Um das neue Coronavirus Sars-CoV-2 zu bekämpfen, müssen Ärzte und Medizinerinnen weltweit derzeit improvisieren. Noch gibt es gegen den Erreger keine direkten Mittel und Therapien. Da kann es helfen, rasch zu erkennen, wer bereits Anzeichen der Lungenkrankheit Covid-19 zeigt, die das Virus auslösen kann. In China, wo noch immer die allermeisten Infektionsfälle gezählt werden, haben Ärzte dafür einen neuen Verbündeten: künstliche Intelligenz (KI). Gerade berichtete der Konzern Alibaba, eines seiner Forschungsinstitute habe einen Algorithmus entwickelt, der in 96 Prozent der Fälle anhand von Computertomografie-Aufnahmen erkennen kann, ob ein Patient oder eine Patientin an Covid-19 erkrankt ist. Schon Ende Februar sagte ein Arzt aus der Stadt Wuhan dem Onlinemagazin Wired, man teste das computergestützte Verfahren bereits in Krankenhäusern.

Was hier als künstliche Intelligenz bezeichnet wird, ist eigentlich maschinelles Lernen oder noch genauer Deep Learning: Ein Algorithmus wird zunächst mit CT-Aufnahmen der Lunge von Menschen, die nachweislich an Covid-19 erkrankt sind, trainiert. Je mehr Vergleichsbilder der Algorithmus bekommt, desto besser kann er erkennen, was eine infizierte Lunge ausmacht. Das System lernt aus den Bildern nach und nach bestimmte Details, die möglicherweise sogar erfahrenen Radiologen entgehen. Vor allem ist er deutlich schneller mit der Diagnose: Nach Angaben von Alibaba benötigt der Algorithmus bloß etwa 20 Sekunden, um zu sagen, ob es sich um Covid-19 handelt oder etwa um eine Lungenentzündung im Zuge eines grippalen Infekts – für Ärzte ist dieser Unterschied nicht immer so leicht zu erkennen.

In den vergangenen Jahren haben Forschende das Prinzip erfolgreich getestet (Nature: Patel et al., 2019). Auch für Gewebeproben bei Brustkrebs (JAMA: Bejnordi at al., 2017) und schwarzem Hautkrebs (European Journal of Cancer: Brinker et al., 2019) wurde es schon eingesetzt. In allen Fällen konnte der Algorithmus eine ähnliche gute Erkennungsrate liefern wie die Fachärzte. Allerdings handelte es sich in allen Fällen um kontrollierte Studien; ein Einsatz im Livebetrieb wie in China, ist neu – und er könnte der Technik einen Schub geben.

Algorithmen können helfen – wenn sie richtig trainiert wurden

Das glaubt jedenfalls Michael Forsting, Leiter des Instituts für Diagnostische und Interventionelle Radiologie am Universitätsklinikum Essen, wo man ebenfalls an medizinischen KI-Lösungen forscht. "Gerade in China, wo es mit Abstand die meisten Fälle mit dem neuen Coronavirus gibt, könnte das Verfahren jetzt Sprünge machen", sagt er. Ein Algorithmus könne in diesem Fall schon deshalb recht zuverlässige Einschätzungen liefern, weil es genug digitale Trainingsdaten gebe. Alibaba will das System zunächst mit 5.000 CT-Aufnahmen von Covid-19-Patienten getestet haben, eine andere, vorläufige Studie (Xu et al., 2020) kam schon mit etwa 600 Aufnahmen auf eine hohe Erkennungsrate. "Je mehr Datensätze es gibt und je konkreter der Anwendungsfall ist, desto besser können Algorithmen in der Diagnostik helfen", sagt Forsting.

Alibaba will seine Software Hunderten Institutionen zur Verfügung stellen. So soll es das Personal entlasten und mit dem Coronavirus infizierte Menschen schneller finden und behandeln. Die Forschenden sprechen von einer "unterstützenden diagnostischen Methode". Denn das ist wichtig: Der Algorithmus trifft keinen abschließenden Befund, die Entscheidung dafür liefern weiterhin die Ärztinnen und Ärzte. "Wir reden hier derzeit von reinen Entscheidungshilfen", sagt Forsting, "man könnte eine KI etwa so einstellen, dass nur Befunde, die ganz sicher unauffällig sind, aussortiert werden". Somit hätte ein Radiologe mehr Zeit für schwerere Fälle und andere Aufgaben.

So gut ein KI-System aus Sicht seiner Entwicklerinnen auch funktionieren mag, es gibt Kritik an den Verfahren. 2018 etwa untersuchte eine US-Studie (PLOS Medicine: Zech at al., 2018), wie Algorithmen zur Erkennung von Lungenentzündungen auf Röntgenbildern über mehrere Krankenhäuser hinweg abschnitten. Das Ergebnis: Solange die KI in dem Krankenhaus eingesetzt wurde, in dem sie ursprünglich trainiert wurde, funktionierte sie gut. Bei Röntgenaufnahmen aus anderen Institutionen aber sank die Erkennungsrate. Eine Metastudie aus Südkorea (Korean Journal of Radiology: Kim et al., 2019) fand zudem heraus, dass nur sechs Prozent der untersuchten Arbeiten zu KI-Diagnostik ihre Algorithmen auch mit externen CT- und MRT-Aufnahmen getestet hatten.

Michael Forsting vom Universitätsklinikum Essen kennt diese Einschränkungen: "Die externe Validierung ist derzeit noch ein Problem." Gerade bei MRT-Maschinen seien die Unterschiede von Hersteller zu Hersteller teils so groß, dass auch manche Radiologen Probleme bei der Interpretation von Aufnahmen bekommen. Entsprechend kämen auch die Deep-Learning-Modelle an ihre Grenzen. Er sei aber zuversichtlich, dass es dafür Lösungen geben werde, etwa indem in Zukunft Datensätze verschiedener Krankenhäuser zusammengeführt werden. Im aktuellen Fall in China könnte die Technik in jedem Fall dabei helfen, dass Radiologen im ganzen Land Covid-19 besser finden können.