Im Feuer der Desinformation – Seite 1
Joe Biden gegen Donald Trump: Der Wahltag war eine Zitterpartie, die Milliarden Menschen auf der Welt in sozialen Netzen verfolgten. Und sie hält an. Wie stark prägen Desinformationen diese Wahl? Und haben die Netzwerke Facebook und Twitter ihr Versprechen gehalten, vehement gegen sie vorzugehen?
Facebook, Twitter, YouTube und andere Internetunternehmen und -plattformen hatten detaillierte Pläne vorgelegt, wie sie die Verbreitung von Desinformationen und voreiligen Wahlsiegen verhindern wollen. Facebook und Google haben politische Anzeigen ab der Schließung der Wahllokale am Dienstag verboten, Twitter hat sie ganz von ihrer Plattform verbannt. Dahinter steht der Versuch, die Ereignisse von 2016 nicht zu wiederholen: Im damaligen US-Präsidentschaftswahlkampf waren viele Social-Media-Plattformen von jeder Menge Falschinformationen und Desinformationskampagnen geflutet worden. Stammten viele davon 2016 aus dem Ausland, war 2020 vor allem mit kommunikativen Störfeuern aus den USA selbst gerechnet worden.
Dieses Mal war die Furcht besonders groß, dass mit gezielter Desinformation Zweifel an der Legitimität des Wahlprozesses gesät werden könnten – etwa durch das Trump-Lager. Entsprechend groß waren der Druck und die Herausforderung für große soziale Netzwerke am Tag der Stimmabgabe.
Tatsächlich hielten sich Twitter wie Facebook an ihre Vorsätze, auf das vorschnelle Ausrufen von Wahlgewinnen zu reagieren. Wie geahnt, postete der amtierende Präsident Donald Trump am frühen Morgen auf Facebook und Twitter, man sei groß im Rennen, aber "sie versuchen, die Wahl zu STEHLEN". Gemeint waren offenkundig die Demokraten. Twitter versteckte den Tweet umgehend mit dem Warnhinweis, dessen Inhalt sei "umstritten und möglicherweise irreführend" und verhinderte die Weiterverbreitung. Bei Facebook dauerte es ein wenig, bis das Unternehmen den Post Trumps mit einem Hinweis ergänzte, dass endgültige Ergebnisse der Wahl noch nicht vorlägen. Ähnlich reagierte Facebook auf Trumps Ankündigung vom Mittwochmorgen, noch im Laufe des Tages ein Statement abgeben zu wollen: Trump sprach von einem "großen Sieg", Facebook verwies darauf, dass Stimmen noch gezählt und ein Gewinner der Wahl noch nicht prognostiziert worden sei. Und versah auch das Video von Trumps vorschnell verkündetem Wahlsieg mit einem Zusatzhinweis.
Twitter wiederum kennzeichnete einen Tweet Trumps als "umstritten und möglicherweise irreführend", in dem der US-Präsident am Mittwoch neue Entwicklungen bei den Auszählungen, die sich in mehreren Bundesstaaten zugunsten der Demokraten entwickelten, als "sehr merkwürdig" bezeichnet hatte.
Zuvor hatte Twitter eingegriffen, nachdem das Trump-Lager bereits früh einen Sieg im Bundesstaat South Carolina erklärt hatte. Genauso als Floridas republikanischer Gouverneur Ron DeSantis vorschnell Trumps Wahlerfolg in seinem Bundesstaat verkündet hatte: Das Unternehmen versah die Posts mit dem Hinweis, zum Zeitpunkt der Tweets hätten offizielle Quellen den Ausgang noch nicht bekannt gegeben.
"Bewusst täuschend" oder glatt gelogen
Am Wahltag kursierten aber auch Behauptungen und Vorwürfe über Unregelmäßigkeiten etwa bei der Stimmabgabe und bei Wahlbeobachtungen. Teils war sogar von vermeintlichen Betrugsversuchen des demokratischen Lagers zu lesen. Besonders im stark umkämpften Bundesstaat Pennsylvania – einem der für den Ausgang der Wahl entscheidenden Swing-States – kam es immer wieder zu Falschinformationen, unvollständigen Darstellungen von Ereignissen und Übertreibungen.
