Der Kollege und Konkurrent Computer begleitet uns bis ins Bett

Der Rechner ist längst systemrelevant, auf der Baustelle wie im Leben.

Oliver Herwig
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Die kroatische Architektin Jana Čulek sprengt die Grenzen konventioneller Architekturdarstellung: Ihr Computer dient als künstlerisches Werkzeug.

Die kroatische Architektin Jana Čulek sprengt die Grenzen konventioneller Architekturdarstellung: Ihr Computer dient als künstlerisches Werkzeug.

© Jana Čulek / Studio Fabula

Er ist überall: im Büro, im Auto, und selbst nachts im Schlaf liegt er zur Seite. Der Computer hat unser Leben grundlegend verändert, das war schon vor Corona so. Aber nun ist er allgegenwärtig. Ständig springen wir von einem Videoanruf zum nächsten, schleppen uns durch Online-Vorträge und Sitzungen. Manches geht schneller von der Hand, so manche Macho-Geste fällt weg, weil der Online-Auftritt diszipliniert. Wo körperliche Nähe und direkter Kontakt fehlen, stechen plötzlich Argumente.

Wie der Computer alle Lebensbereiche verzahnt und neu ausrichtet, muss sich auch die Architektur auf neue, agile Arbeitsweisen einstellen. Das gefällt nicht allen, doch längst sind Architektinnen und Computer unzertrennlich, stabiler als manche Bürogemeinschaft oder Ehe. Der Rechner ist nun systemrelevant: als Entwurfswerkzeug und Planungshilfe, Schreibmaschine, Tor zu Sozialkontakten, Tabellenkalkulationsprogramm und Terminkalender in einem.

Aufstieg zum Universalwerkzeug

Höchste Zeit, den (un)heimlichen Aufstieg des Computers von der einfachen Rechenmaschine zum Universalwerkzeug der modernen Architektur nachzuzeichnen. Das Münchner Architekturmuseum tut genau das. Schritt für Schritt zeigt die zellenartig organisierte Schau Fortschritte bei Rechenleistung und Programmierung, die wiederum neue Bauformen und -prozesse möglich machten.

Der Computer ist ein besonderes Werkzeug. Seine Stärke liegt in der Vielfalt als Zeichenmaschine, Entwurfshilfe, Medium für Geschichten und interaktive Plattform. Mit diesen vier Kategorien bietet die Münchner Schau einen Überblick über die letzten sechzig Jahre – von flirrenden Lichtpunkten, die über Röhrenbildschirme huschten, bis zu dreidimensionalen Welten, in die Menschen eintauchen und in denen sie sich frei bewegen können.

Blob-Pavillon von Bernhard Franken 1999 auf der Internationalen Automobilausstellung in Frankfurt.
9 Bilder
Architektonische Allegorie: Der Computer dient Jana Čulek als künstlerisches Entwurfswerkzeug.
Schnitt durch eine Sporthalle, 1970 entwickelt von John Frazer mithilfe parametrischer Systeme.
Satirischer Hochhausgenerator von You+Pea 2020. Per App lassen sich weitere Londoner Domizile für Superreiche entwickeln.
Computergestütztes Entwerfen (CAD) am Rechner (Richard Junge).
Die begehbare Grossskulptur «Dunescape» von SHoP Architects aus dem Jahre 2000 war die Attraktion im MoMA/PS1.
Otto Beckmann untersuchte mit seiner Serie «Imaginäre Architektur» zufallsgenerierte Bauten. Fotomontage, 1977–1980.
Planen für Laien: John und Julia Frazer sowie John Potter schufen mit ihrem Computerprogramm «The Walter Segal Model» ab 1982 eine echte Planungshilfe.
Still aus Keiichi Matsudas Kurzfilm «Hyper-Reality» von 2016, der eine grellbunte Zukunft zeigt, in der Augmented Reality und Augenblick verschmelzen.

Blob-Pavillon von Bernhard Franken 1999 auf der Internationalen Automobilausstellung in Frankfurt.

© Franken Architekten

Nachdem das Militär die Grundlagen gelegt hatte, begann die zivile Nutzung der Elektronenhirne mit ersten Programmen für Computer-Aided Design (CAD). Ab 1960 entwickelte die Firma Itek die Electronic Drafting Machine, während Ivan Sutherland am MIT das Sketchpad entwickelte, ein einfaches, aber effektives Zeichenprogramm, das per Leuchtstift bedient wurde. Die weitere Geschichte ist bekannt: Auf den Stift folgte die Maus, aus simplen Skizzen wurden komplexe Datenlandschaften und Renderings, die bisweilen der Realität vorauseilen oder selbst Realität schaffen. Weil uns Bilder prägen, ist der Computer auch eine ultimative Droge: ein Weltengenerator, wenn er nur mit den richtigen Daten gefüttert wird und Entwerferinnen die Algorithmen kontrollieren.

Steuern? Füttern? Es fällt nicht mehr so leicht, das richtige Wort für einen Partner zu finden, der gerade dabei zu sein scheint, den Status eines reinen Werkzeugs zu überwinden und mit fortgeschrittener KI so etwas wie Hilfsarchitekt zu werden. Spätestens wenn BIM (Building Information Modeling) einen digitalen Zwilling zum real existierenden Bau anlegt, mit vernetzten Informationen zu jedem Bauteil, wandelt sich auch das reale Bauwerk zur digitalen Bauhütte. Wie damals im Mittelalter, als Architekten und Baumeister gar nicht zu trennen waren, entsteht ein Gemeinschaftswerk der Fachplaner und ausführenden Handwerker, die alle an einem einzigen Plan arbeiten.

Dominante Weltmaschine

Die Ausstellung betreibt Grundlagenforschung, holt ans Licht, ordnet ein und systematisiert, verzichtet aber weitgehend auf Bewertung. Aber der Aufstieg des Computers bietet mindestens zwei Lesarten. Er eröffnet Gestalterinnen immer mehr Möglichkeiten, Arbeit anders zu organisieren, stupide Routinen abzulegen und dafür kreativen Impulsen nachzugehen. Zudem wird er immer mehr zur dominanten Weltmaschine, zum Universalwerkzeug, das (über) unser Arbeiten bestimmt.

Manche Architekten und Architektinnen sehen sogar das Denken formatiert. Das machten natürlich bereits Bleistift und Papier, Kleber und Pappkarton, aber der Computer tut es viel subtiler und fundamentaler. Der Umbruch zum Digitalen hat schliesslich auch Konsequenzen, selbst für die sammelnden Museen, die sich um Lizenzen alter Programme und die Pflege von Daten, die sonst womöglich bald schon nicht mehr lesbar sind, bemühen müssen. Das alles macht deutlich: Dieser Ausstellung muss noch mehr folgen, wollen wir den fundamentalen Wandel der Bauwelt durch den Computer wirklich verstehen.

«Die Architekturmaschine. Die Rolle des Computers in der Architektur»: Ausstellung im Architekturmuseum der Technischen Universität München (TUM). Das Museum bleibt vorerst geschlossen. Verlängert bis 6. Juni 2021.