Reporter ohne GrenzenMassenüberwachung des BND muss vor Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte

Seit 2013 versucht Reporter ohne Grenzen, sich gegen die Massenüberwachung des Bundesnachrichtendienstes zu wehren, stieß dabei aber immer wieder auf taube Ohren. Jetzt hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte eine Beschwerde gegen Deutschland zugelassen.

Ein Richter:innen-Hammer auf schwarzem Hintergrund
Das Oberlandesgericht sieht keinen Anlass eine Revision zuzulassen – Gemeinfrei-ähnlich freigegeben durch unsplash.com Tingey Injury Law Firm

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat eine Beschwerde von Reporter ohne Grenzen (RSF) gegen den Bundesnachrichtendienst (BND) angenommen. Die Beschwerdeführer werfen dem deutschen Auslandsgeheimdienst BND vor, Korrespondenzen zwischen RSF-Mitarbeiter:innen in Deutschland und Journalist:innen und Aktivist:innen im Ausland überwacht zu haben. Damit habe der BND gegen den Schutz der Privatsphäre und der Freiheit der Meinungsäußerung verstoßen, wie sie in der Europäischen Menschenrechtskonvention verankert sind.

Der BND sammelt im Zuge seiner strategischen Fernmeldeüberwachung an zentralen Internet-Knotenpunkten Hunderte Millionen von E-Mails, wie im Zuge der Enthüllungen von Edward Snowden und dem darauffolgenden NSA-BND-Untersuchungsausschuss bekannt wurde. Mittels Suchbegriffen und anderen Kriterien werden diese Korrespondenzen gefiltert, aber es sollen nur „nachrichtendienstlich relevante“ Informationen gespeichert werden – deutsche Bürger:innen dürfen vom BND nicht ohne spezielle Genehmigung überwacht werden. Dass die Filter bei der Massenüberwachung tatsächlich wie gewollt funktionieren, zweifeln Expert:innen aber schon lange an. Weil Reporter ohne Grenzen Partner:innen in Krisengebieten oder autoritären Regimes hat, geht die Organisation davon aus, dass auch sie unrechtmäßig Ziel der Überwachung wurde.

BND muss sich vor Gericht rechtfertigen

Dass die Beschwerde von RSF nun vom Gerichtshof in Straßburg akzeptiert wurde, ist umso bemerkenswerter, da ähnliche Klagen in Deutschland bereits 2013 vom Bundesverwaltungsgericht und 2017 vom Bundesverfassungsgericht abgewiesen wurden. Damals lautete die Begründung, die Kläger könnten die strategische Massenüberwachung durch den BND nicht sicher nachweisen – die Beweislast läge bei RSF.

Da die Praktiken des Geheimdienstes aber so gut wie nie einsehbar sind, ist es in der Schlussfolgerung praktisch unmöglich, vom BND Rechenschaft zu verlangen. In der nun stattgegebenen Beschwerde beruft sich RSF deshalb zusätzlich zu Artikel 8 („Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens“) und Artikel 10 („Freiheit der Meinungsäußerung“) der Menschenrechtskonvention auf Artikel 13, dem „Recht auf wirksame Beschwerde“. „Denn der weitaus größte Teil der Betroffenen erfährt nicht einmal im Nachhinein, dass ihre E-Mails erfasst und durchsucht wurden“, heißt es in einer Meldung von RSF, was eine Beschwerde der Betroffenen unmöglich macht.

Schon dass das Gericht die Beschwerde angenommen hat, ist bemerkenswert, denn nur etwa zwei Prozent aller Eingänge schaffen diese Hürde. Bereits am 9. Dezember wurde die Beschwerde von RSF an die Bundesregierung zugestellt. Nachdem die Frist für eine gütliche Einigung am 4. März endet, hat die Bundesregierung zwölf Wochen Zeit, inhaltlich Stellung zu beziehen. Eine Entscheidung wird nicht vor 2022 erwartet.

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9 Ergänzungen

  1. „Seit 2013 versucht Reporter ohne Grenzen, sich gegen die Massenüberwachung des Bundesnachrichtendienstes zu wehren“

    Wirklich?
    Eher nicht.

    RoG versucht sich seither gegen die Massenüberwachung DURCH DEN BND zu wehren.
    DAS! ist ein grosser Unterschied.

    1. Ich sehe keinen Unterschied zwischen dem zitierten und dem CAPSLOCK-Satz, außer du willst grammatikalisch spitzfindig sein?

