GI-Radar 388: Mehr IT-Souveränität mit Mastodon

 

Liebe Leserinnen und Leser,

In dieser Ausgabe behandeln die Kurzmitteilungen Techniken im Wandel – von Bargeld über Suchmaschinen bis zu Handyverboten an Schulen. Das Thema im Fokus plädiert für digitale Souveränität statt Abhängigkeit von großen Plattformen. Die GI-Meldungen informieren über unsere NIS-2-Stellungnahme, laufende Wahlen, das Informatik-Festival 2026 in Dresden und die Berufung eines GI-Redaktionsmitglieds ins Kuratorium der Stiftung Warentest. Das Fundstück ist ein textbasiertes Spiel, in dem Sie als Raumschiff-KI die letzten Menschen retten.

Wir wünschen Ihnen viel Spaß mit dieser Ausgabe.

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Bargeldvorrat + Werbeeinnahmen rückläufig + Mobiltelefonverbot in australischen Schulen + Navigationsverbesserung + Fediverse und unabhängige Tools + NIS-2-Stellungnahme + GI-Wahlen + Informatik Festival 2026 in Dresden + Kuratorium der Stiftung Warentest + Seedship

KURZMITTEILUNGEN

Portemonnaie in der Uhr oder dem Mobiltelefon? Bargeld! (Spiegel). Die dänische Regierung empfiehlt, sich nicht nur auf digitale Zahlungsmethoden zu verlassen, sondern auch eine bestimmte Summe Bargeld im Haus zu haben. Nach den Erfahrungen des Ausfalls aller digitalen Zahlungsmöglichkeiten im Sommer legt sie der Bevölkerung nahe, sich nicht nur auf elektronische Bezahlmethoden zu verlassen. Auch andere europäische Regierungen plädieren dafür, ein Minimum an Münzen und Scheinen bereitzuhalten.  weiterlesen

Googeln Sie etwa noch? Chatbots und Websuche (SZ). Wer etwas im Web sucht, hat jahrelang gegoogelt. Dadurch landete man auf einer Seite mit Links – und vielen Unternehmen bescherte der Klick auf die entsprechenden Verweise Einnahmen. Wenn es nun nicht mehr nötig ist, sich das Wissen über das Anklicken von Links zu beschaffen, sondern, wie jetzt in der meistgenutzten Suchmaschine implementiert, einen fertigen Artikel zur Frage bekommt: Was passiert dann? Verlage und Internetwirtschaft fürchten um Sichtbarkeit und Einnahmen.  weiterlesen

Australien: Verbot von Mobiltelefon an Schulen steigert die Aufmerksamkeit (The Guardian, engl.). Zwei Jahre, nachdem Australien Mobiltelefon an Schulen verboten hat, wird das Ergebnis evaluiert. Auf der einen Seite lässt sich bei den Schülerinnen und Schülern eine gesteigerte Aufmerksamkeit und ein besseres Lernen feststellen. Auf der anderen Seite geht auch Manches verloren, wo Mobiltelefone als Recherchemedium zum Lernerfolg beigetragen haben.  weiterlesen

Verloren im Großstadtdschungel? Bessere Navigation durch Kombination von Diensten (Golem). Sie kennen das sicherlich: der blaue Punkt auf der Karte zeigt Sie in einem ganz anderen Gebäude als Sie tatsächlich sind. Die Navigation in Städten und Häuserschluchten ist mitunter schwierig. Durch die Verknüpfung verschiedener Dienste wird hier eine deutliche Verbesserung erreicht.  weiterlesen

THEMA IM FOKUS

Mikroblogging-Dienst Mastodon als ein Baustein für die IT-Souveränität Europas. Das Thema „Digitale Souveränität“ ist in vieler Munde und meist geht es dabei darum, wie sich digitale Abhängigkeiten reduzieren lassen. Dieser Artikel gibt einen Ausblick, wie sich einzelne Institutionen oder Personen vergleichsweise einfach mehr Unabhängigkeit verschaffen können.

