Neuralink: Elon Musks Brain-Brimborium

Fantastische Aussichten, noch wenig Realitätsbezug: Der Tesla-Gründer und seine Firma, die Hirnschnittstellen herstellt, präsentieren kühne Visionen.

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Neurolink: Elon Musks Brain-Brimborium

(Bild: Woke Studio)

Lesezeit: 9 Min.
Von
  • Antonio Regalado
Inhaltsverzeichnis

Berge ohne Angst besteigen. Eine Symphonie im Kopf spielen lassen. Übermenschliches Sehvermögen mit Radartechnik. Die Natur des Unbewussten erkunden. Blindheit, Lähmungen, Taubheit und psychische Krankheiten heilen... Das sind nur ein paar der Anwendungen, von denen Elon Musk und die Mitarbeiter seines vier Jahre alten neurowissenschaftlichen Start-ups Neuralink glauben, dass sogenannte Brain-Computer-Interfaces sie eines Tages ermöglichen werden.

Keine davon ist auch nur annähernd realisiert und bei einigen wird das wohl nie der Fall sein. Doch in einer "Product Update"-Veranstaltung, die Ende August live über YouTube gestreamt wurde, gesellte sich Musk – sonst auch als Gründer von SpaceX und Tesla bekannt – neben sein schwarzmaskiertes Team, um die gemeinsame Vision zu besprechen. Erschwingliche, zuverlässige Gehirn-Implantate, von denen Musk glaubt, dass Milliarden von Nutzer in der Zukunft nach ihnen gieren werden, sind das Ziel. "In vielfacher Hinsicht", sagte Musk, "ist es so eine Art Fitbit im Schädel, aber mit vielen kleinen Drahten".

Obwohl das Online-Event als Produktvorstellung angekündigt wurde, gibt es noch nichts aus dem Hause Neuralink, was genutzt oder gekauft werden könnte (was wohl auch besser so ist, da die meisten medizinischen Behauptungen der Firma weiterhin sehr spekulativ bleiben). Woran hingegen tatsächlich gearbeitet wird, ist eine superdichte Elektroden-Technik, die zurzeit im Tierversuch getestet wird.

Die Neuralink-Leute sind nicht die ersten, die glauben, dass Gehirn-Implantate menschliche Fähigkeiten erweitern oder wiederherstellen könnten. Forscher begannen in den späten Neunzigern damit, Sonden in die Hirne gelähmter Menschen einzusetzen, um zu zeigen, dass mit passenden Nervensignalen Roboter-Arme oder Computer-Cursor bewegt werden können. Und Mäuse mit visuellen Einschränkungen können so tatsächlich Infrarot-Strahlung wahrnehmen, bekommen also einen weiteren Sinn dazu.

Neuralink will auf dieser Arbeit bauen, um neue Brain-Computer-Interfaces (kurz: BCIs) zu entwickeln. Am Ende soll die Installation weniger als eine Stunde beim Arzt dauern. "Das funktioniert wirklich", sagte Musk über Menschen, die Computer mit Gehirnsignalen kontrolliert haben. "Es ist nur nichts, was der durchschnittliche Mensch effektiv nutzen könnte." Auf die Frage, wann Neuralinks System denn an Menschen getestet werden könnte, vermied Musk es geschickt, verpflichtende oder auch nur unkonkrete Zeitangaben zu machen.

Vier Jahre seit Gründung hat Neuralink keinen Nachweis geliefert, dass sie in der Lage sind (oder sich überhaupt darum bemüht haben) Depression, Schlaflosigkeit oder ein Dutzend anderer Krankheiten, die Musk auf einer seiner Präsentationsfolien nennt, zu behandeln. Eine Herausforderung, der sich die Firma stellen muss, ist die Perfektionierung von Mikrodrahten, damit diese in der "zerfressenden" Umgebung des lebenden Gehirns ein Jahrzehnt überleben können. Das allein könnte Jahre in Anspruch nehmen.

Das Hauptanliegen der Präsentation war stattdessen, freudige Aufregung zu verbreiten, Ingenieure für das Unternehmen zu gewinnen (das bereits etwa 100 Menschen beschäftigt) und die Art von Fanbase aufzubauen, die den Erfolg von Musks anderen Unternehmen befeuert hat – und schon hilfreich dabei war, den Aktienkurs des Elektrowagen-Herstellers Tesla in die Stratosphäre zu schießen.

In Tweets, die dem Event vorangingen, versprach Musk seinen Fans eine spektakuläre Vorführung von Neuronen, die innerhalb eines lebenden Gehirns feuern – wenngleich er nicht verriet, von welcher Spezies. Der Livestream war einige Minuten in Gang, da zogen Assistenten einen schwarzen Vorhang zur Seite und drei kleine Schweine in eingezäuntem Gehege kamen zum Vorschein: Sie waren die Teilnehmer des Experiments.

Das Gehirn von einem der Schweine enthielt ein Implantat und versteckte Lautsprecher ließen kurz ein Klingeln ertönen, von denen Musk sagte, es handle sich um die Wiedergabe der tierischen Nervenzellen, die in Echtzeit feuern würden. Für diejenigen, die eine "Matrix in der Matrix" erwartet hatten, wie Musk sie auf Twitter angedeutet hatte, wird das süße Vierbeiner-Intermezzo eher enttäuschend gewesen sein. Für Neurowissenschaftler war das sowieso nichts Neues. In ihren Laboren wird das Summen und Knistern elektrischer Impulse, die aus Tier-Gehirnen aufgenommen werden (und auch aus einigen menschlichen), seit vielen Jahren gehört.

