Der Bundesnachrichtendienst steht im Zentrum der «Crypto-Leaks»: Noch ist die Affäre in Deutschland kein grosses Thema, doch brisante Fragen müssen geklärt werden

Die «Crypto-Leaks» werfen ein neues Licht auf den BND. Der Geheimdienst agierte in den siebziger und achtziger Jahren ungewöhnlich dreist und hörte zusammen mit der CIA rund hundert Länder ab.

Jonas Hermann, Berlin
Drucken
Die Operation «Rubikon» ist Geschichte, doch in der Abhörstation in Bad Aibling arbeiten der BND und amerikanische Geheimdienste auch heute zusammen.

Die Operation «Rubikon» ist Geschichte, doch in der Abhörstation in Bad Aibling arbeiten der BND und amerikanische Geheimdienste auch heute zusammen.

Sean Gallup / Getty

Wenn von riskanten Geheimdienstoperationen die Rede ist, denkt kaum jemand in Deutschland an den Bundesnachrichtendienst (BND), viel eher an die CIA oder den Mossad. Der deutsche Auslandgeheimdienst steht so gut wie nie im Fokus des öffentlichen Interesses. Immer wieder ist zu hören, der BND sei zumindest bei der Terrorabwehr auf die Unterstützung der angelsächsischen Geheimdienste angewiesen. Einen grossen Coup würde dem BND heute kaum jemand zutrauen, doch wie jüngste Enthüllungen belegen, spielte der Nachrichtendienst in den siebziger und achtziger Jahren offenbar eine ganz andere Rolle.

Zusammen mit amerikanischen Geheimdiensten soll der BND massgeblich an einer Abhöraktion beteiligt gewesen sein, die der britische Sicherheitsexperte Richard Aldrich «als wahrscheinlich wichtigste Geheimdienstoperation der Geschichte» bezeichnet. Deutsche und Amerikaner sollen dabei die Kommunikation von über 100 Ländern abgehört haben und waren anderen Mächten somit offenbar immer wieder den entscheidenden Schritt voraus.

Verlängerter Arm westlicher Geheimdienste

Ein internationales Recherchenetzwerk von Schweizer Fernsehen, ZDF und «Washington Post» konnte nun entsprechende Geheimdienstunterlagen einsehen und veröffentlichte seine Recherchen unter dem Stichwort «Crypto-Leaks». Völlig neu sind die Erkenntnisse allerdings nicht. Der «Spiegel» publizierte bereits im Jahr 1996 einen Text, der die Abhöraktion beschrieb. Das internationale Recherchenetzwerk hat nun jedoch zahlreiche zuvor nicht bekannte Dokumente erhalten.

Dreh- und Angelpunkt der Geschichte ist der Schweizer Ort Steinhausen im Kanton Zug. Hier hatte die Crypto AG ihren Sitz, die Verschlüsselungsmaschinen herstellte. Die Geräte hatten einen ausgezeichneten Ruf und sollen in mehr als 130 Staaten zum Einsatz gekommen sein. Kaum jemand ahnte, dass die Crypto AG der verlängerte Arm westlicher Geheimdienste war. Das Recherchenetzwerk beschreibt die Geschichte folgendermassen: Zusammen mit dem amerikanischen Geheimdienst CIA habe der BND im Jahr 1970 die Crypto AG gekauft. Die Übernahme sei über einen Treuhänder aus Liechtenstein zustande gekommen.

Half Siemens mit?

Der Elektronikkonzern Siemens habe die geschäftsführenden Direktoren der Crypto AG gestellt und sei dafür an den Gewinnen beteiligt worden. Kurz nach der Übernahme begannen die Geheimdienste offenbar damit, die Chiffriermaschinen zu manipulieren. BND und CIA haben damit angeblich nicht nur gegnerische Staaten abgehört, sondern auch EU- und Nato-Partner wie Irland, Spanien oder Portugal.

Der ehemalige Geheimdienstkoordinator im Bundeskanzleramt, Bernd Schmidbauer, ist voll des Lobes für die Aktion. Sie habe dazu beigetragen, «dass die Welt ein Stück sicherer geblieben ist», sagte er dem ZDF, nennt dafür jedoch keine Belege. Beim BND lief die Operation unter dem Decknamen «Rubikon» – jenes Flusses, den Caesar überschritt, bevor er Rom einnahm. Der deutsche Geheimdienst dürfte den Namen aus gutem Grund gewählt haben. Die Übernahme der Crypto AG war für den damals noch jungen Dienst wohl auch in finanzieller Hinsicht eine Grenzüberschreitung. Der BND habe mit der Crypto AG Millionen verdient, heisst es im Bericht des Recherchenetzwerks. Diese seien illegal am Parlament vorbeigeschleust und dem BND-Haushalt zugeschlagen worden.