Um die vielfach diskutierte IT-Souveränität Europas auszubauen und Abhängigkeiten von Technologiemonopolen zu reduzieren, sind eine Reihe von Software-Systemen bei öffentlichen Stellen zu ersetzen oder durch Zweitsysteme zu ergänzen. Das betrifft auch die sozialen Medien, die häufig von den großen kommerziellen US-Plattformen angeboten werden. In letzter Zeit sind X, Instagram, Facebook, YouTube und TikTok zunehmend zum Sprachrohr demokratiefeindlicher und rechtsextremer Stimmen geworden, die sich mittels algorithmischer Steuerung massenhaft verbreiteten und so den Diskurs oft dominieren. Algorithmen, die auf eine Maximalzahl von Clicks abzielen, führen aber zu einer ungleichen Verstärkung von Desinformationen, z.B. beim Klimawandel. Die von der EU schrittweise in Kraft gesetzten Rechtsakte DMA und DSA haben daran bisher nichts ändern können, denn die Internetkonzerne legen durchgängig Widerspruch gegen die ergangenen Anordnungen und Gerichtsurteile ein und versuchen so, die Umsetzung europäischer Rechtsnormen möglichst weit hinauszuzögern und zu umgehen. Der Branchenverband bitkom kommentierte in einer Stellungnahme Komplexität, Lücken und mangelhafte Durchsetzbarkeit des DMA.

Wie bei anderen Software-Systemen besteht auch im Fall der sozialen Medien die erfreuliche Situation, dass alternative und sogar bessere Dienste verfügbar sind. Ihrer Verbreitung stand bisher allerdings die mangelnde Interoperabilität der großen Plattformen entgegen, die viel Aufwand betreiben, um die Nutzer:innen systematisch an sie zu binden (fear of missing out).

Doch bereits 2018 wurde vom Worldwideweb-Consortium (W3C) das ActivityPub-Protokoll als Standard für soziale Dienste im Internet verabschiedet. Es umfasst die Interoperabilität der verschiedenen Dienste und setzt auf eine dezentrale Struktur, sodass die Nutzer:innen nicht an eine zentrale Instanz (z.B. instagram.com) gebunden, sondern in ein Netzwerk von unabhängigen Servern/Instanzen eingebunden sind. So entstanden in den letzten Jahren eine Reihe von Open-Source Anwendungen auf Basis des ActivityPub-Protokolls, die die etablierten Dienste 1:1 ersetzen können; wie Mastodon für X, PeerTube für YouTube, Pixelfed für Instagram usw. Seine dezentrale Struktur macht das Netzwerk zu einer digitalen Föderation der miteinander kommunizierenden Instanzen, weshalb die Gruppe der Dienste auch als Fediversum oder Fediverse bezeichnet wird.

Insbesondere die X-Plattform erregte in den letzten Jahren zunehmend Befremden und Unwillen bei Nutzer:innen aus der Wissenschaft und darüber hinaus. Denn mit der Übernahme von Twitter (nachfolgend dann X) durch eine Investorengruppe um Elon Musk nahmen Wissenschaftsfeindlichkeit, Desinformation, Hass und Hetze immer groteskere Formen an. Viele der auf der Plattform veröffentlichen Posts verstoßen gegen das strafrechtliche Verbot von Volksverhetzung (§130 StGB), verbreiten massiv Antisemitismus und Rassismus, dienen der Leugnung des Klimawandels oder russischen Kampagnen zur Spaltung der Gesellschaften Europas. X hat sich so zu einem für die Wissenschaftskommunikation völlig ungeeigneten Dienst entwickelt und wird für die demokratische Verfasstheit von Staaten inzwischen als Bedrohung angesehen.

Nachdem ab 2022 zahlreiche Wissenschaftler:innen die Plattform verlassen hatten, initiierte im Januar 2024 das „Aktionsbündnis neue soziale Medien“ einen Appell an die Hochschulrektorenkonferenz (HRK), in dem die Hochschulen aufgefordert wurden, ihre Accounts auf X stillzulegen und stattdessen bei Mastodon aktiv zu werden. Im Laufe eines Jahres wurden über 2.000 Unterschriften gesammelt und Anfang 2025 der HRK übergeben. Dabei war die Reaktion der HRK eher verhalten. Mehr Dynamik entwickelte sich aus der Gründung weiterer Initiativen für einen eXit im Laufe des Jahres 2024 wie #ByeByeElon, #QuitX, #LeaveX, #WissXit oder #SaveSocial, die sich alle kritisch mit der Entwicklung der großen Plattformen auseinandersetzten. Außerdem schlossen sich große Digital-Organisationen wie u.a. der CCC, Digitalcourage und Wikimedia den Forderungen des Aktionsbündnisses an (vergl. die Vortragsfolien von der GI-JV).

