Begründer der "maschinellen Rechentechnik" – Nikolaus Lehmann zum 100sten

Vor 100 Jahren wurde Nikolaus Joachim Lehmann geboren, ein Computerpionier der DDR. Sein "Auftischrechner" Cellatron wurde in großer Stückzahl produziert.

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Kleinrechner D4a im Heinz Nixdorf MuseumsForum

(Bild: Florian Schäffer, CC BY-SA 4.0, via Wikimedia Commons)

Lesezeit: 6 Min.
Von
  • Detlef Borchers
Inhaltsverzeichnis

Der Informatiker und Mathematiker Nikolaus Joachim Lehmann etablierte die von ihm so genannte maschinelle Rechentechnik an der Universität Dresden. Angeregt durch die Berichte über den ENIAC begann er frühzeitig, sich mit der Magnettrommel als Speichermedium zu beschäftigen. Er entwickelte die Rechenautomaten D1 und D2 in Röhrentechnik sowie den kleinen D4a als ersten "Auftischrechner", der als Cellatron in größerer Stückzahl gebaut wurde. Am "Institut für Rechentechnik" und später am Forschungsbereich "Mathematische Kybernetik und Rechentechnik" bildete er zahlreiche Informatiker aus. Nach seiner Emeritierung widmete er sich dem Sammeln und dem Nachbau historischer Rechenmaschinen.

N. J. Lehmann (1968)

(Bild: Dr. Wolfgang Nicht, CC BY-SA 3.0, via Wikimedia Commons)

Nikolas Joachim Lehmann (Mikławš Joachim Wićaz) wurde am 15. März 1921 im sorbischen Camina bei Radibor geboren. Der Vater betrieb ein Sägewerk, die Mutter war Schneiderin. Prägend war der Einfluss des Großvaters, der als früher Nerd unablässig Maschinen für das Sägewerk erfand, sich für alles Technische begeistern konnte und eine große technische Bibliothek besaß. Lehmann besuchte katholische Schulen und legte 1939 sein Abitur ab. Vom Dienst in der Wehrmacht wegen hohen Blutdrucks befreit, konnte er mit Unterbrechungen von 1940 bis 45 an der TH Dresden ein Mathematik- und Physik-Studium absolvieren. Prägend wurde für ihn die Forschungsarbeit bei Heinrich Barkhausen und seinem Institut für Schwachstromtechnik, das Grundlagenarbeit bei der Erforschung von Elektronenröhren leistete.

1948 promovierte Lehmann mit Auszeichnung zum Dr.-Ing. mit seiner Arbeit "Beiträge zur numerischen Lösung von linearen Eigenwertproblemen". Bereits 1951 folgte die Habilitation und die Berufung zum Professor für "Angewandte Mathematik" an der TH Dresden. In dieser Zeit beschäftigte sich Lehmann ausführlich mit den aus den USA eintreffenden Berichten über den ENIAC und dem berühmten Bericht über die EDVAC mit der Beschreibung der "von Neumann-Architektur". Lehmann entwarf 1949 "aus Protest" gegen den Riesenaufwand ein autonomes Rechenwerk mit Elektronenröhren und einem Magnettrommelspeicher. Ab 1950 machte sich Lehmann mit Ingenieuren des VEB Funkwerk Dresden den Rechenautomaten D1 (wobei D für Dresden stand) zu konstruieren. Er wurde mit Elektronenröhren aus den Beständen der Wehrmacht gebaut, als Eingabemedium benutzte man Propagandafilme der UFA, die gelocht wurden.

Der ständige Materialmangel führte dazu, dass die D1 in zwei Exemplaren erst 1956 fertiggestellt wurde. Der 6 Meter breite Rechnerschrank war mit 760 Röhren und 100 Relais bestückt, das System rechnete mit einer Wortlänge von 72 Bits und speicherte auf einer Magnettrommel mit 2048 Speicherplätzen auf 128 Spuren. Es leistete 100 Operationen in der Sekunde. Mit der Fertigstellung der D1 begannen die Arbeit an der zehnmal so schnellen D2, die vor allem in der Konstruktion einer robusten großen Speichertrommel und einem Schnellspeicher bestand. Sie fand später ihren Weg in den ersten serienmäßig gebauten Rechenautomaten ZRA 1 des VEB Carl Zeiss Jena.

1959 begann Lehmann mit der Konzeption eines Kleinrechenautomaten, den er als "Rechenautomaten auf dem Tisch" bezeichnete und 1960 zum Patent anmeldete. Die D4a genannte Maschine sollte die Grundrechenarten beherrschen und direkt von den Nutzern, "nicht von den Programmierspezialisten in Rechenzentren" bedient werden können. Heraus kam ein 60 cm × 42 cm × 45 cm großes Kästchen, das 211 Transistoren auf Steckkarten enthielt und eine robuste Magnettrommel mit 4096 Speicherplätzen. Dazu kam die nötige Peripherie mit Lochstreifenstanzer und -leser für die Programmierung sowie eine elektrische Schreibmaschine und/oder ein Fernmeldeschreiber und -stanzer für die Ausgabe.