Die Werbung auf Facebook sei schuld. Das war, stark verkürzt, was nach dem überraschenden Wahlsieg des amtierenden US-Präsidenten 2016 hängen blieb. "Donald Trump hat wegen Facebook gewonnen", schrieb etwa das New York Magazine am Tag nach der Wahl. "Es war eine Kampagne kunstvoller digitaler Manipulation", bescheinigte die Frankfurter Allgemeine Zeitung dem US-Präsidenten und seinem Team.

Diese Manipulation hat – angeblich – so funktioniert: Durch die Analyse riesiger Datenmengen, unter anderem Facebook-Likes, werden Millionen von psychologischen Profilen erstellt, die angeben, wie offen, extrovertiert oder neurotisch einzelne Nutzerinnen und Nutzer sind. Anhand dieser Profile werden sie in kleine Gruppen eingeteilt, denen dann maßgeschneiderte Facebook-Werbeanzeigen gezeigt werden, die sie mutmaßlich am meisten überzeugen oder mobilisieren. Bis hin zur Farbe der Videountertitel seien Clips und Anzeigen auf die psychologischen Profile zugeschnitten gewesen. Der Name der Firma, die von sich selbst behauptete, auf diese Weise Donald Trump zum Sieg verholfen zu haben, ist zum Synonym für Manipulation der finstersten Art geworden: Cambridge Analytica.

Michal Kosinski, der das psychologische Modell beschrieben hatte, auf dem das mittlerweile insolvente britische Unternehmen sein System aufbaute, warnte damals vor dieser Form des Microtargetings und bezeichnete es als "Bombe".* Ein "Werkzeug psychologischer Kriegsführung" nannte es der Whistleblower Christopher Wylie, der 2018 enthüllte, dass das Unternehmen illegalerweise riesige Datenmengen von Facebook-Nutzenden gesammelt hatte. Und eine Netflix-Doku erzählte 2019 die Geschichte von Cambridge Analytica als Trumps Geheimwaffe unter dem Titel The Great Hack.

Im März 2020 schrieb The New Yorker über Brad Parscale, einen der Verantwortlichen der Wahlkampagne damals, er "nutzte soziale Medien, um die Wahl 2016 zu beeinflussen". Und: "Er ist bereit, es wieder zu tun."

Die Überzeugung, dass sich Wählerinnen und Wähler durch personalisierte Kampagnen beeinflussen lassen, ist weit verbreitet. Laut einer repräsentativen Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Civey aus dem Jahr 2018, teilen auch 70 Prozent der Deutschen diese Ansicht. Aber ist es wirklich wahr, dass Donald Trump seinen Sieg den sozialen Medien zu verdanken hatte? Und welche Rolle spielen sie in diesem Jahr?

Tatsächlich wurde der Einfluss von Cambridge Analytica damals schon angezweifelt. "Ich denke, Cambridge Analytica ist besser im Marketing als im Targeting", sagte etwa Tom Dobber dem Magazin The Verge. Er forscht am Zentrum für Politik und Kommunikation in Amsterdam dazu. Die New York Times berichtete gar, das Unternehmen habe seine Psychogramme gar nicht für die Kampagne des republikanischen Kandidaten verwendet.

Dass die Wahl bei Facebook entschieden wird, halte ich für deutlich übertrieben.
Curd Knüpfer

Und selbst wenn: Wie sehr personalisierte Werbung Wahlen tatsächlich beeinflussen kann, ist vom wissenschaftlichen Standpunkt aus nicht klar. Eine Forschungsgruppe aus Großbritannien und Spanien sieht zwar durchaus "signifikante Effekte", die Microtargeting auf die Wahl von 2016 hatte (CESifo Working Paper No. 8235: Liberini et al., 2020). Andere, etwa Forschende von der Universität Amsterdam, weisen darauf hin, dass die Datenlage dünn und das Phänomen zu wenig erforscht sei (Internet Policy Review, 6(4): Bodó et al., 2017). Das Unternehmen Facebook selbst hat angekündigt, seine Wirkung auf die US-Wahl 2020 unabhängig untersuchen zu lassen.

Curd Knüpfer, Juniorprofessor am John-F.-Kennedy-Institut der Freien Universität Berlin, warnt davor, die Bedeutung von Microtargeting zu überschätzen. Er forscht unter anderem zur Medienwelt der USA und dem Einfluss von digitalen Medien auf politische Prozesse. "Ich sage nicht, dass es keine Effekte hat. Aber dass die Wahl bei Facebook entschieden wird, halte ich für deutlich übertrieben", sagt er.