Zum Teil handelte es sich dabei schlichtweg um die Verbreitung von Unwahrheiten. So kursierte auf Instagram ein Posting, in dem ein angeblicher Wahlhelfer im Landkreis Erie behauptete, er habe mehr als hundert Stimmen für Trump entsorgt – mit dem Ziel eines demokratischen Sieges in Pennsylvania. Behördenvertreter des Distrikts widersprachen: Die Person, die diese Angaben gemacht habe, habe keinerlei Verbindungen zum Distrikt, hieß es seitens der Nachrichtenagentur Reuters. Es werde ermittelt, wer hinter der Fälschung stecke. Twitter löschte Tweets, die den Instagram-Post teilten. Zuvor war der Eintrag jedoch bereits tausendfach verbreitet worden.
In anderen irreführenden Posts wurde behauptet, die Demokraten hätten dort Wahlplakate aufgestellt, wo es verboten sei. So retweetete Trumps Kampagnenmitarbeiter Mike Roman neben anderen irreführenden Tweets ein Foto, das ein Wahlplakat der Demokraten zeigte, welches illegalerweise direkt vor einem Wahllokal in Philadelphia angebracht sei. Twitter hatte den Tweet, den Roman teilte, mit dem Hinweis entfernt, er verstoße gegen Regeln des Unternehmens. Philadelphias Staatsanwaltschaft schrieb, das auf dem Foto abgebildete Plakat vom Wahllokal sei weit genug entfernt und bezeichnete den Tweet als "bewusst täuschend".
Ein ebenfalls von Roman verbreitetes, ähnliches Foto, das angeblich einen Handzettel mit Werbung für die Demokraten in einem Wahllokal zeigen soll, flaggte Twitter mit einem Hinweis auf "manipulierte Medien" – denn auch diesen Vorwurf entkräftete unter anderem eine Recherche der New York Times.
In einem anderen Fall wurde ein dokumentierter Vorfall genutzt, um generellere Probleme bei der Wahl im Bundesstaat zu insinuieren: In mehreren sozialen Medien fand ein Video starke Verbreitung, in dem einem republikanischen Wahlbeobachter der Zutritt zu einem Wahllokal in Philadelphia verwehrt wurde. Das Video wurde Medienberichten zufolge mehr als zwei Millionen Mal angesehen. Ein Sprecher der Stadt sprach von einem "ehrlichen Fehler", der korrigiert worden sei. Dem Wahlbeobachter sei später Zugang gewährt worden, sagte er dem Non-Profit-Netzwerk für investigativen Journalismus ProPublica. Die Seite FactCheck.org berichtete, der Wahlbeobachter habe zu anderen Wahllokalen problemlos Zutritt erhalten.
"Ich hatte keine anderen Probleme während des Tages. Das war der
einzige Ort, zu dem mir Zutritt verwehrt wurde", wird er dort zitiert.
Donald Trump Junior, Sohn des republikanischen Präsidentschaftskandidaten, hatte das Video verbreitet, ebenso der eingangs schon erwähnte Mike Roman, ein Mitarbeiter aus Trumps Wahlkampfteam. Auch diverse politisch rechtsaußen positionierte Medien wie Breitbart News hatten den Vorfall Berichten zufolge aufgegriffen und über ihre Kanäle auf Facebook und Twitter verbreitet. Darstellungen, dass dieser Film pars pro toto darauf hinweise, dass es Fälle wie diese in der ganzen Stadt gebe, widersprach der City Commissioner von Philadelphia: Es habe sich um einen Einzelfall gehandelt. Eine Sprecherin des Bezirksstaatsanwalts von Philadelphia bezeichnete das Ausmaß von Desinformationen, die online geteilt wurden, als "beispiellos und unnachgiebig": "So was haben wir noch nie gesehen." Die Zahl der tatsächlichen Beschwerden über den Wahlablauf soll hingegen überschaubar gewesen sein.
Der recycelte Hashtag #StopTheSteal
Dieses Video, aber auch andere Vorfälle wurden Beobachtern zufolge mit dem Hashtag #StopTheSteal versehen, der am Wahltag erneut populär wurde. Dort sammelten Nutzerinnen und Nutzer auf Twitter Behauptungen über vermeintliche Unregelmäßigkeiten und Betrugsversuche durch die Demokraten.