Anfang des Jahres verkündeten dann zahlreiche Hochschulen und Forschungseinrichtungen ihren Rückzug von X. Mittlerweile posten mehr als 170 von ihnen und eine ganze Reihe wissenschaftlicher Fachgesellschaften auf Mastodon. Ein von der Flensburger Software-Schmiede 54gradsoftware verfasstes Programm aktualisiert die Listen jeden Tag aufs Neue.

Eine wesentliche Aufwertung erfuhr das Fediverse unmittelbar nach dem letzten Informatik-Festival der GI, als der Bundesdigitalminister den Einstieg des BMDS bei Mastodon verkündete und erklärte „Wir sind ab heute auch bei Euch auf Mastodon. … Wir reden soviel über digitale Souveränität. Und dazu gehört eben auch, dass wir die guten, starken Plattformen, die wir in Deutschland und Europa haben, auch aktiv nutzen“. In der letzten Woche wurde Mastodon zudem der Grimme-Online-Award verliehen – stellvertretend für die Idee des Fediverse.

Wir sind also schon ein gutes Stück vorangekommen bei der digitalen Transformation der sozialen Medien. Dennoch bleibt noch manches zu tun. Wie kann jede/r von uns dabei behilflich sein, dass der Aufbau wirklich sozialer Medien weiter vorangeht?

1. Zum ersten können wir daran mitwirken, das Netzwerk der aktiven Einrichtungen noch zu erweitern. Hat meine Hochschule, mein Institut oder meine Firma schon einen Mastodon-Account? Die Listen von 54GradSoftware geben darüber Auskunft und zwar für HochschulenForschungseinrichtungenFachgesellschaften wie die GI, aber auch für Städte und Gemeinden. Und für die Hochschulen, Ämter und Behörden, die noch fehlen, hat das Aktionsbündnis eine Kurzbroschüre verfasst, die dabei hilft, einen Account anzulegen. Und auch Standardbriefe sind verfügbar, mit der die eigene Gemeinde zur Nutzung von Mastodon aufgefordert werden kann.

2. Wer noch keinen eigenen Account hat, lege sich einen zu. Es gibt verschiedene Anleitungen dafür im Netz, u.a. von der BfDI, von Digitalcourage und anderen. Von manchem Neuling wird ein Vorteil des Fediverse, nämlich seine Dezentralität, als Problem empfunden, weil es zu Beginn eine Festlegung der Heimat-Instanz erfordert. Doch letztlich ist das nur ein Scheinproblem, denn wenn man nach einiger Zeit damit nicht mehr zufrieden ist, ist der Wechsel zu einer anderen Instanz einfach möglich – unter Mitnahme der eigenen Posts und Follower; ein weiterer Vorteil gegenüber den kommerziellen Plattformen. Die meisten Neulinge werden ihre Aktivität darauf beschränken, bestimmten Accounts (wie dem der GIOSBA und FSFE, dem FIfFBSIZendis und DFN oder den Fedi.tips) sowie Hashtags (wie #digitaleSouveränität #FOSS etc.) zu folgen. Viele weitere relevante Accounts finden sich auf den oben genannten Listen; konsultiert werden können auch die sogenannten Starterpacks. Und nach einiger Zeit ergibt sich der erste eigene Post meist „wie von selbst“ (Hashtag #neuhier dann nicht vergessen). Anleitungen zur Nutzung des Fediverse werden auch auf Workshops gegeben, wie demnächst im Rahmen der Aktionstage „Netzpolitik und Demokratie“ der Bundes- und Landeszentralen für politische Bildung.

3. Ein interessantes Modell haben die DGHD und GMW etabliert, indem sie einen eigenen Fediverse-Server aufsetzten, der sowohl zur vereinsinternen wie auch zur Kommunikation mit der interessierten Öffentlichkeit genutzt werden kann. Wäre das nicht auch eine interessante Option für die GI und die bei ihr beheimateten IT-Profis? Ein eigener Server dient der Identifizierung mit einer offiziellen Affiliation, unterstützt das Community-Building der eigenen Gemeinschaft und erlaubt die Durchsetzung eigener Inhaltsnormen. In der Fachgesellschaft der Physiker:innen, in der DPG, wird solch ein Szenario gerade diskutiert.

All das sind wichtige Schritte hin zu einer europäischen IT-Souveränität. Und mit der Nutzung von Mastodon und anderen Fediversediensten bietet sich die Möglichkeit, nicht nur auf die richtigen Weichenstellungen der großen Politik zu warten, sondern sie direkt bei sich selbst und „vor der eigenen Haustür“ anzugehen. Wir können in diesem Moment damit beginnen: https://joinmastodon.org.