Fragen zum «La Belle»-Anschlag

Die Frage, was dort mit dem Geld geschah, ist unter Umständen nicht die gewichtigste Problematik, die sich aus den «Crypto-Leaks» ergibt. Im Zusammenhang mit dem Anschlag auf die Berliner Diskothek «La Belle» formuliert das ZDF einen schwerwiegenden Verdacht. Drei Personen kamen 1986 bei dem vom libyschen Geheimdienst verübten Attentat ums Leben. Weil sie manipulierte Verschlüsselungsgeräte nutzten, konnten CIA und BND offenbar die Kommunikation der libyschen Botschaft in Berlin verfolgen – und somit Gewissheit erlangen, dass der nordafrikanische Staat hinter dem Anschlag steckte. Mit diesen Erkenntnissen rechtfertigen die USA einen Vergeltungsschlag ihrer Luftwaffe gegen Libyen.

Allerdings stellt sich die Frage, ob solche Anschläge zu verhindern gewesen wären – überwachten die Nachrichtendienste mit der Operation «Rubikon» doch auch die Kommunikation von Ländern wie Libyen und Iran, die mehrfach Terrorakte im Ausland verübten. Schmidbauer weist diese Vermutung zurück. In einem Beitrag des ZDF heisst es jedoch: «Der BND wusste Bescheid.» Die BND-Zentralstelle für Chiffrierwesen habe eine wesentliche Rolle im Fall «La Belle» gespielt. Belegt oder erläutert wird diese Behauptung allerdings nicht.

Scharfe Töne aus der Linkspartei

Dank der Operation «Rubikon» hatte die Bundesregierung womöglich auch präzise Informationen über Menschenrechtsverletzungen und Massentötungen in Argentinien, für die das dortige Militärregime verantwortlich war. Die Regierung unter Kanzler Helmut Schmidt habe über die Verbrechen Bescheid gewusst, heisst es im ZDF-Beitrag. Man habe aber nicht dagegen protestiert, und Deutschland nahm trotz den Greueltaten im Jahr 1978 an der Fussball-Weltmeisterschaft in Argentinien teil.

Obwohl die Deutschen gegenüber ihren Geheimdiensten kritisch eingestellt sind, haben die «Crypto-Leaks» bisher kaum Resonanz ausgelöst. Scharfe Töne kamen nur aus der Linkspartei. Man dürfe in diesem Zusammenhang nicht vergessen, dass Geheimdienste «kriminelle Vereinigungen» seien, schrieb der Bundestagsabgeordnete Lorenz Gösta Beutin auf Twitter. Ähnlich kommentiert wurde der Fall von Andrej Hunko, der ebenfalls für die Linke im Bundestag sitzt und von «der kriminellen Energie des BND» sprach.

Gab es schwarze Kassen?

Deutlich differenzierter äusserte sich der Grünen-Abgeordnete Konstantin von Notz. Er ist Vize-Vorsitzender des Parlamentarischen Kontrollgremiums, das für die Kontrolle der Geheimdienste zuständig ist. Auf Anfrage sagte von Notz, die Aktion Rubikon sei aus geheimdienstlicher Sicht durchaus ein Erfolg gewesen. Allerdings würden sich nun einige Fragen stellen, weshalb er die Bundesregierung für die nächste Sitzung des Kontrollgremiums um einen Bericht gebeten habe. So müsse geklärt werden, ob es schwarze Kassen gegeben habe und ob diese eventuell noch heute existierten.

Mögliche juristische Konsequenzen sieht von Notz wegen der Verjährungsfrist nicht. Er möchte aber klären, ob die parlamentarische Kontrolle vorsätzlich umgangen wurde, und lobt die Reaktion der Schweiz. «Während die Schweizer Regierung bereits auf die jüngsten Enthüllungen reagiert und eine umfassende Untersuchung in die Wege geleitet hat, lehnen Bundesregierung und BND bis jetzt jedweden Kommentar ab», sagte er.

Nach wie vor gängige Praxis

Bei den Geheimdiensten und ihren Mitarbeitern haben die «Crypto-Leaks» nicht gross zu reden gegeben, wie man aus Sicherheitskreisen erfährt. Nicht zuletzt wegen des «Spiegel»-Artikels aus dem Jahr 1996 sei die Geschichte dort längst bekannt. Sogenannte Legendenfirmen wie die Crypto AG habe jeder Nachrichtendienst. Dies sei genauso wenig bemerkenswert wie die Tatsache, dass bei der Aktion auch Partnerländer abgehört wurden. Dabei handle es sich nach wie vor um gängige Praxis, hiess es aus Sicherheitskreisen. Nur der BND müsse sich hier seit den Snowden-Enthüllungen zurückhalten.

Für den deutschen Geheimdienst ist die Operation «Rubikon» schon lange Geschichte. Im Jahr 1993 soll der BND seine Anteile an der Crypto AG verkauft haben. Gründe dafür waren offenbar das gesunkene weltweite Sicherheitsrisiko und die Sorge, dass die Tarnung auffliegen könnte. 2018 wurde das Unternehmen aufgespalten; die Nachfolgefirmen wollen mit der Vergangenheit nichts zu tun haben. Die Schweizer Regierung hat dennoch den Export von Crypto-Produkten untersagt. Auch in Deutschland wird die Regierung kaum darum herumkommen, sich mit den «Crypto-Leaks» zu befassen. Sollte sie mauern, werde man das parlamentarische Instrumentarium ausreizen, um Antworten zu bekommen, erklärte der Grünen-Politiker von Notz.

Weitere Themen