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Ein Professor steht in einem Hörsaal, hinter ihm sind auf einer Leinwand Studierende zu sehen, die seine Vorlesung online verfolgen.

© Ethan Miller/Getty Images/AFP

Umfragen zu Online-Lehre in Corona-Zeiten: „Ein weiteres Semester dieser Art bereitet mir große Angst“

Wie Studierende im Digitalsemester zurechtkamen und was sie jetzt befürchten, zeigen erste bundesweite Umfragen. 60 Prozent sehen die Online-Lehre negativ.

„Ich kann überhaupt nicht nachvollziehen, dass das WiSe auch digital werden soll. Für mich ist das eine Katastrophe und es macht mich richtig unglücklich.“ Mit diesem emotionalen Statement für eine bundesweite Online-Umfrage der Universität Hildesheim zum Digitalsemester dürfte der oder die Befragte zumindest 36,6 Prozent der Mitstudierenden aus der Seele sprechen.

Sie finden „die Vorstellung, noch ein weiteres Semester digital zu studieren“ sehr schlecht; weitere 22,9 Prozent finden sie schlecht. Insgesamt äußern also knapp 60 Prozent eine negative Einstellung zur ausschließlichen Online-Lehre. Gut oder sehr gut gefällt die Aussicht auf ein erneutes Digitalsemester nur 22,3 Prozent.

Als größten Nachteil der Online-Lehre sehen 82,3 Prozent, dass der direkte Kontakt zu anderen – sei es zu Kommilitonen oder zu Lehrenden – fehlt. Gefolgt von „mehr eigenständigem Lernen“ (47,7 Prozent) und einer „schlechteren Vereinbarkeit von familiären Verpflichtungen und Studium“ (29,2 Prozent).

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Den Zwang zum eigenständigen Lernen, der so viele Studierende unter Druck setzt, sehen allerdings auch viele als größten Vorteil des Digitalsemesters: Für 62,8 Prozent liegt er in „mehr Flexibilität in der Arbeitsgestaltung“. 56 Prozent freuen sich, dass sie in der Fernlehre keine Anreise zum Studienort haben.

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Auch der Spaß an modernen Lerntechnologien schafft es mit 21,2 Prozent Zustimmung noch unter die Top 3 der Vorteile.

Erste umfassende Analyse des Coronasemesters

Für die Befragung „Studieren digital in Zeiten von Corona“ (Stu.diCo.) wurden im Laufe des Julis – also zum Ende des Sommersemesters - online ausgefüllte Fragebögen und Freitextantworten von 2350 Studierenden bundesweit ausgewertet, die im Schnitt im vierten Semester an der Hochschule waren (zum vollständigen Ergebnispapier geht es hier).

Mit einem 40-seitigen Ergebnispapier zu Stu.di.Co. legt das Team des Instituts für Sozial- und Organisationspädagogik der Universität Hildesheim um Severine Thomas und Anna Traus jetzt eine erste umfassende Analyse der Studienerfahrungen im Coronasemester vor. Dabei gehe es nicht nur um die Studienorganisation, sondern auch um die Lebenssituation der Studierenden.

Vieles deute darauf hin, „dass sich für die Studierenden die Konzentration auf einen Lebensmittelpunkt, der gleichzeitig Lernort und Lebensort ist, als nicht leicht darstellt“, heißt es.

Eine junge Frau sitzt vor ihrem Laptop und stützt den Kopf in die Hände.
Alleine mit dem Lernen - in der eigenen Wohnung, in der WG oder wieder bei den Eltern.

© FOTOLIA

Das hieß für sehr viele, wieder im „Hotel Mama“ zu leben und zu lernen. 39 Prozent der Befragten gaben an, bei ihren Familien zu wohnen; der Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks zufolge sind es in normalen Zeiten nur 20 Prozent. 18,8 Prozent teilten sich eine Wohnung mit Partner oder Partnerin, 15,7 Prozent lebten in der WG, 12,6 Prozent alleine in einer Wohnung und 3,4 Prozent im Wohnheim.

Was ihnen dabei fehlte, waren vor allem Dinge, die eine Hochschule im normalen Betrieb selbstverständlich bietet: Sehr vermisst wurden – in der Reihenfolge der meisten Nennungen – Flur- oder Campusgespräche mit Kommiliton*innen, Campus-Leben (z.B. gemeinsames Essen in der Mensa), Platz zum Lernen außerhalb der eigenen vier Wände und Austausch und Beratung im direkten Kontakt mit den Lehrenden.

[Die Hochschulen versprechen ab Herbst ein "Hybridsemester" - doch wie realistisch ist das? Lesen Sie unseren Bericht: Präsenz bleibt die Ausnahme]

Doch auch das Studium an sich hat gelitten. 44,5 Prozent der Befragten besuchten weniger Lehrveranstaltungen als im vorangegangenen Präsenzsemester. Als Grund dafür gaben gut 40 Prozent an, dass ihre Arbeitsbelastung im Digitalsemester höher sei, knapp 39 Prozent hatten „mehr Ablenkungsfaktoren“ und ein weiteres Drittel vermisste die gewünschten Lehrveranstaltungen. Technische Probleme waren nur für knapp 14 Prozent ausschlaggebend.

Allerdings gaben auch 36,6 Prozent an, genauso viele Lehrveranstaltungen wie zuvor besucht zu haben, bei 15,6 Prozent waren es sogar mehr. Letztere führten dies vor allem darauf zurück, dass sie digitale Vorlesungen und Seminare flexibler in ihren Alltag integrieren können (50 Prozent) oder keine Anreisezeiten zur Uni hatten (47,3 Prozent).