Diesen Text haben Mario Birkholz, TU Berlin, und Sebastian Späth, Universität Hamburg, für das Aktionsbündnis neue soziale Medien beigesteuert. Vielen Dank!

GI-MELDUNGEN

Bundestag veröffentlicht GI-Stellungnahme zur NIS-2-Richtlinie. Die GI hat zum Gesetzesentwurf zur Umsetzung der NIS-2-Richtlinie Stellung genommen und diese dem Bundestag zur Kenntnis gegeben. Als Ausschussdrucksache vom 13. Oktober ist die GI-Stellungnahme nun veröffentlicht worden.  weiterlesen

GI-Wahlen zu Vorstand und Präsidium: schon über 1100 Stimmen in der Urne! Seit knapp zwei Wochen Welt läuft unsere große Wahl für die Leitung der GI ab dem kommenden Jahr. Bereits mehr als 1100 GI-Mitglieder haben ihre Stimme abgegeben. Falls Sie noch nicht dabei sind: Wir freuen uns auf Ihre Kreuzchen.  weiterlesen

Auf nach Dresden: Informatik Festival 2026. Unter dem Motto „Digitale Resilienz“ veranstalten wir vom 22. bis zum 25. September in Dresden unsere Jahrestagung als großes Festival. Der Call for Participation zur Einreichung von Workshops ist eröffnet. Wir freuen uns auf eine rege Beteiligung.  weiterlesen

In eigener Sache: Berufung ins Kuratorium der Stiftung Warentest. Die Stiftung Warentest hat den Chefredakteur unseres GI-Radars, Ex-Juniorfellow und Ex-Präsidiumsmitglied Dominik Herrmann, als eines von sechs neutralen Mitgliedern in ihr Kuratorium berufen. Des Weiteren vertreten jeweils sechs Personen die Verbraucherschaft und die anbietende Wirtschaft. Wir gratulieren und freuen uns, dass ein GI-Mitglied das Kuratorium der Stiftung Warentest mit seiner informatischen Expertise zum digitalen Verbraucherschutz bereichert.  weiterlesen

 

Kennen Sie eigentlich den GI-Pressespiegel? Dort sammeln wir die Berichterstattung über unsere Fachgesellschaft in Zeitungs-, Radio- und Fernsehbeiträgen. Schauen Sie rein, es gibt da immer wieder Neues oder auch ältere Fundstücke.

FUNDSTÜCK

Seedship: Ein textbasiertes Strategiespiel über das Überleben der Menschheit. Seedship von John Ayliff ist ein prozedural generiertes Roguelike-Spiel, in dem man die KI eines Kolonialraumschiffs steuert, das mit 1000 kryokonservierten Menschen einen neuen Heimatplaneten suchen muss. Das Spielprinzip basiert auf Push-your-Luck-Mechaniken: Bei jeder Planetenerkundung muss man entscheiden, ob man auf einer suboptimalen Welt landet oder weiterfliegt – mit dem Risiko, dass Schiffssysteme wie Scanner, Kulturarchive oder Konstruktionsmodule durch Zufallsereignisse beschädigt werden. Das Twine-Spiel zeigt, wie viel narrative Tiefe und strategische Komplexität mit Textinterfaces möglich sind.  Zum Fundstück (philome.la)

Welches Fundstück hat Sie zuletzt inspiriert? Senden Sie uns Ihre Ideen!

 

Dies war Ausgabe 388 des GI-Radars vom 17.10.2025. Zusammengestellt hat diese Ausgabe Dominik Herrmann, der angesichts seines miserablen Abschneidens in Seedship sehr froh ist, keine für das Überleben der Menschheit kritischen Entscheidungen treffen zu müssen. Die Kurzmitteilungen und die GI-Meldungen haben GI-Mitglied Burkhard Hoppenstedt und GI-Geschäftsführerin Cornelia Winter zusammengetragen. Das nächste GI-Radar erscheint am 31. Oktober.

Im GI-Radar berichten wir alle zwei Wochen über ausgewählte Informatik-Themen. Wir sind sehr an Ihrer Meinung interessiert. Für Anregungen und Kritik haben wir ein offenes Ohr, entweder per E-Mail (redaktion@gi-radar.de) oder über das Feedback-Formular bei SurveyMonkey.