GI-Radar 342: Die öffentlichen Chatbots kommen

 

Liebe Leserinnen und Leser, 

in unseren Kurzmitteilungen geht es in dieser Woche um Maschinensprache, umgeschriebene klassische Dramen, Ufo-Suche und den Versuch, Gesetze für KI zu schreiben. Das Thema im Fokus behandelt den Einsatz von Chatbots in der öffentlichen Verwaltung. In den GI-Mitteilungen ermuntern wir Sie, die GI-Jahrestagung virtuell zu besuchen – wenn Sie schon nicht selbst nach Berlin kommen können. Das Fundstück dreht sich um Goodhart's Law.

Wir wünschen Ihnen viel Spaß mit dieser Ausgabe!

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KI-Regulierung + Videosynchronisation + Ufos identifizieren + Dramen umschreiben + Chatbots in der öffentlichen Verwaltung + virtuelle INFORMATIK 2023 + Konrad-Zuse-Medaille + Junior-Fellows + Mitglieder-Exkursion in die USA + Goodhart's Law

KURZMITTEILUNGEN

Vorschriften für KI (Spiegel): In den USA versuchen Regierung und Unternehmen gemeinsam, Regelungen für den Umgang mit Künstlicher Intelligenz zu definieren. Nach der Forderung nach einem sechsmonatigen Moratorium im Frühjahr sollen nun konkrete Gesetze erlassen werden, wie sich KI zum Nutzen aller einsetzen lässt. weiterlesen

Videosynchronisation ohne Menschen (ZEIT). Was Übersetzungstools schon längst schaffen, wird mittels neuer Tools auch beim Synchronisieren von bewegten Bildern immer leichter: Video einspielen und in der eigenen Sprache anschauen. Allerdings stellt sich die Frage, ob zum Einen die Emotionen authentisch wiedergegeben werden und zum anderen, was Tools mit Doppelbödigkeiten und Sprichworten anstellen. weiterlesen

Identifizierung von Ufos durch maschinelles Lernen (SZ). Die NASA hat eine Stelle zur Erforschung von Ufos eingerichtet, wo alle Sichtungsdaten gesammelt und ausgewertet werden. Um an mehr qualitativ nutzbare und standardisierte Daten auch aus der Öffentlichkeit zu kommen, sollen entsprechende Apps fürs Smartphone entwickelt werden.  weiterlesen

ChatGPT schreibt Woyzeck um (Forschung und Lehre). Die Theatersaison hat begonnen, und Georg Büchners Drama steht wieder auf dem Spielplan. An einer Schule hat eine Lehrerin nun das Experiment gestartet, das Drama per ChatGPT in eine Erzählung umschreiben zu lassen. Aus den Erfahrungen soll für den Einsatz von KI in der Lehre gelernt werden. weiterlesen

THEMA IM FOKUS

Kim, Bobbi und Felia: Die öffentlichen Chatbots kommen! „Wir haben zwei Kinder und möchten uns scheiden lassen“ – Solche oder ähnliche Lebenssituationen kann man in Zukunft in Finnland einem Chatbot schildern. Dieser soll einem dann passende Dienstleistungen der öffentlichen Verwaltung vorschlagen (tab-beim-bundestag.de). Der Chatbot greift dabei auf ein Netzwerk namens AuroraAI (vm.fi) zurück, welches vom finnischen Finanzministerium koordiniert wird (vm.fi). Das Netzwerk bündelt und verknüpft digitale Dienstleistungen der öffentlichen Verwaltung und soll zukünftig auch für private oder zivilgesellschaftliche Anbieter geöffnet werden.

Somit muss man nicht mehr selbst in Erfahrung bringen, welche Dienstleistungen es gibt und wo diese angeboten werden. Dadurch sollen Dienstleistungen insgesamt zugänglicher gemacht werden (vm.fi). Über die technische Umsetzung des AuroraAI-Chatbots ist allerdings recht wenig bekannt (digifinland.fi).

