Die Kommerzialisierung der «.org»-Adresszone gefährdet den Zusammenhalt des Internets

Die Internet-Identität von gemeinnützigen Firmen ist bedroht, denn die Verwaltung der «.org»-Adresszone soll kommerziell neu ausgerichtet werden.

Stefan Betschon
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Internetadressen, die auf .org enden, sind derzeit für 10 Dollar zu haben – bei der riesigen Anzahl von .org-Adressen ist dies aber ein riesiges Geschäft.

Internetadressen, die auf .org enden, sind derzeit für 10 Dollar zu haben – bei der riesigen Anzahl von .org-Adressen ist dies aber ein riesiges Geschäft.

Britta Pedersen / Keystone

«Ein Netz, eine Welt, eine Vision» – unter diesem Motto wurde Ende November in Berlin die Zukunft des Internets verhandelt. Unter der Schirmherrschaft der Uno und mit der deutschen Regierung in der Rolle des Gastgebers bot das Internet Governance Forum (IGF) Politikern, Unternehmern, Technikern und auch Vertretern der Zivilgesellschaft eine Plattform, um Fragen der Internet-Verwaltung zu erörtern.

Das Motto beschreibt eine Wunschvorstellung und nicht den Ist-Zustand. Im Netz der Netze gibt es immer mehr Schleusen und Dämme. Es sind nicht nur autokratische Regime in China oder Russland, die den Fluss der Daten begrenzen, auch westliche Regierungen sehen sich veranlasst – aus wettbewerbspolitischen Gründen, zum Schutz der Privatsphäre –, einzugreifen.

Privatisierung der Gemeinnützigkeit

Eine der rund 200 Arbeitssitzungen des IGF in Berlin debattierte die Zukunft des Internets unter dem Titel «Auszug aus dem Hotel California». Der Titel erinnert an den berühmten Ohrwurm der amerikanischen Pop-Band The Eagles; es geht darin um ein schönes Haus, in dem man sich wohl fühlt, bis man merkt, dass man eingesperrt ist.

Die Marktdominanz der grossen kalifornischen Internetfirmen Google und Facebook macht vielen Internet-Politikern Angst. Ihr Gestaltungsfreiraum wird zusätzlich eingeengt durch die Tatsache, dass viele der Gremien, die bei der Verwaltung des Internets für die technischen Belange zuständig sind, traditionell amerikanisch geprägt sind und sich dem Einfluss amerikanischer Firmen und Regierungsbehörden auch heute noch schlecht entziehen können. Unter diesen Gremien der sogenannten I*-Gruppe – sie haben alle Namen, die mit einem «I» beginnen – gab in Berlin einmal mehr die Icann viel zu reden. Es war dann aber vor allem die gemeinnützige Internet Society (Isoc), die für erhitzte Diskussionen sorgte.

Die Internet Corporation for Assigned Names and Numbers (Icann) wurde auch schon als die «Weltregierung» des Internets bezeichnet, denn sie verwaltet das Adresssystem des Internets. Dieses System ist der Kitt, der das Netz der Netze zusammenhält. Die Isoc hatte 2002 von der Icann die Befugnis erhalten, Internetadressen mit der Endung «.org» zu verkaufen. Mitte November wurde bekannt, dass die Isoc das Recht für die Bewirtschaftung der «.org»-Adresszone weiterverkauft hat: Eine Private-Equity-Investmentgesellschaft namens Ethos Capital hatte dafür 1,135 Milliarden Dollar bezahlt.

Es gibt mehr als zehn Millionen Internetadressen, die auf «.org» enden. Eine «.org»-Adresse ist heute für knapp zehn Dollar zu haben. Es geht hier also um ein Geschäft, das rund 100 Millionen Dollar pro Jahr einbringt. Durch Preiserhöhungen, so schätzen Branchenkenner, könnte der Umsatz auf gegen 200 Millionen Dollar hochgeschraubt werden.

Übler Beigeschmack

Firmenvertreter von Ethos haben versichert, es seien keine starken Preiserhöhungen geplant. Doch diese Transaktion hat einen üblen Beigeschmack. Die Firma Ethos Capital wurde 2019 gegründet. Im Internet begann ihre Existenz im Mai mit der Registrierung der Internetadresse ethoscapital.org. Diese Registrierung wurde von Fadi Chehadé vorgenommen. Der aus Libanon stammende amerikanische Informatiker leitete von 2012 bis 2015 die Icann.

Wenige Wochen nach der Registrierung von ethoscapital.org – die Firma ist inzwischen nur noch unter ihrer «.com»-Adresse zugänglich – beschloss die Icann im Sommer, die Fixierung der Preise für «.org»-Adressen aufzuheben. Dieser Entscheid wurde durchgeboxt, obwohl eine Vernehmlassung mit mehreren tausend Antworten fast nur ablehnende Voten hervorgebracht hatte.

Belastungsprobe

Das Adresssystem des Internets entstand in den 1980er Jahren, es unterschied ursprünglich sechs generische Top-Level-Domains mit Bezeichnungen wie «.com», «.org» oder «.net». Daneben gab es knapp 250 länderspezifische Adressbereiche mit aus zwei Buchstaben bestehenden Endungen wie «.ch». Nach der Jahrtausendwende wurden neue Adresszonen («.biz», «.info») zugelassen, die Erweiterung des Adressraums beschleunigte sich weiter und umfasst inzwischen mehr als 1200 neue Zonen, beispielsweise «.shop», «.xyz» oder «.news».

Diese forsche Ausweitung des Handels mit Internetadressen hat der Icann viel Kritik eingebracht. Nach einem schwierigen Reformprozess schien die Organisation dann aber in der Lage zu sein, in einem Multi-Stakeholder-Modell zwischen den verschiedenen Kräften einen Ausgleich herzustellen. Diese Balance wird nun durch die Ereignisse im «.org»-Bereich einer Belastungsprobe ausgesetzt.

Die Opposition formiert sich

Die «.org»-Adresszone vereint zahlreiche gemeinnützige Organisationen und NGO. Die Uno oder die amerikanischen Pfadfinderinnen sind im Internet unter einer «.org»-Adresse zu erreichen, ebenso wie auch Wikipedia oder die Icann oder die Isoc. Auch wenn es im Budget vieler dieser Organisationen keinen grossen Unterschied machen dürfte, sollte die Internetpräsenz pro Jahr ein paar Franken mehr kosten, empören sich doch viele darüber, dass dieser Adressbereich nun kommerzialisiert werden soll.

Doch es geht nicht nur ums Geld, es geht auch um Politik. Ethos Capital hat sich durch den Vertrag mit Isoc nicht nur eine Einnahmequelle gesichert, sondern auch eine Möglichkeit der politischen Einflussnahme: Die Firma könnte nicht genehme Organisationen aus der «.org»-Zone ausschliessen.

Die Kommerzialisierung der «.org»-Zone hat viel Widerspruch provoziert. Internet-Prominente wie Tim Berners-Lee haben den «Deal» verurteilt. Die Electronic Frontier Foundation, eine amerikanische Organisation, die sich für Redefreiheit, Privatsphäre, Innovation und Konsumentenschutz im Internet engagiert, hat eine Petition lanciert. Bereits haben knapp 17 000 Internet-Anwender auf einer Website namens «savedotorg.org» ihre Unterstützung für diese Petition kundgetan.