Neurotech: Gedanken lesen für den Krieg

Die amerikanische Militärforschungsbehörde Darpa fördert Gehirn-Computer-Schnittstellen, die "Drohnenschwärme in Gedankenschnelle" steuern sollen.

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Drohnen steuern mit Gedanken

(Bild: Enrico Nagel)

Lesezeit: 4 Min.
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Das Darpa-Projekt namens Next-Generation Nonsurgical Neurotechnology Program (N³) ist der erste Versuch des US-Militärs, Brain-Computer-Interfaces (BCI) nicht als Hilfsmittel für Kranke, sondern für kriegerische Zwecke zu entwickeln. Die US-Regierung unterstützt die Forschung dazu mit 104 Millionen Dollar, berichtet Technology Review in seiner neuen März-Ausgabe (jetzt im Handel). "Die Geräte sollen dafür da sein, Drohnen und Drohnenschwärme mit der Geschwindigkeit der Gedanken und über mechanische Geräte zu steuern", sagt Al Emondi, der Direktor von N³.

Den Begriff Brain-Computer-Interface ist einer dieser Ausdrücke wie "künstliche Intelligenz", deren Definition sich mit der Entwicklung der darin beschriebenen Fähigkeiten weiterentwickelt. Die wohl leistungsfähigste Entwicklung unter den BCIs ist das sogenannte Utah-Array. Es sieht aus wie ein kleines Nagelbrett und ist etwa halb so groß wie die Kuppe eines kleinen Fingers. Wenn es an definierten Stellen in das Gehirn eindringt, zeichnet es die Impulse von Neuronen auf.

Bislang werden Gehirn-Computer-Schnittstellen eingesetzt, um Menschen mit Tetraplegie zu helfen – das sind Querschnittsgelähmte, die weder Arme noch Beine bewegen können. Oder um Kriegsveteranen, die Gliedmaßen verloren haben, die Kontrolle über ihre Prothesen zu ermöglichen.

TR 3/2020

Was ein BCI leisten kann, zeigt der Fall des amerikanischen Collegestudenten Ian Burkhart. Im Jahr 2010 tauchte er in North Carolinas Outer Banks in den Ozean und schlug mit dem Kopf auf eine Sandbank. Dabei verletzte er sein Rückenmark unterhalb des sechsten Halswirbels. Er konnte seine Arme an Schulter und Ellbogen noch bewegen, aber nicht mehr seine Hände oder Beine.

Ärzte am Wexner Medical Center der Ohio State University planten zu jener Zeit gemeinsam mit dem gemeinnützigen Forschungsunternehmen Battelle eine Studie. Die Wissenschaftler wollten herausfinden, ob sie mit einem Utah-Array die Gliedmaßen eines gelähmten Menschen wiederbeleben können. Im Jahr 2014 implantierten Ärzte ein Utah-Array in Burkharts Kopf.

Das Array misst das elektrische Feld an 96 Stellen in seinem motorischen Cortex, 30 000-mal pro Sekunde. Burkhart kam über ein Jahr lang mehrmals pro Woche ins Labor und konnte schließlich von ihm beabsichtigte Bewegungen über eine Armmanschette auszuführen: etwa eine Flasche greifen, heben und entleeren oder eine Kreditkarte aus seiner Brieftasche herausnehmen. Burkhart war damit der erste Mensch, der durch einen solchen "neuralen Bypass" die Kontrolle über seine eigenen Muskeln wiedererlangte.

Battelle arbeitet nun als eines von sechs Teams des N³-Programms mit Burkhart zusammen, um herauszufinden, ob sich die gleichen Ergebnisse auch ohne sein Schädelimplantat erzielen lassen.

Ob elektrische Signale jedoch wirklich der beste Weg sind, ist noch keineswegs klar. Ein N³-Team am Labor für Angewandte Physik der Johns Hopkins University (APL) setzt auf einen ganz anderen Ansatz: Nah-Infrarotlicht. Nach heutigem Verständnis schwillt das Nervengewebe an und zieht sich zusammen, wenn seine Zellen elektrische Signale abgeben. David Blodgett vom APL sieht in der Schwellung und Kontraktion des Gewebes ein ebenso gutes Signal für die neurale Aktivität wie in elektrischen Signalen. Er arbeitet an einem optischen System, das diese Veränderungen registrieren kann.

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Andere N³-Teams verwenden verschiedene Kombinationen von Licht, elektrischen, magnetischen und Ultraschallwellen, um Signale in das Gehirn und aus ihm heraus zu leiten. Es bleibt abzuwarten, ob einer dieser Ansätze erfolgreich sein wird. Gelingt es, wirft das jedoch ethische Fragen auf.

Mehr über "kontaktlose Gehirn-Computer-Schnittstellen für den Krieg" erfahren Sie in der neuen März-Ausgabe von Technology Review (im gut sortierten Zeitschriftenhandel erhältlich). (jsc)