wir uns mehr und freuen uns jetzt wieder auf Vorschläge und Ihr Interesse. Und wir versprechen: Das Radar wird aufmerksam gelesen und ruft je nach Beitrag vielfältige Reaktionen hervor. Bei Interesse bitte Mail an die Redaktion redaktion@gi-radar.de

Was ist mein Ziel und wie komme ich da hin? Ein Plädoyer unter anderem dafür, nicht jedem Hype kritiklos hinterherzulaufen und ethische Fragen nicht zu vergessen. ChatGPT, Blockchain, Second Life ... Ein Hype jagt den nächsten. Derzeit ist die KI in aller Munde und neben den Spielmöglichkeiten, die viele ausprobieren, denken auch Unternehmen an einen möglichen Einsatz. Alexander von Gernler, ehemaliger GI-Vizepräsident, denkt in einem Podcast darüber nach, was für Unternehmen vertretbar ist, wie wichtig dem Einzelnen ethische Standards und Freiheit sind und der Frage, ob alles eingesetzt werden sollte, was einsetzbar ist.  weiterlesen

GI-Fellows 2023: Ihre Ideen? Wie in jedem Jahr freut sich der Auswahlausschuss für die GI-Fellows über Vorschläge aus der Mitgliedschaft, welches GI-Mitglied sich in besonderer Weise um die GI und/oder die Informatik im Allgemeinen verdient gemacht hat. Wir zeichnen Gi-Mitglieder mit einer besonderen Geschichte aus und stellen diese im Rahmen der INFORMATIK 2023 vor. Details zur Nominierung hinter dem Link.  weiterlesen 

Wollen Sie die GI bekannt(er) machen? Können Sie sich vorstellen, vor Ihren Studierenden oder Kolleginnen und Kollegen etwas über die GI zu erzählen? Oder wollen Sie sich einfach mal schlau machen, was die GI im Überblick bietet (viel mehr als die meisten wissen): Dann schauen Sie in den GI-Mitgliederbereich, wo Sie umfangreiches Material, auch zum Bearbeiten, finden. Und wenn Ihnen etwas fehlt: melden Sie sich sich. Wir freuen uns über Anregungen. weiterlesen

 

Kennen Sie eigentlich den GI-Pressespiegel? Dort sammeln wir die Berichterstattung über unsere Fachgesellschaft in Zeitungs-, Radio- und Fernsehbeiträgen. Schauen Sie rein, es gibt da immer wieder Neues oder auch ältere Fundstücke.

FUNDSTÜCK

Automatisiertes Fahren: Software trifft ethisch differenziertere Entscheidungen (TU München, engl.) Selbstfahrende Autos sorgen immer wieder für Schlagzeilen. Sei es, dass sie Unfälle verursachen, sei es, dass eine Diskussion darüber entbrennt, wie das Fahrzeug in einer kritischen Situation entscheiden soll. Eine Forschungsgruppe der Technischen Universität München hat nun eine Software entwickelt, die das Risiko auf der Straße gerechter beurteilen und entsprechend agieren soll. Der in der Software enthaltene Algorithmus gilt als der erste, der die 20 Ethik-Empfehlungen der Fachleute der EU-Kommission berücksichtigt und damit deutlich differenziertere Entscheidungen trifft als bisherige Algorithmen. Durch die Bewertung der unterschiedlichen Gefährdung von Personen im Straßenverkehr soll der Betrieb von automatisierten Fahrzeugen sicherer werden. Der Code steht der Öffentlichkeit als Open-Source-Software zur Verfügung.  Zum Fundstück (tum.de)

Welches Fundstück hat Sie zuletzt inspiriert? Senden Sie uns Ihre Ideen!

 

Dies war Ausgabe 329 des GI-Radars vom 24.02.2023. Zusammengestellt wurde diese Ausgabe von Dominik Herrmann, der Ihnen versichert, dass wir das GI-Radar – in der heutigen Zeit ja schon fast undenkbar – noch immer ganz ohne die Hilfe von ChatGPT und Co. erzeugen. GI-Geschäftsführerin Cornelia Winter hat die Mitteilungen und Meldungen zusammengetragen. Das nächste GI-Radar erscheint am 10. März 2023.

Im GI-Radar berichten wir alle zwei Wochen über ausgewählte Informatik-Themen. Wir sind sehr an Ihrer Meinung interessiert. Für Anregungen und Kritik haben wir ein offenes Ohr, entweder per E-Mail (redaktion@gi-radar.de) oder über das Feedback-Formular bei SurveyMonkey. Links und Texte können Sie uns auch über Twitter (@informatikradar) zukommen lassen.