Schulfächer

Fach Informatik: Eine Frage der Gerechtigkeit

Schritt für Schritt wird Informatik bundesweit zum Pflichtfach. Die Gesellschaft für Informatik (GI) ist daran nicht unbeteiligt. Sie hält die Einführung von Informatik sogar für eine Frage der Gerechtigkeit.

05.01.2023 Bundesweit Artikel Inge Michels, Ernst Klett Verlag GmbH
  • © www.pixabay.de

Warum das so ist und welche Argumente noch für ein Pflichtfach sprechen, erläutert Dr. Peer Stechert, Informatiklehrer und Sprecher des GI-Fachausschusses „Informatische Bildung in Schulen“ (IBS).

Die Relevanz von Informatik in Schule und Unterricht muss man kaum noch jemandem erläutern. Aber muss Informatik gleich zum Pflichtfach werden?

Ja, ich sehe das so. Informatische Bildung ist der zentrale Schlüssel, um den digitalen Wandel in der Gesellschaft erfolgreich, inklusiv und nachhaltig zu gestalten. Der Stand der Informatikbildung in Deutschland zeigt einen großen Flickenteppich, von durchgängigem verpflichtenden Informatik-Unterricht ab Klassenstufe 5 wie etwa in Mecklenburg-Vorpommern bis zum Fehlen jeglichen Angebots für Informatik-Unterricht in Sekundarstufe I und II in anderen Ländern. Das hat zuletzt unser Informatik-Monitor gezeigt. Wir müssen aber gewährleisten, dass alle Kinder und Jugendlichen die Möglichkeit bekommen, unsere digitale Welt zu verstehen und zu gestalten. Das ist einfach auch eine Gerechtigkeitsfrage. Jeder sollte z. B. die Gesetzmäßigkeiten verstehen, die hinter einem Algorithmus stecken.

Mündigkeit als Ziel

Gerechtigkeit ist ein großes Wort. Was genau meinen Sie?

Wir Lehrkräfte haben das Ziel, Schülerinnen und Schüler zu mündigen Bürgerinnen und Bürgern zu erziehen. In der digitalen Transformation, in der wir uns befinden, gehört dazu, Kinder und Jugendliche hinter die Fassade der digitalen Infrastruktur zu führen. Erst dann können sie zum Beispiel verstehen, wie viele verschiedene Stationen eine Mail durchläuft, bevor sie den adressierten Posteingang erreicht. Sie sollten lernen, Chancen und Gefahren digitaler Kommunikationswege abzuwägen, um sich begründet entscheiden zu können, welchen Messengerdienst sie etwa auf ihrem Smartphone installieren möchten.

Noch einmal die Frage, warum das nicht innerhalb eines anderen Faches oder fächerübergreifend in Projekten gelingen kann.

Ganz ehrlich, nach meiner Beobachtung reicht dafür die spezifische Kompetenz in Informatik bei den meisten Lehrkräften nicht aus, auch nicht der Zugang zur digitalen Transformation, mit der ja ein gesellschaftlicher Wandel erheblichen Ausmaßes einhergeht. Ich erläutere das gerne am Dagstuhl-Modell. Das Modell ist ein Dreieck, es zeigt drei Perspektiven der Digitalisierung auf. Die technologische Perspektive fragt danach, wie etwas funktioniert. Die anwendungsorientierte Perspektive fragt danach, wie oder wofür ich die Technik nutze und die gesellschaftlich-kulturelle Perspektive fragt: Wie wirkt das? In dem Fach Informatik geht es um diese drei Perspektiven, das heißt, Informatik geht weit über das Beherrschen bestimmter Tools hinaus.   

Ausprobieren und selbstwirksam werden

Wenn Informatik also ein Pflichtfach werden soll, dann muss es auch um Fragen der Methodik und Didaktik gehen. Wie sehen Sie das: Brauchen Mädchen und Jungen aus Ihrer Sicht eine unterschiedliche Ansprache? Die Autorin Kati Ahl hat in ihrem neuen Buch „Frauen und Digitalität – jetzt“ herausgearbeitet, dass Mädchen einen anderen Zugang als Jungen zu Informatik haben.

Das würde ich befürworten. Mädchen fragen stärker nach dem „Warum?“. Sie wollen den unmittelbaren Nutzen einsehen und interessieren sich für kommunikative Aspekte der Informatik. Sie spielen mit der Technik weniger um des Spielens willen. Wenn wir beim Bild des Dagstuhl-Modells bleiben, dann interessieren sie sich mehr für die gesellschaftliche Perspektive. Trotzdem ist es ihnen wichtig, digital kompetent zu sein. Jungen und Mädchen erleben sich gleichermaßen selbstwirksam, wenn sie zum Beispiel mit einer blockbasierten Programmiersprache erste Erfolge haben, weil sie etwa einen kleinen Roboter programmieren.

Das heißt, bei digitaler Kompetenz geht es auch darum, schnell ins selbstverantwortete „Tun“ zu kommen, oder?

Genau. Informatische Kompetenzen erwachsen aus der aktiven Auseinandersetzung mit den Inhalten. Unter dem Stichwort physical computing erleben Schülerinnen und Schüler eine direkte Verbindung der Digitaltechnik mit der physischen Welt, die sie selbst beeinflussen, verändern, an ihre Ideen anpassen können. Wir können auch von einer „anfassbaren Informatik“ sprechen. So wird das Selbstbewusstsein der Kinder gestärkt und sie finden einen eigenen Zugang zur Informatik. Was mir in diesem Zusammenhang wichtig ist: Die Schülerinnen und Schüler sollen ins kreative Gestalten und Handeln kommen. Über diesen Weg werden sie digital mündig. Darauf ist nicht zuletzt das Kompetenzmodell der GI-Bildungsstandards für das Fach Informatik ausgerichtet.

Setzt euch zusammen, bildet Teams!

Der Ruf nach Informatik als Pflichtfach trifft auf den Lehrkräftemangel. Was können interessierte Lehrkräfte anderer Fächer dennoch tun, um mehr informatorische Bildung in die Schulen zu holen? Wozu können Sie ermuntern?

Mein Appell ist: Habt Lust auf Veränderung! Habt keine Angst! Setzt euch zusammen und bildet an eurer Schule kleine Teams, bleibt keine Einzelkämpfer. Nehmt an einer Informatik-Weiterbildungsmaßnahme teil und vertraut auf tolle Unterrichtsmaterialien, die es inzwischen gibt. Traut euch, kreativ  zu sein und startet mit fächerübergreifenden Projekten. Auch wenn ihr fachfremd seid – Kompetenz und der Spaß kommen beim Ausprobieren.    

Das Gespräch führte Inge Michels


Dieser Beitrag wurde zuerst veröffentlicht in:
Klett Themendienst Nr. 110 (12/2022)



Mehr zum Thema


Schlagworte

Keine Kommentare vorhanden

Sie sind derzeit nicht angemeldet. Um Kommentare verfassen zu können, müssen Sie sich vorab bei uns registrieren. Alternativ können Sie sich über Ihren Facebook-Account anmelden.
Anmelden