Vor einem Jahr präsentierte Neuralink schon einen Nähmaschine-Roboter, der in der Lage sein soll, tausende ultrafeine Elektroden in das Gehirn eines Nagetiers einzubauen. Diese Sonden messen elektrische Signale, die von Neuronen ausgehen. Die Geschwindigkeit und Muster dieser Signale bilden die Basis für Bewegung, Gedanken und für die Fähigkeit, Erinnerungen abzurufen. In dem neuen Livestream erschien Musk neben einem aktualisierten Prototyp des nähenden Roboters, eingeschlossen in einen geschmeidigen, weißen Plastikhelm.

In solch eine chirurgische Vorrichtung werden, glaubt Musk, eines Tages Milliarden von Konsumenten freien Willens ihren Kopf hineinstecken, um sich einer automatisierten Säge hinzugeben, die einen kreisrunden Teil des Knochens wegschneidet. Dann kommt ein Roboter, der Elektronik ins Gehirn fädelt. Das futuristische Gehäuse des Geräts wurde von der Industrial-Design-Firma Woke Studio in Vancouver kreiert. Der Chefdesigner, Afshin Mehin, sagte, er wollte etwas "Sauberes, Modernes" schaffen, etwas, "was sich aber freundlich anfühlt". Es geht hier allerdings um eine freiwillige Gehirnoperation, die unvermeidliche Risiken mit sich bringen wird.

Für Neurowissenschaftler war die verblüffendste Entwicklung, die im Neuralink-Stream gezeigt wurde, etwas sein, das Musk "the link" nennt (auf Deutsch: "die Verbindung"). Es handelt sich um eine münzgroße Scheibe mit Computerchips, die Elektroden-Signale komprimiert und drahtlos überträgt. Dieser Link ist etwa so dick wie ein menschlicher Schädel. Musk sagte, man könne ihn durch ein gebohrtes, wieder mit Sekundenkleber verschließbares Loch ordentlich auf die Oberfläche des Gehirns fallen lassen. "Ich könnte jetzt in diesem Moment einen Neuralink in mir haben und sie würden es nicht wissen", sagt Musk.

Der Link kann drahtlos über Induktion aufgeladen werden und Musk legte nahe, dass Menschen ihr Netzteil in Zukunft anschließen würden, um ihre Implantate mit Strom zu versorgen, ehe sie sich schlafen legen. Er findet, dass ein Implantat einfach zu installieren und zu entfernen sein muss, sodass unkompliziert ein Austausch der Technik möglich wird, sobald sie sich verbessert hat. Denn: Man will ja nicht für immer bei der 1.0-Version seines Gehirnimplantats festhängen. Veraltete neuronale Hardware ist tatsächlich ein Problem, mit dem die Forschung sich schon jetzt befassen muss.

Das Implantat, welches Neuralink an Schweinen testet, hat 1000 Kanäle und wird wahrscheinlich eine ähnliche Anzahl an Neuronen ablesen können. Musk erklärt es als sein Ziel, diesen Wert um den Faktor "100, dann 1000, dann 10000" zu erhöhen, um das Gehirn vollständiger auslesen zu können.

Solche exponentiellen Ziele sind technikzentriert und haben nicht unbedingt was mit ausgewählten, medizinischen Bedürfnissen zu tun. Auch wenn Musk behauptet, dass Implantate "Lähmung, Blindheit und Hörprobleme" heilen können, fehlen bei der Behandlung dieser Krankheiten meist nicht die zehnfache Menge an Elektroden, sondern fachspezifisches Wissen zu den Ursachen von jenem elektrochemischen Ungleichgewicht, das beispielsweise Depressionen auslöst. Trotz der langen Liste an medizinischen Anwendungen, die Musk präsentierte, zeigte Neuralink sich nicht bereit, auch nur eine von ihnen verpflichtend anzugehen.

Während der Veranstaltung gab das Unternehmen zudem keine Pläne bekannt, eine klinische Studie zu starten – was für alle überraschend war, die das für den nächstlogischen Schritt halten. Ein Neurochirurg, der mit Musks Firma arbeitet, Matthew MacDougall, sagte zumindest, dass das Unternehmen überlege, die Implantate an gelähmten Menschen zu testen – beispielsweise, damit sie in Computer tippen oder Wörter formen könnten. Musk ging noch weiter: "Ich denke, auf lange Sicht wird es möglich sein, den gesamten Bewegungsapparat wiederherzustellen."

Dabei ist nicht klar, wie ernst das Unternehmen es überhaupt damit meint, Krankheiten zu behandeln. Musk wich in seinem Vortrag kontinuierlich von der Medizin ab und begab sich zurück zu der futuristischen Vorstellung eines "Geräts für die Allgemeinheit", was er "insgesamt" als das Hauptziel der Firma bezeichnete.

Der Firmenchef glaubt, dass Menschen sich direkt mit Computern verbinden sollten, damit sie nicht von künstlicher Intelligenz abgehängt werden. "Als Spezies ist es wichtig herauszufinden, wie wir mit fortgeschrittener KI koexistieren, indem wir eine KI-Symbiose erreichen", sagte er. "So, dass die Zukunft der Welt von einem gemeinsamen Willen der Menschen auf der Erde kontrolliert wird. Das könnte das Wichtigste sein, das ein Gerät wie dieses erreicht." Wie Gehirn-Implantate ein solch kollektives elektronisches Bewusstsein unseres Planeten schaffen würden, hat Musk leider nicht gesagt. Vielleicht beim nächsten Update. (bsc)