Ein weiterer Grund, intensiver zu studieren, den immerhin ein Viertel nennt: Der Wegfall von anderen Terminen und Verpflichtungen wie Ehrenämter, Training, Partys – oder Jobs.

Jobverlust ist der Hauptgrund für Geldmangel

Der Verlust studentischer Nebenjobs als negative Begleiterscheinung der Coronakrise wurde in den vergangenen Monaten viel diskutiert. Auch dazu hat das Stu.di.Co.-Team vertieft gefragt. Haupteinnahmequellen sind die Unterstützung durch die Eltern (65,3 Prozent), Nebenjobs (52,6 Prozent), Bafög (21,8 Prozent) und Kindergeld (25,7 Prozent).

37 Prozent geben an, mit weniger Geld als vor Corona auskommen zu müssen, der Hauptgrund dafür ist der Jobverlust (57,5 Prozent). Knapp 28 Prozent bekommen weniger Geld von ihren Eltern. Über die Hälfte der Studierenden verfügen aber über gleich viel Geld, während elf Prozent sogar mehr haben – vor allem, weil sie etwa für Fahrtkosten und Freizeitaktivitäten weniger ausgeben.

Die mehrheitlich negative Sicht der Studierenden auf das Digitalsemester wird durch eine kürzliche abgeschlossene Umfrage des Stifterverbands differenziert, für die von Mitte Juli bis Mitte August bundesweit 11.000 Studierende und 2000 Lehrende befragt wurden.

In einer Sitzgruppe lernen fünf Studierende und tauschen sich dabei aus.
Zusammen lernen und leben - das fehlt über 80 Prozent der befragten Studierenden.

© Getty Images/iStockphoto

Nach ersten Ergebnissen, von denen Tagesspiegel vorab erfuhr, werden Online-Vorlesungen von 61 Prozent der Lehrenden und 55 Prozent der Studierenden genauso gut oder besser als in Präsenz bewertet. Die digitalen Seminare und Tutorien des Corona-Semesters wurden deutlich kritischer gesehen – nur 40 Prozent sehen sie als gleichwertig mit Präsenzangeboten.

Demnach werde eine Online-Lehrveranstaltung umso besser bewertet, je mehr Personen beteiligt sind und je weniger interaktiv sie abläuft, sagt Mathias Winde, Leiter des Aktionsfelds Wissenschaft beim Stifterverband.

Kamera an, Skript vorlesen oder frei vortragen – da gibt es offenbar keinen großen Unterschied zur klassischen Vorlesung im Hörsaal. Zumal es bei asynchronen Formaten möglich ist, den Vortrag des Professors oder der Professorin zeitlich flexibel abzurufen und bei Bedarf mehrfach anzuschauen.

Die kleineren Lehrveranstaltungen dagegen „sind didaktisch anspruchsvoller und waren ad hoc noch nicht mit innovativen Formaten hinterlegt“, sagt Winde.

Weitere Berichte zur Corona-Lage an den Hochschulen

Doch die größte Herausforderung für die Studierenden im digitalen Sommersemester war – wie in der Umfrage der Uni Hildesheim – das „mangelnde Sozialleben“: Die große Mehrheit der vom Stifterverband Befragten beklagt, dass das Miteinander auf dem Campus weggefallen ist – vom Kaffee in der Mensa über den Hochschulsport bis zum Engagement in studentischen Gruppen.

Große Bedenken angesichts eines erneuten Digitalsemesters sprechen aus einem weiteren Statement aus der Hildesheimer Umfrage. Der oder die Studierende erklärt, dass „mir ein weiteres Semester dieser Art so große Angst bereitet, da die Uni für mich sowohl eine Quelle von Selbstvertrauen, Geltung und einfach Glück und Freude war, was sich nun in Anstrengung und ein Durchhalten durch Selbstdisziplin transformiert hat.“

Hochschulen sollen Räume für soziales Leben schaffen

Das Team der Forschenden aus Hildesheim spricht eine Reihe von Empfehlungen aus, die den Studierenden das Leben buchstäblich wieder leichter machen sollen. Wenn ab Oktober (an den Fachhochschulen) beziehungsweise ab November (an den Unis) ein erneutes Digitalsemester startet, sollten die Hochschulen dafür sorgen, dass Studierende digital ebenso gut arbeiten und sich austauschen könnten, wie analog. So müssten sie dabei unterstützt werden, digitale Gruppenräume zu erstellen, und in die Entwicklung digitaler Lehrangebote einbezogen werden.

Ebenso seien die Hochschulen dafür verantwortlich „Räume für soziales Leben“ zu schaffen und ihre digitalen Beratungsangebote auszubauen. Notwendig seien auch – über die befristeten Überbrückungshilfen hinaus – langfristigere finanzielle Hilfen, Hochschulen könnten Sozialfonds oder Sonderstipendien anbieten. Insbesondere müssten Studierende, die nicht über soziale Netzwerke verfügen, finanziell und in der Studienplanung unterstützt werden.

Für alle, die im Digitalsemester nicht voll studieren konnten, fehlten einheitliche Regelungen, wie sie Studienleistungen nachholen können, ohne etwa beim Bafög erneut benachteiligt zu werden, heißt es. Denn 47,5 Prozent der Befragten geben an, eine Verlängerung des Studiums in Erwägung zu ziehen.

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