    2. ist doch ganz einfach
      im ersten Fall wird der BND überwacht
      im zweiten überwacht der BND jemanden

  2. Noch ein weiterer Nachtrag:
    „Bereits am 9. Dezember wurde die Beschwerde von RSF an die Bundesregierung zugestellt. Nachdem die Frist für eine gütliche Einigung am 4. März endet, hat die Bundesregierung zwölf Wochen Zeit, inhaltlich Stellung zu beziehen.“

    Es wäre sehr sinnvoll, das mit den Terminen und zeitlichen Abläufen irgendwie so mit Infos zu hinterlegen, das es jedem möglich ist das nachzuvollziehen.

    Ich habe nur verstanden, das die BR nicht antworten muss, und das Ganze GENAU DAMIT wenigstens 6 Monate auf Eis liegt. Wenn das die Kernaussage ist, ist es gut. Wäre aber im Beitrag genauso erwähnenswert.
    Der Hintergrund dazu wäre trotzdem interessant.

    Auch wenn ich verwirrt bin – Danke für diesen Beitrag.

  3. Die Süddeutsche Zeitung hält die Annahme der Klage für eine Klatsche gegen das Bundesverfassungsgericht, dass bekanntlich keine Probleme mit der Massenüberwachung hat.

    Pikanterweise hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte die Klage nicht nur angenommen. Sondern den deutschen Verfassungsrichtern ihre Begründung für das Nichtstun um die Ohren gehauen. Zurecht!

  4. Sorry wenn ich da reingrätsche, aber dieses „Gericht“ hat eigentlich so gut wie keine juristische Bedeutung.

    „Sämtliche Unterzeichnerstaaten haben sich demgemäß der Rechtsprechung des EGMR unterworfen. Der Gerichtshof kann jedoch mangels Exekutivbefugnissen nur Restitutionen in Form von Entschädigungszahlungen gegen den handelnden Staat verhängen (Art. 41). Obwohl die Entscheidungen des Gerichtshofs auf völkerrechtlicher Ebene verbindlich sind, variiert ihre Bindungswirkung innerhalb der Rechtsordnungen der einzelnen Konventionsstaaten, da die Stellung der Menschenrechtskonvention von Staat zu Staat unterschiedlich ist (siehe Dualistisches System).“
    Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Europäischer_Gerichtshof_für_Menschenrechte#Bindungswirkung_der_Urteile_des_EGMR

    Heißt dass kann jeder Regierung so ziemlich scheißegal sein was da verkündet wird und wenn der EGMR mal Geldstrafen verhängt… ja gut war halt noch nie kostspielig die zu bezahlen.

    Ich persönlich habe seit jeher den Eindruck, dass nahezu alle Leute, die dort landen, dies tun, weil der juristische Apparat welcher vorher durchlaufen wurde in seiner Gesamtheit versagt hat.
    Und auch weiterhin versagt, es gibt nirgendwo auf der Welt auch nur einen einzigen Staat der die Menschrechte ernst nimmt, überall und zu jeder Zeit gibt es Verletzungen, mal mehr mal weniger, auch in Deutschland.
    Und die Drecksdienste kümmern Menschenrechte sowieso einen Dreck…
    Dennoch viel Erfolg.

    1. Mit Verlaub, das ist weitgehend theoretisch und auch faktisch falsch.

      „Unterworfen“ heißt gerade nicht, dass es Regierungen egal sein kann, was dort entschieden wird. Deine Interpretation des Zitats und auch Dein persönlicher Eindruck, wer dort warum Beschwerden einreicht, haben mit der Realität vieler erfolgreicher Beschwerdeführer und den tatsächlichen Auswirkungen der ergangenen Urteile wenig zu tun.

      Selbstverständlich reagieren die Regierungen nicht alle gleich auf die Urteile des Gericht. Deutschland (wie auch alle Staaten, in denen die Europäische Menschenrechtskonvention gilt) ist aber zur Umsetzung von Urteilen des Gerichtshofs verpflichtet. Das geschieht oft sogar recht zügig. Zwar hat der hiesige Gesetzgeber die Entscheidung, auf welche Weise er reagiert, aber kann nach einem Urteil nicht einfach untätig bleiben. Großen Einfluss haben die Urteile zudem in den meisten Staaten, die die Konvention ratifiziert haben, auch auf die Gerichte und deren Rechtsprechung.

      Das bekannteste Beispiel in Deutschland in jüngerer Zeit ist sicher die umfängliche Diskussion und dann auch gesetzliche Neufassung nach den beiden Urteilen zur Sicherungsverwahrung. Die Wikipedia-Version dazu ist sehr knapp, aber immerhin mit recht vielen Links: https://de.wikipedia.org/wiki/Sicherungsverwahrung#Rechtsprechung_des_EGMR_und_des_BVerfG

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.