Freitag, 19. April 2024

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Digitale Kompetenz und Mediensouveränität
"Sozialer Suchimpuls, der uns ins Netz zieht"

Die Medienforscherin Sabria David rät zu einem reflektierten Umgang mit digitalen Medien. Vor allem soziale Netzwerke könnten auf der Suche nach Verbundenheit und Bestätigung abhängig machen, sagte sie im Dlf. Sich auch mal herauszuziehen sei eine Kulturtechnik, die man erlernen und täglich üben müsse.

Sabria David im Gespräch mit Benedikt Schulz | 11.10.2020
Mann hält sein Mobiltelefon in die Luft, auf einer Wand ist das WLAN Zeichen gemalt
Viele suchten im Internet nach Bestätigung, sagte Medienforscherin Sabria David im Dlf (Imago / Westend61)
Digitalisierung bestimmt vor allem auch in Coronazeiten unsere Lebenswelt. Doch nicht nur in Arbeitszusammenhängen hat die Mediennutzung stark zugenommen, sondern auch im Alltag. Der ständige Blick aufs Handy ist für viele normal geworden. Die Medienforscherin Sabria David hält diesen reflexhaften Umgang jedoch für falsch. Dadurch verschwänden Momente des Leerlaufs im Alltag, sagte sie Dlf. Doch genau die seien physiologisch, also für das vegetative Nervensystem wichtig – gelegentliche Langeweile und Nichtstun dementsprechend etwas Gutes.
"Nicht immer verfügbar sein"
Das Verhältnis von Mensch und Technik habe sich im Laufe der Zeit verändert, so Sabria David. Während man früher die Technik erst mal zum Laufen bringen musste, funktioniere sie heute eher reibungslos und nun gehe es eher darum, sie auch mal auszuschalten, sich zu entziehen, zu bremsen und zu priorisieren. "Und das sind alles Kulturtechniken, die mit der Technik nicht direkt mitgeliefert werden. Die müssen wir erst erlernen und uns bewusst machen", sagte die Medienforscherin.
Mann und Frau stehen Rücken an Rücken und kommunizieren mit Smartphones
Soziale Medien: Gut vernetzt - aber einsam?
Noch nie waren so viele Menschen über soziale Netzwerke und Smartphone-Apps so intensiv miteinander vernetzt wie heute. Doch trotzdem fühlen sich viele Nutzer einsam, weil echte Freundschaften im digitalen Raum selten entstehen. Experten warnen davor, nur das Leben von anderen zu verfolgen.
"Ein sozialer Suchimpuls, der uns ins Netz zieht"
Doch nicht immer verfügbar zu sein, widerspreche zunächst dem Urbedürfnis des Menschen, bei den anderen zu sein, um zu überleben. Der Mensch sei schon immer ein soziales Wesen gewesen: Auch der Höhlenmenschen hatte "diese Angst, morgens auf der Waldlichtung aufzuwachen, und schaut sich um und alle anderen sind weg".
Diese Angst entspreche ein bisschen dem heutigen Gefühl, in der digitalen Welt als einziger etwas zu verpassen und sozial nicht überleben zu können. Wir suchten Nähe, Kontakt und Bindungen - doch dieses Bedürfnis werde nicht wirklich befriedigt. Wenn wir nicht die Balance hätten, uns auch zu spüren, beziehungsweise unsere Existenz wahrnehmen könnten, ohne eine Bestätigung aus dem Netz, zeuge das von großer Verunsicherung. In der heutigen Gesellschaft fühlten sich sehr viele entfremdet und auch entkoppelt von größeren Zusammenhängen, wo man nach Bestätigung suche. Und gerade die sozialen Medien triggerten diese Bedürfnisse, beispielsweise mit dem Herzchensymbol.
Ein Paar sitzt auf dem Sofa, beide sind mit ihrem Smartphone beschäftigt. Dazwischen sitzt ein kleines Mädchen.
Philosoph Christoph Türcke - "Permanente Erreichbarkeit kann so etwas wie Psychoterror sein"
Alle benutzen es, immer, in der U-Bahn, im Café, am Küchentisch: das Smartphone. Ein "Spiel mit dem Feuer", sagte der Philosoph Christoph Türcke im Dlf zu den gesellschaftlichen Folgen der Digitalisierung. Deren ungeheure Dynamik müsse gezähmt werden.
Souveräne Mediennutzung üben
Für wichtig erachtet Sabria David, die Plattformen - die ja prinzipiell viel Gutes hätten – nicht über sich bestimmen zu lassen, sondern selbst souverän mit den Medien umzugehen. Wir sollten bewusst entscheiden, wann wir Verbindung zu anderen aufnehmen und wann wir uns auch wieder herausziehen wollten – und zwar ohne das Gefühl zu haben, etwas zu verpassen oder eine Empfindung von Zwang. Selbstbestimmt, nicht reflexhaft, sondern reflektiert – mit einem solchen Umgang könne man das Gute nutzen, ohne sich abhängig zu machen. Und das müsse man üben, indem man sich beispielsweise vornehme, jeden Tag ein paar Lücken zu lassen und der Versuchung zu widerstehen, bei jeder Gelegenheit zum Handy zu greifen.