Der Hashtag, der im Umfeld der Republikaner bereits während der Präsidentschaftswahlen 2016 und der Kongresswahlen (midterm elections) im Jahr 2018 aufgetaucht war, gewann laut dem Medienanalysedienst Zignal Labs im Laufe des Wahlvormittags am Dienstag stark an Verbreitung – von wenigen Dutzend Erwähnungen auf mehr als 2.000 innerhalb von 15 Minuten. Twitter kennzeichnete einige dieser Tweets als "irreführend", andere blieben ohne Warnhinweise auf der Plattform stehen.
Es gebe koordinierte Anstrengungen, einige Probleme überproportional aufzubauschen, sagte Alex Stamos, der ehemalige Cheftechnologe des Unternehmens Facebook und heutige Direktor des Stanford Internet Observatory, laut einem Bericht der Nachrichtenagentur Reuters. Stamos forscht an der Uni Stanford dazu, wie digitale Technologien und soziale Netzwerke die Sicherheit, die Weltpolitik und Demokratien beeinflussen. Zusammen mit anderen Forschenden und Analysten des Programms Election Integrity Partnership beobachtete er die sozialen Netze am Wahltag. Ziel dieses Zusammenschlusses ist es, die Verbreitung von Desinformation aufzudecken. Dazu untersuchten die Forscher am Wahltag das Geschehen in Echtzeit.
Wie die Washington Post berichtet, machten sie in diesem Zusammenhang unter anderem auch die Plattform TikTok auf Accounts aufmerksam, die behaupteten, dass es zu Gewaltausbrüchen kommen werde, falls der demokratische Kandidat Joe Biden die Wahl gewinne. TikTok soll daraufhin ein Video gesperrt haben. Die Forscher und Analysten der Election Integrity Partnership dokumentierten auf ihrem Twitter-Account auch weitere Fälle von Desinformationen. Die Unsicherheit, bis das Wahlergebnis verkündet sei, begünstige deren Verbreitung, hieß es noch am Wahltag auf ihrer Website.
Das Problem des gesäten Zweifels
Nach Meldungen der Nachrichtenagentur Reuters sollen Twitter und Facebook auch etliche neu geschaffene Konten mit rechtsgerichteten Äußerungen zur US-Wahl gesperrt haben. Grund sei nach Facebook-Angaben "unglaubwürdiges Verhalten" gewesen.
Ein einzelnes Abstimmungsgerät in Scranton, der Heimatstadt Joe Bidens in Pennsylvania, war der Nachrichtenagentur AP zufolge für wenige Minuten blockiert – auf Twitter und Facebook hätten Nutzer aber behauptet, die Maschinen seien für Stunden ausgefallen. Die Zeitung USA Today hingegen meldete online, es seien dort tatsächlich mehrere Geräte für zweieinhalb Stunden ausgefallen – auch dies sei aber längst behoben gewesen, als der Vorfall am Nachmittag amerikanischer Zeit auf Facebook als Neuigkeit präsentiert wurde. Über ähnliche irreführende Posts in anderen Bundesstaaten berichtete die Fact-Checking-Seite PolitiFact. Zwar sei es auch dort teilweise wirklich zu Funktionsstörungen von Wahlmaschinen gekommen – den Recherchen zufolge gäbe es aber keine Hinweise auf größere Probleme oder gar Anzeichen für Wahlbetrug.
Falschinformationen über die Briefwahl und Warnungen vor Versuchen, die Wahl zu stören oder gar zu manipulieren, kursierten schon vor dem Endspurt am Dienstag. Die Verbreitung eines Tweets, in dem Donald Trump selbst die Sicherheit der Briefwahl angezweifelt hatte, hatte Twitter in der Nacht vor der Wahl unterdrückt.
Neben Twitter und Facebook hatte auch der Videodienst YouTube, der zum Google-Konzern gehört, mit bedenklichen Inhalten zu kämpfen. YouTube nahm nach eigenen Angaben eine Reihe von Videos von der Seite, die angeblich Gewaltausbrüche am Wahltag zeigen sollten, tatsächlich aber lediglich Filmmaterial früherer Proteste zeigte. Das berichtet die Washington Post. Auch ein Livestream, in dem falsche Wahlergebnisse kommuniziert wurden, wurde YouTubes Angaben zufolge entfernt.
