Ist das die Suchmaschine der Zukunft?

Neuartige Chatbots verändern gerade die Art, wie wir Dinge im Internet suchen – eine einmalige Chance, Google vom Thron zu stossen. Nicht nur Microsoft ist in den Startlöchern, auch Startups wittern eine Chance.

Marie-Astrid Langer, San Francisco, Ruth Fulterer 7 min
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Befehle tippen, Links klicken – das war einmal. Vielleicht unterhalten wir uns in Zukunft einfach mit unseren Computern.

Befehle tippen, Links klicken – das war einmal. Vielleicht unterhalten wir uns in Zukunft einfach mit unseren Computern.

Goran Basic / NZZ

Im Markt für Suchmaschinen hat Google ein Monopol, von dem andere Firmen in anderen Branchen nur träumen können. Mehr als 90 Prozent Marktanteil hat der Konzern gemäss diversen Schätzungen erreicht. Und Bing? Von der abgeschlagenen Nummer zwei haben viele Internetnutzer nicht einmal gehört, Microsofts Suchmaschine hat einen Marktanteil im einstelligen Prozentbereich. Doch zum ersten Mal seit Jahrzehnten könnte der Markt für Suchanfragen nun revolutioniert werden.

Um das zu verstehen, muss man einen kleinen Schritt zurückgehen. Im November lancierte das in San Francisco ansässige Startup Open AI ein neuartiges Programm namens Chat-GPT – und löste damit weltweit ein Erdbeben aus. Chat-GPT ist keine herkömmliche Suchmaschine, sondern ein Chatbot – also ein auf künstlicher Intelligenz basierendes Sprachmodell. Fragen von Nutzern beantwortet das Programm nicht mit Links, wie dies klassische Suchmaschinen tun, sondern mit verständlich formulierten Texten, durch künstliche Intelligenz (KI) generiert. Plötzlich kann man mit dem Computer wie mit Menschen reden und bei Bedarf nachfragen.

Ist das die Suchmaschine der Zukunft: Statt dem Klicken, Lesen und Scrollen der bisherigen Internet-Suche einfach einen Chatbot befragen, der freundlich und konzise auf alles eine Antwort weiss?

Open AI wurde schlagartig bekannt

Mehrere Firmen tüfteln seit Jahren an solch fortgeschrittenen Sprachmodellen, doch Open AI gab sie als erste und öffentlichkeitswirksam zum Experimentieren frei. Jedermann kann dem Chatbot nun Fragen stellen. Etwa: «Wann fand die erste Fifa-WM statt?» Die Antwort: «Die erste Fifa-Weltmeisterschaft fand 1930 in Uruguay statt.»

Fragt man nach, was die Highlights gewesen seien, fügt die KI noch ein paar Fakten an: wer gewonnen hat, wo genau die Spiele ausgetragen wurden, wie viele europäische Mannschaften dabei waren. Bei einer herkömmlichen Suche müsste man für diese Infos erst einmal drei bis vier Links anklicken.

Zurzeit ist der Dienst gratis, irgendwann will Open AI für die Nutzung Geld verlangen. Das Startup zählt Microsoft zu seinen grössten Investoren. Der Techkonzern investierte 2019 eine Milliarde Dollar in das Startup und bezahlt zudem die teure Computerinfrastruktur, auf der die KI-Modelle laufen. Wie jüngst bekanntwurde, darf Microsoft im Gegenzug die von Open AI entwickelten KI-Dienste in seine Produkte einbauen – allen voran in die Suchmaschine Bing.

Der Konzern teilte am Dienstag mit, dass nun den Kunden seiner Cloud Azure die neusten Open-AI-Produkte wie ChatGPT und der künstliche intelligente Bildgenerator Dall-e kostenpflichtig zur Verfügung stünden. Interessierte Kunden müssten einen Zugang beantragen und «Microsofts Standards für verantwortungsvolle und ethische KI-Prinzipien erfüllen», wie es hiess.

Google-Monopol zum ersten Mal seit langem angreifbar

Das könnte für Microsoft und andere Mitbewerber die Gelegenheit sein, Googles Monopol für Suchmaschinen anzugreifen. In den 25 Jahren, seit google.com weltweit online ging, hat der Konzern ein regelrechtes Suchimperium aufgebaut, das von Google Maps bis Youtube reicht. Google zahlt zudem jährlich 15 Milliarden Dollar an Apple dafür, dass es die Standardsuchmaschine auf dem iPhone und im Safari-Browser ist.

