Manchmal dauern Ermittlungen in Europa lange. Sehr lange sogar. Verdächtigt die deutsche Polizei jemanden, eine Straftat begangen zu haben, und will zwecks Beweisführung zum Beispiel seine Facebook-Daten einsehen, muss sie sich oft erst einmal an Irland wenden. Denn die Firma Facebook hat keine Rechenzentren in Deutschland, die Daten deutscher Nutzerinnen und Nutzer können auf Servern in der Nähe von Dublin liegen.

Eine deutsche Ermittlungsbehörde ist daher auf die Unterstützung ihrer irischen Kolleginnen und Kollegen angewiesen. Direkt bei Facebook anfragen können deutsche Ermittler nicht. Sie müssen ein Rechtshilfegesuch an die irischen Behörden stellen, damit diese die Anfrage prüfen und an das Unternehmen weiterleiten können. Durch die Umwege können schon mal drei, manchmal auch zehn Monate bis zu einer Auskunft vergehen. Ein mühsamer Prozess.

Noch ein Ermittlungsinstrument

Die Europäische Union will diese langen Wege nun verkürzen: mit der E-Evidence-Verordnung, einem neuen Regelwerk, das den Umgang mit digitalen Beweisen vereinfachen soll. Ein deutscher Staatsanwalt oder eine Richterin könnten dann künftig direkt Daten von Facebook anfordern, ohne dass irische Behörden involviert werden müssten. Und weil das Internet bekanntlich nicht auf Europa begrenzt ist, hat die EU parallel auch noch Verhandlungen mit den USA über den Austausch elektronischer Beweise begonnen.

Die EU begründet ihr Vorhaben mit der Relevanz digitaler Daten: In rund 85 Prozent der Ermittlungen würden elektronische Beweismittel benötigt, in zwei Dritteln dieser Fälle müsse man sie bei Onlinediensten in einem anderen Land anfragen. Wäre also schon schön, wenn das schnell ginge. Doch die geplante Verordnung und das Abkommen mit den USA könnten die Grundrechte europäischer Bürgerinnen und Bürger bedrohen. 

Die Anfänge der E-Evidence-Verordnung lassen sich zurückdatieren auf die Terroranschläge in Brüssel am 22. März 2016. Damals sprengten sich zwei Männer am Brüsseler Flughafen und ein Mann an einer U-Bahn-Station in die Luft, mehr als 30 Menschen starben, 300 wurden verletzt. Die europäischen Innenministerinnen und Justizminister kamen zusammen und gaben eine gemeinsame Erklärung ab. Darin heißt es unter anderem: "Es müssen vorrangig Wege gefunden werden, um elektronische Beweismittel schneller und wirksamer zu sichern und zu erlangen, und zwar durch eine verstärkte Zusammenarbeit mit Drittländern und mit im europäischen Hoheitsgebiet tätigen Dienstleistungserbringern, damit die Einhaltung der Rechtsvorschriften der EU und der Mitgliedsstaaten und der direkte Kontakt mit den Strafverfolgungsbehörden verbessert werden."

Das ist ein bekannter Reflex nach Terroranschlägen: Passiert etwas, muss man schnell irgendwas fordern. Nun ist Schnelligkeit in der EU relativ. Das liegt schlicht daran, dass sich die (noch) 28 Mitgliedsstaaten über jede Kleinigkeit abstimmen müssen. Deswegen dauerte es nach den Anschlägen noch zwei Jahre, bis der erste Entwurf der Europäischen Kommission schließlich im April 2018 vorgestellt wurde. Und weil dann immer noch alle Institutionen mitreden müssen, ist die Verordnung bis heute nicht verabschiedet.

An der grundsätzlichen Idee hat sich wenig geändert. Der erste Entwurf sieht zwei weitere Ermittlungsinstrumente für Behörden vor: die Europäische Herausgabeanordnung (EPOC), mit der die Polizei mit einer richterlichen Anordnung europaweit speziell digitale Daten anfordern können soll, und die Europäische Sicherungsanordnung (EPOC-PR), die Anbieter zur Datensicherung verpflichtet. Aktuell kann sie schon mit der Europäischen Ermittlungsanordnung (EEA) grenzübergreifend Beweise sichern, allerdings geht es dabei eher darum, dass zum Beispiel belgische Polizistinnen für deutsche Behörden ein Haus durchsuchen.

Künftig würden Sicherheitsbehörden auch ohne diese Kooperation auskommen. Sie könnten Daten direkt bei in Europa tätigen Unternehmen anfordern. Und die müssten sie herausgeben – binnen zehn Tagen. In dringenden Fällen müssten sie sogar innerhalb von sechs Stunden reagieren. Was dringend ist, ist im Entwurf eher schwammig formuliert: Demnach muss etwa die "unmittelbare Gefahr einer Löschung" drohen oder Ermittlungen ohne die Daten nicht weitergeführt werden können "oder auf andere Weise von ihnen abhängig" sein. Diese Formulierung lässt viel Spielraum – auch für Missbrauch.