Auch in Deutschland verwenden bereits einige Behörden Chatbots, um Bürger:innen über ihre angebotenen Leistungen zu informieren. So nutzt Berlin beispielsweise den Chatbot Bobbi (service.berlin.de), dem man Fragen zu ausgewählten Dienstleistungsangeboten der Berliner Verwaltung stellen kann. Häufig zitiert Bobbi dann die Inhalte der zugehörigen Webpage oder stellt die entsprechenden Links zur Verfügung. Heidelberg bietet seit 2021 mit dem Chatbot „Hardi“ (heidelberg.de) ähnliche Informationsmöglichkeiten, mit einem Fokus auf das Angebot der Bürgerämter. Auch in weiteren Städten wie Köln (stadt-koeln.de) oder Hamburg (hamburg.de) bieten einzelne Behörden einen entsprechenden Chatbot an.

Auf Bundesebene bietet die Verwaltung Chatbots für alle Bürger:innen an, die sogenannten Bundesbots (itzbund.de). So beantwortet der Chatbot TinA des Zolls (bundesbots.de) Fragen rund um den grenzüberschreitenden Waren-, Personen- und Dienstleistungsverkehr, während der Chatbot Felia (bundesbots.de) beispielsweise Fragen rund um die Warnapp „Nina” beantwortet. Das Bundesministerium des Innern für Bau und Heimat (BMI) hat den KI-gestützten Chatbot „KAI” entwickelt, der Reisenden und Migrant:innen bei Einreise- und Aufenthaltsfragen behilflich sein soll (bundesbots.de).

Die Chatbots der Bundesverwaltung werden hierbei stetig ausgebaut und um neue Angebote erweitert. Langfristig ist hiermit auch die Vision verbunden, alle einzelnen Bundesbots zu einem Bundesassistenten zusammenzuführen, damit Bürger:innen das Dienstleistungsangebot der Behörden unabhängig von Zuständigkeiten nutzen können. Die entsprechenden Anfragen sollen dann dem jeweils passenden Chatbot zur Beantwortung zugeteilt werden.

Hierbei ist die Funktionalität der bisher in der öffentlichen Verwaltung verfügbaren Chatbots jedoch verhältnismäßig überschaubar. Bekannte Fragen (Frequently Asked Questions oder FAQs) werden mit vorgefertigten Texten beantwortet und weitergehende Angebote oder Nachfragen zur Verfügung gestellt. Stellenweise werden KI-Tools in Form von Übersetzungen oder Feedbacksystemen genutzt. Unbekannte oder stark umformulierte Fragen können diese Chatbots jedoch häufig nicht beantworten.

Während aktuell eingesetzte Chatbots lediglich häufig gestellte Fragen beantworten, könnte der Einsatz von Large Language Models (LLM) in der öffentlichen Verwaltung die Bearbeitung von komplexeren Anfragen, z.B. zu städtischen Klimaschutzmaßnahmen, ermöglichen. Large Language Models wie ChatGPT sind künstliche neuronale Netzwerke, welche mit großen Datenmengen trainiert werden. Mehr Informationen zu den technischen Hintergründen von LLMs wie ChatGPT und deren Einsatz in der Lehre finden sich in unserem Artikel aus einer vorherigen Ausgabe des GI-Radars (gi-radar.de).

Die Möglichkeit des verstärkten Einsatzes von LLM in öffentlichen Chatbots könnte den Mehrwert und die Attraktivität dieser Technologie steigern. Allerdings bringt dies potenzielle Risiken mit sich, insbesondere in Bezug auf Datenschutz und die Genauigkeit der bereitgestellten Informationen.

Aktuelle LLMs stammen vor allem aus den USA und Anfragen werden von US-Servern verarbeitet. Dies wird den Datenschutzansprüchen europäischer Behörden nicht gerecht. Europa bleibt hinsichtlich der technischen Kapazitäten noch einige Jahre hinter den USA oder China zurück (europa.eu).