Google streitet zwar ab, ein Monopol zu haben, «schliesslich ist die Konkurrenz immer nur einen Klick entfernt», wie Mitgründer Larry Page einmal sagte. Doch Tatsache ist, dass laut Schätzungen jede Minute 3,8 Millionen Suchanfragen weltweit in die Suchmaschine eingegeben werden.

Niemand kann Googles Suchmaschine das Wasser reichen

Globaler Marktanteil für Suchanfragen, Dez. 2022

Weit, weit abgeschlagen auf dem zweiten Platz ist Microsofts Suchmaschine Bing. Nun hofft Microsoft, mit der neuen KI-Technologie von Open AI bei der nächsten Generation von Suchmaschinen ganz vorne mitzumischen und Google den Rang abzulaufen.

Google forscht mit – ist aber zurückhaltend

Doch Google ist auch in der KI-Industrie einer der führenden Akteure. Nicht nur hat der Konzern mit Lamda einen eigenen Chatbot – Googles Ingenieure waren es auch, die das «Transformer Model» entwickelt hatten, also den Typ von KI-Modell, der auch dem Chatbot von Open AI zugrunde liegt.

Doch Google war bisher sehr zurückhaltend darin, seine Fortschritte mit Sprachmodellen zu veröffentlichen und in die eigene Suchmaschine zu integrieren. Nur eine Handvoll ausgewählter Nutzer darf Lamda in einer bestimmten App namens Test Kitchen testen.

Das liegt zum einen wohl daran, dass die Technologie nach wie vor sehr fehleranfällig ist und Google negative Auswirkungen auf sein Geschäft befürchtet. Das musste auch Microsoft 2016 lernen, als der Konzern einen eigenen künstlich intelligenten Chatbot namens Tay auf den Markt brachte: Nutzer machten sich einen Spass daraus, das dahinter stehende KI-Modell so zu trainieren, dass Tay bald rassistische und sexistische Antworten lieferte. Nach nur 16 Stunden nahm Microsoft ihn wieder vom Markt. Ähnliche Erfahrungen machte Meta vergangenen Sommer mit seinem Chatbot.

Sprachmodelle sind noch nicht verlässlich

Ein anderes Problem von Sprach-KI ist: Es ist schwer, sie verlässlich zu machen. Chat-GPT kann zwar alle möglichen generellen Fragen erstaunlich gut beantworten, doch immer wieder behauptet es auch Unwahrheiten. Es zitiert zum Beispiel Studien, die es nie gegeben hat, oder erfindet Personen und Ereignisse.

Das liegt daran, dass der Sinn eines generativen Sprachmodells darin besteht, Texte zu generieren. Es berechnet, welches nächste Wort in einem Text am wahrscheinlichsten __. Dass hier ein «ist» fehlt, lernen solche Modelle in einem aufwendigen Trainingsprozess anhand von unzähligen Textbeispielen. Durch diese Berechnung allein kann Chat-GPT Wissen wiedergeben – aber dass es auch Dinge erfindet, gehört zu so einem Modell dazu. «KI-Halluzinationen» heisst das Phänomen in Fachkreisen. Eine Lösung wäre, die KI so zu programmieren, dass sie auch Quellenangaben macht. Das ist bei Chat-GPT nicht der Fall.

Selbst Sam Altman, der CEO von Open AI, schrieb vor wenigen Wochen auf Twitter, dass Chat-GPT nach wie vor enorm limitiert funktioniere. «Es ist ein Fehler, sich derzeit mit irgendetwas Wichtigem darauf zu verlassen.» Es sei jedoch eine Vorschau auf den Fortschritt, der uns ins Haus stehe.

Eine drittes Problem von Sprachmodellen ist, dass sie viel Rechen-Power brauchen. Würden alle Suchanfragen, die Google bearbeitet, dem Chatbot gestellt, wären die Server bald überlastet – und eine derartige Rechenleistung zu zahlen, würde dauerhaft sehr teuer.

Ein weiterer Grund für Googles bisherige Zurückhaltung könnte sein, dass Sprachmodelle nicht dafür geeignet sind, Werbung zu präsentieren. Bekanntlich sind oft die ersten Treffer bei Google-Suchanfragen Anzeigen. Und Werbung machte im vergangenen Jahr 80 Prozent von Googles Umsatz von 257 Milliarden Dollar aus.

