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Gerichtsentscheidungen zu Prüfungen Studenten in Kiel und Hagen müssen Onlineüberwachung dulden

Dürfen Hochschulen ihre Studierenden bei Onlineprüfungen per Webcam und Mikrofon kontrollieren? Ja, entschieden zwei Oberverwaltungsgerichte. An einer Uni darf die Hochschule die Prüfung sogar aufzeichnen.
Campus der Fernuniversität Hagen

Campus der Fernuniversität Hagen

Foto: Bernd Thissen/ dpa

Das sogenannte Proctoring, also die umfassende elektronische Überwachung von Studierenden während einer Onlineprüfung, ist nach den Entscheidungen zweier Gerichte erlaubt. Die Oberverwaltungsgerichte in Münster (Nordrhein-Westfalen) und Schleswig (Schleswig-Holstein) veröffentlichten am Donnerstag jeweils entsprechende Eilentscheidungen. Zwei Studenten, die gegen die Onlineüberwachung bei Prüfungen an den Unis in Kiel und Hagen geklagt hatten, blieben erfolglos.

An der Christian-Albrechts-Universität Kiel hatte ein Student bemängelt, dass das Einschalten von Kamera und Mikrofon während einer Onlineklausur ein Verstoß gegen die Unverletzlichkeit seiner Wohnung sei. Während der Prüfung kann dabei die Aufsicht den Studierenden beim Arbeiten zusehen – und erhält natürlich auch Einblicke in deren Räumlichkeiten.

Das verletzt nach Ansicht des Schleswig-Holsteinischen Oberverwaltungsgerichts jedoch nicht übermäßig die Privatsphäre. Eine entsprechende Satzung, die die Uni Kiel eigens als Reaktion auf die Corona-Pandemie verabschiedet hatte, sei rechtmäßig (Aktenzeichen 3 MR 7/21).

Die Prüfung mit Videoaufsicht sei ein Weg, um derzeit überhaupt die Prüfung abnehmen zu können, so die Richterinnen und Richter. Denn: Eine Prüfung ohne Aufsicht sei mit dem Gleichheitsgrundsatz nicht zu vereinbaren. Mögliche Alternative sei daher nur eine spätere Präsenzprüfung. Diese wäre auch hier möglich gewesen, der Student habe sich aber freiwillig für die Prüfung mit Videoaufsicht entschieden.

Die elektronische Aufsicht sei auch kein »Eindringen« in die Wohnung, wie der Student argumentiert hatte. Zwar gebe es auch ein »digitales Eindringen«, das setze aber ein Handeln gegen den Willen des Wohnungsinhabers voraus. Die Kieler Studierenden und damit auch der Kläger könnten sich jedoch frei entscheiden, ob sie eine Prüfung mit Videoaufsicht ablegen wollen oder nicht.

»Ganz normale Videokonferenz«

Sibylle Schwarz, Fachanwältin für Verwaltungsrecht in Wiesbaden, hält diese Bewertung für nachvollziehbar. »Letztlich ist das, worüber in Schleswig-Holstein entschieden wurde, nichts weiter als eine ganz normale Videokonferenz«, sagt Schwarz. Dass es dabei eine Aufsicht geben müsse, damit nicht geschummelt wird, sei in beiden Entscheidungen klar zum Ausdruck gekommen: »Täuschung erzeugt Ungleichheit bei den individuellen Prüfungsbedingungen, und die muss auf jeden Fall verhindert werden.«

An der Fernuniversität Hagen wollte ein Jurastudent erreichen, dass bei der am kommenden Montag anstehenden Strafrechtsklausur keine Video- und Tonaufnahmen gespeichert werden. Die reine Liveaufsicht per Video könne er akzeptieren, hatte der Student dem SPIEGEL gesagt – nicht aber, dass die Aufnahmen gespeichert und erst später gelöscht werden. Er hatte verlangt, eine alternative Prüfungsform ohne Aufzeichnung angeboten zu bekommen.

Das Speichern von Kamerabild, Mikrofonaufnahmen und Bildschirmansicht verstößt jedoch nach Ansicht des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalen nicht gegen die Datenschutzgrundverordnung und gegen das Recht auf informationelle Selbstbestimmung (Aktenzeichen: 14 B 278/21.NE).

Die Rechtmäßigkeit der Aufzeichnung und Speicherung könne im Eilverfahren nicht geklärt werden, befand der 14. Senat. Zumindest bei einer schnellen Prüfung erscheine das Vorgehen der Fernuni verhältnismäßig. Die Datenverarbeitung sei erlaubt, wenn sie für die Wahrnehmung einer Aufgabe erforderlich sei, die im öffentlichen Interesse liege oder in Ausübung öffentlicher Gewalt erfolge – und das sei bei offiziellen Hochschulprüfungen der Fall, heißt es in einer Mitteilung des Gerichts .

Angst vor einem Dammbruch

»Wir sind von der Entscheidung enttäuscht«, sagt David Werdermann von der Gesellschaft für Freiheitsrechte. Die Bürgerrechtsorganisation hatte die Klage gegen die Fernuniversität Hagen unterstützt, weil sie einen Dammbruch beim Datenschutz fürchtet. »Die Frage ist jetzt: Was kommt als Nächstes? Wenn die Speicherung möglicher Beweismittel für Onlineprüfungen erlaubt wird, ist es möglicherweise nur eine Frage der Zeit, bis auch Präsenzprüfungen videoüberwacht werden«, sagt Werdermann. »Das wäre eine neue Stufe der Überwachung.«

Eins aber, sagt Anwältin Sibylle Schwarz, sei zumindest in der Entscheidung aus Schleswig-Holstein ausdrücklich nicht ausgeschlossen worden: dass die Studierenden sich während der Onlineprüfung ein selbst gewähltes Hintergrundbild installieren.

Der Kieler Student könnte seine Klausur also rein optisch in einer Gefängniszelle schreiben – oder auch auf den Stufen des Oberverwaltungsgerichts in Schleswig.

mit Material von jur