Da LLMs stochastische Verfahren nutzen, um Antworten zu generieren, können hierbei auch Fehler auftreten und möglicherweise falsche Informationen weitergegeben werden. Insbesondere im Kontext von behördlichen Dienstleistungen stellt dies für das Vertrauen in die öffentliche Verwaltung ein großes Problem dar. Dieses könnte zwar durch manuelle oder stichprobenhafte Prüfungen von Antworten durch menschliche Bearbeiter:innen gemindert, jedoch wohl kaum komplett aus der Welt geschafft werden. Da also keine Garantie für verlässliche Informationen durch stochastische Verfahren gegeben werden kann, bleibt die Frage offen, ob überhaupt ein verantwortungsvoller Einsatz der Technologie möglich ist. Eine Studie zum Einsatz von Chatbots in der Verwaltung (sciencedirect.com) legt nahe, dass die Akzeptanz öffentlicher Chatbots stark vom Anwendungsgebiet und der Kommunikation bei ihrer Einführung abhängt.

Auch muss man sich fragen, ob es zum Einsatz von LLM für behördliche Webseiten überhaupt dedizierte Chatbots benötigt. Durch LLM gestützte Suchmaschinen wie Bing AI können bereits jetzt die Inhalte von Internetseiten analysieren und basierend hierauf passende Antworten geben. Wird diese Technologie noch weiterentwickelt, könnte vielleicht schon diese Technologie viele Informationen zugänglicher machen. Die Frage nach dem Datenschutz kann dabei jedoch nicht gelöst werden.

Ganz abgesehen vom Einsatz von LLM für Chatbots sollte in der Diskussion der Aspekt der Barrierefreiheit und Inklusion nicht vernachlässigt werden. Dauerhafte Verfügbarkeit und die potenzielle sprachliche Flexibilität könnten die Zugänglichkeit verbessern und insgesamt zu einer positiven Bürgerservice-Erfahrung führen. Auch beim Ausfüllen komplizierter Formulare könnten Chatbots möglichst barrierefrei unterstützen. Andererseits mangelt es den Chatbots an Empathie, insbesondere in sensiblen Situationen oder bei komplexen Anliegen, in denen menschliche Intuition und Einfühlungsvermögen erforderlich sind. Wenn bei Sachbearbeiter:innen durch den Einsatz von Chatbots mehr Kapazitäten frei werden, können diese zumindest theoretisch für genau diese eher menschlichen Kompetenzen eingesetzt werden.

Wirtschaftliche Aspekte, wie die möglichen Kostenersparnisse durch die Reduzierung des Personalaufwands und eine gesteigerte Effizienz durch die Verarbeitung von mehreren Anfragen gleichzeitig, führen zu Bedenken hinsichtlich des Verlusts von Arbeitsplätzen. Gleichzeitig könnten Chatbots durch die zentrale Aufbereitung von Daten aus Bürger:innen-Interaktionen wertvolle Einsichten für die Verwaltung liefern, um ihre Dienste weiter zu verbessern. Abschließend bleibt zu sagen, dass – während Chatbots das Potenzial haben, den öffentlichen Sektor zu revolutionieren – eine sorgfältige Abwägung und Umsetzung erforderlich ist, um die bestmöglichen Ergebnisse zu erzielen

Dieser Überblick wurde verfasst von Lasse Cezanne, Benjamin Stopp und Yasmina Adams aus der Redaktionsgruppe „SocIeTy“. Da sowohl gesellschaftlich als auch politisch insbesondere im Rahmen der Verwendung neuer Technologien immer wieder Diskussionsbedarf entsteht, freuen wir uns, gemeinsam einen Diskurs zu genau solchen Themen zu gestalten. Verlinken (und folgen) Sie uns gerne auf X (vormals Twitter) unter @society_read. Sie erreichen uns außerdem unter redaktion.sozioinformatik@cs.uni-kl.de.