Weil es für Google mit dem Status quo so gut läuft, hat man Innovationen zwar erforscht, aber es gab wenige Anreize, sich auf Neuland vorzuwagen. Dieses «Innovator’s Dilemma» könnte Google nun bedrohen: Es bekommt Konkurrenz von jenen, die viel weniger zu verlieren haben.

Doch die jüngsten Durchbrüche bei Open AI haben im Hause Google wohl Panik ausgelöst: Ein Manager sagte gegenüber der «New York Times», dass die weiteren Entwicklungen über die gesamte Zukunft des Konzerns entscheiden könnten. Offenbar kümmert sich nun CEO Sundar Pichai persönlich darum, wie man auf die neue Konkurrenz reagieren wird. Möglichst schnell wolle man eigene KI-Produkte veröffentlichen.

You.com: Ein Startup wittert seine Chance

Die neue Technologie bietet aber auch Startups eine Chance, als neue Sterne am Suchmaschinenhimmel aufzugehen. So gründete etwa Sridhar Ramaswamy, der früher selbst bei Google im Bereich Anzeigen arbeitete, die Suchmaschine neeva.com, die ebenfalls mit KI arbeitet. Gegenüber der «New York Times» sagte er: «Technologische Durchbrüche wie der jetzige schaffen eine Gelegenheit, mehr Wettbewerb zu haben.»

Richard Socher.

Richard Socher.

PD

Ähnlich ist auch Richard Socher überzeugt, dass jetzt ein guter Zeitpunkt sei, Googles Monopol anzugreifen und eine ganz neuartige Suchmaschine zu entwickeln. Socher, der in Dresden geboren ist, arbeitete zuletzt als Chief Scientist beim Softwarekonzern Salesforce. Den Traumjob warf er vor gut einem Jahr hin, um you.com zu gründen. Das Programm kombiniert die Funktionen einer klassischen Suchmaschine mit den neuesten KI-Funktionen – also einem Chatbot, einem Bild- und Textgenerator usw.

Der Unterschied zu den Produkten von Open AI sei, dass you.com tatsächlich auch aktuelle Informationen, etwa zur Fussballweltmeisterschaft, verarbeiten könne und zudem Links als Quellenangaben liefere. Mehrere Millionen Nutzer verwendeten den Dienst bereits, erzählt Socher im Gespräch.

Konkret sieht das im Moment ähnlich wie bei Google aus. Wenn man ins Suchfeld eingibt: «Wer hat den World Cup 2022 gewonnen?», erscheinen die ganz normalen Suchresultate, aber nicht nur. You.com blendet auch eine Kurzzusammenfassung ein sowie eine Vorschau auf den passenden Wikipedia-Artikel.

Mit einem Klick auf «YouChat» kann man die Suchanfrage an den Chatbot stellen. Bei unserem Test auf Deutsch antwortete der Bot, die Weltmeisterschaft habe noch nicht stattgefunden. Auf Englisch zitierte er korrekt Argentinien als Gewinner, im ersten Versuch sagte er, Messi habe das Spiel in der Verlängerung entschieden, dann endlich korrekt, dass erst das Elfmeterschiessen den Sieg gebracht habe. Der Hinweis, das Produkt sei noch in der Beta-Phase, ist offensichtlich nötig.

Trotz diesen Fehlern bei einem aktuellen Thema ist absehbar, dass die Kombination von KI-Werkzeugen und klassischen Suchresultaten attraktiv ist. Ein zusätzlicher Pluspunkt gegenüber Google: You.com ist im Moment noch frei von Werbung, und es soll auch langfristig zumindest eine werbefreie Version geben, denn Socher will die Privatsphäre der Nutzer schützen – auch das ist ein Unterschied zu den bestehenden Suchmaschinen-Riesen. Er ist überzeugt: «In den nächsten sechs bis zwölf Monaten wird sich die ganze Suchmaschinentechnologie und begleitende Wirtschaft sehr, sehr stark verändern.» Zurzeit sei diese KI zwar noch «wie ein Zehntklässler im Gymnasium»: «Es funktioniert alles schon ganz gut, aber bis die Modelle so arbeiten wie ein gut recherchierender Journalist, braucht es noch etwas.» Sprachmodelle wie Chat-GPT würden eines Tages nicht nur den Suchmaschinenmarkt, sondern unsere gesamte Gesellschaft umkrempeln, glaubt Socher. Er sei Open AI auch dankbar dafür, dass das Startup der breiten Öffentlichkeit weltweit gezeigt habe, wie weit die Qualität der Sprachmodelle nun vorangeschritten sei.

Mehr von Marie-Astrid Langer (lma)

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