Desinformation auch jenseits von sozialen Medien
Und das Problem geht über soziale Medien hinaus: So soll es am Wahltag zu einer Welle von Roboteranrufen gekommen sein, in denen Wählerinnen und Wähler aufgefordert wurden, "sicher und zu Hause" zu bleiben. Das berichtet die Washington Post. Das FBI soll entsprechende Vorfälle in Michigan untersuchen.
Aus der Perspektive der Cybersicherheit scheint der Tag allerdings recht glatt verlaufen zu sein, meldeten Journalisten unter Berufung auf die zuständige Behörde CISA: Größere Cyberangriffe scheint es demnach nicht gegeben zu haben, lediglich einige technische Probleme.
Vertrauen anpiksen
"Das kontinuierliche Eintröpfeln von Posts, die sich auf relativ wenige
Vorfälle bei der Wahl beziehen, wird verstärkt und verbreitet, als
würden sie sehr viel größere Probleme signalisieren", sagte Claire
Wardle, eine der Mitgründerinnen der Fact-Checking-Seite First Draft am Wahltag gegenüber BuzzFeed News. So werde ein Narrativ geschaffen, laut dem der Wahlprozess fehlerhaft sei.
Der Wahrnehmungshack durch Desinformation
im Netz, den viele befürchtet hatten – ist er nun also eingetreten? Wie stark hat das Vertrauen
in die Legitimität der Wahlprozesse und die Glaubwürdigkeit des noch nicht
feststehenden Ergebnisses gelitten? Und haben die Eingriffe der sozialen Netzwerke ausgereicht?
Das am Tag nach der Wahl abschließend beurteilen zu wollen, ist zweifellos zu früh und wäre zu oberflächlich. Auch, weil wir noch gar nicht abschätzen können, was noch alles passieren wird, bis tatsächlich ein Gewinner der Wahl feststeht. Sagen lässt sich wohl: Vergleicht man die Reaktion sozialer Netzwerke am Wahltag 2020
mit dem Umgang mit Desinformation rund um die Präsidentschaftswahlen
2016, so lässt sich
durchaus erkennen, dass entschiedener eingegriffen wurde. So wurde in einigen Fällen gekennzeichnet, teils auch gelöscht, was Falsches
verbreitete oder in
die Irre führte. Gegen derartige Einordnungen hatten sich soziale
Netzwerke noch vor wenigen Jahren gewehrt.
Doch eines ist auch klar: Informationsmanagement, Labels und Sperrungen in sozialen Netzwerken können nicht ad hoc die grundlegenden gesellschaftlichen Probleme lösen, die diese Wahl einmal mehr offenbart. Die USA sind tief gespalten. Das Feuer aus Falschinformationen, die den Wahltag im Netz begleitet haben, zeugt davon einmal mehr.
Joe Biden gegen Donald Trump: Der Wahltag war eine Zitterpartie, die Milliarden Menschen auf der Welt in sozialen Netzen verfolgten. Und sie hält an. Wie stark prägen Desinformationen diese Wahl? Und haben die Netzwerke Facebook und Twitter ihr Versprechen gehalten, vehement gegen sie vorzugehen?
Facebook, Twitter, YouTube und andere Internetunternehmen und -plattformen hatten detaillierte Pläne vorgelegt, wie sie die Verbreitung von Desinformationen und voreiligen Wahlsiegen verhindern wollen. Facebook und Google haben politische Anzeigen ab der Schließung der Wahllokale am Dienstag verboten, Twitter hat sie ganz von ihrer Plattform verbannt. Dahinter steht der Versuch, die Ereignisse von 2016 nicht zu wiederholen: Im damaligen US-Präsidentschaftswahlkampf waren viele Social-Media-Plattformen von jeder Menge Falschinformationen und Desinformationskampagnen geflutet worden. Stammten viele davon 2016 aus dem Ausland, war 2020 vor allem mit kommunikativen Störfeuern aus den USA selbst gerechnet worden.