GI-MELDUNGEN

INFORMATIK 2023 – virtuell dabei sein. Zu viel unterwegs, aber trotzdem Lust auf das diesjährige Informatikfestival? An der GI-Jahrestagung können Sie in Teilen auch virtuell teilnehmen – eine Vielzahl an Workshops und das gesamte Hauptprogramm wird gestreamt. Eine Veranstaltungsübersicht und Tickets gibt es unter weiterlesen

Konrad-Zuse-Medaille für Anja Feldmann. In diesem Jahr wird Anja Feldmann aus Saarbrücken mit der Konrad-Zuse-Medaille für Informatik ausgezeichnet. Anja Feldmann forschte zu Computernetzwerke und Internetverkehr während der Corona-Pandemie. Dabei hat sie den drastisch gestiegenen Internetverkehr analysiert und zum effektiven Management beigetragen. weiterlesen

Auszeichnung von drei neuen Junior-Fellows. Auf der INFORMATIK 2023 werden Clarissa Sabrina Arlinghaus, Birte Heinemann und Burkhard Ringlein als Junior-Fellows 2023 ausgezeichnet. Gemeinsam verstärken sie den Kreis der Junior-Fellows und ergänzen die thematische Ausrichtung um Aktivitäten zum Thema Energieeffizienz, Lernen im virtuellen Raum und Quereinstieg in die Informatik. Wir freuen uns auf die Drei. weiterlesen

In die Ferne schweifen: Fachexkursion für Mitglieder in die USA. Im März kommenden Jahres bietet die GI eine Fachexkursion für Mitglieder ins Silicon Valley an. Neben Besuchen von Unternehmen stehen die Universität Berkeley und vielfältige, touristische Highlights auf dem Programm.  weiterlesen

Kennen Sie eigentlich den GI-Pressespiegel? Dort sammeln wir die Berichterstattung über unsere Fachgesellschaft in Zeitungs-, Radio- und Fernsehbeiträgen. Unter anderem hat der SWR eine Sendung zum Thema „Informatik als Pflichtfach“ ausgestrahlt, in der Stefan Seegerer, der Träger des Helmut- und Heide-Balzert-Preises aus dem letzten Jahr, ausführlich zu Wort kommt. Schauen Sie rein, es gibt da immer wieder Neues oder auch ältere Fundstücke.

FUNDSTÜCK

Goodhart's Law. Goodhart's Law, das besagt: „Wenn eine Messgröße zum Ziel wird, hört sie auf, eine gute Messgröße zu sein“, ist Ihnen vielleicht ein Begriff. Doch wie praktikabel und nützlich ist diese Regel wirklich im Geschäftsbetrieb? Cedric Chin hinterfragt in seinem Blogbeitrag die Alltagstauglichkeit von Goodhart's Law. Er beleuchtet, wie Unternehmen wie Amazon sich diesem Gesetz stellen und in ihrem wöchentlichen Geschäftsbericht die damit verbundenen Herausforderungen meistern. Für alle, die schon immer wissen wollten, warum das Maß der Dinge nicht immer maßgeblich ist: Dieser Artikel bietet spannende Einblicke!.  Zum Fundstück (commoncog.com, engl.)

Welches Fundstück hat Sie zuletzt inspiriert? Senden Sie uns Ihre Ideen!

 

Dies war Ausgabe 342 des GI-Radars vom 22.9.2023. Zusammengestellt hat diese Ausgabe Dominik Herrmann, der froh ist, dass die GI-Radar-Beiträge nicht so formuliert werden müssen, dass sie möglichst viele Klicks generieren. GI-Geschäftsführerin Cornelia Winter hat die Mitteilungen und Meldungen zusammengetragen. Das nächste Radar erscheint am 6. Oktober 2023.

Im GI-Radar berichten wir alle zwei Wochen über ausgewählte Informatik-Themen. Wir sind sehr an Ihrer Meinung interessiert. Für Anregungen und Kritik haben wir ein offenes Ohr, entweder per E-Mail (redaktion@gi-radar.de) oder über das Feedback-Formular bei SurveyMonkey. Links und Texte können Sie uns auch via X (vormals Twitter) unter @informatikradar zukommen lassen.