Erklärt

Die Weltwirtschaft hängt an Taiwan, insbesondere wegen der grossen Halbleiterproduktion. Aber wie funktionieren Computerchips eigentlich? Und warum sind sie so wichtig?

Fragen und Antworten zu den winzigen Bausteinen der Digitalisierung und ihrer geopolitischen Relevanz.

Matthias Sander, Ruth Fulterer, Gioia da Silva 5 min
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Die Bauteile der Digitalisierung: eine Handvoll Mikrochips.

Die Bauteile der Digitalisierung: eine Handvoll Mikrochips.

Dario Pignatelli / Bloomberg

Die Weltwirtschaft ist stark abhängig von der taiwanischen Halbleiterindustrie. Bereits heute fehlen Computerchips und Mikroprozessoren in der Herstellung von Autos, Smartphones, Waschmaschinen. Mit dem Besuch von Nancy Pelosi auf Taiwan verschärfen sich nun die geopolitischen Spannungen um die Insel. Das ist kein gutes Zeichen für die Weltwirtschaft.

Warum sind Chips und deren Lieferketten relevant?

Ohne Chips keine digitale Welt. Technologien wie Elektroautos, 5G, Internet der Dinge und künstliche Intelligenz sind auf eine stetig steigende Menge von immer leistungsfähigeren Chips angewiesen. Die Nachfrage nach Chips ist seit Ende 2020 so gross, dass die Hersteller nicht genügend liefern können. Manche Autobauer wie Volkswagen mussten wegen der Chip-Knappheit ihre Produktion vorübergehend einstellen.

Die Chip-Industrie hat hochspezialisierte, fragile Lieferketten. Die gesamte Branche hängt von einer guten Handvoll Ländern ab, die insbesondere im Bereich der Technologie zunehmend offener miteinander konkurrieren – und die sich teilweise mit Exportrestriktionen duellieren.

Was ist ein Chip?

Chips oder Mikrochips sind die zentralen Bausteine aller digitalen Geräte. Sie bestehen aus einem Halbleitermaterial, in das komplexe elektrische Schaltkreise eingeschrieben sind. Sie erfüllen verschiedene Funktionen: Prozessoren enthalten einen oder mehrere Chips und übernehmen die zentralen Rechen- und Steueraufgaben in Computern. Speicherchips konservieren Daten dauerhaft oder temporär als Arbeitsspeicher zum Ausführen bestimmter Programme. Zunehmend wichtiger werden sogenannte Ein-Chip-Systeme (System-on-a-Chip, SoC). Sie können mehrere dieser Aufgaben übernehmen, sind programmierbar und kommen in künstlicher Intelligenz zum Einsatz. Je nach Aufgabe unterscheidet sich die Architektur der Schaltkreise.

Was sind Halbleiter?

Ein Halbleiter ist ein Material, das nur wenig Strom leitet. Durch die Kombination verschiedener Schichten aus Halbleitern kann man Transistoren herstellen, also Bauteile, deren Leitfähigkeit man ansteuern kann: Entweder sie lassen Strom durch oder nicht. Die Leitfähigkeit kann als Eins oder Null dargestellt werden, also im binären System, auf dessen Basis Rechner funktionieren. Diese Transistoren lassen sich zu komplexen Schaltkreisen zusammenschalten, die Befehle verarbeiten und Daten speichern können.

Diese Bauteile sind winzig klein, 100 Nanometer oder kleiner. Zum Vergleich: Ein menschliches Haar ist etwa 70 000 Nanometer dick. Von der Grösse her verhalten sich Chip-Strukturen zu einem Haar etwa so wie ein Haar sich zu einem Baumstamm. Weil Halbleiter das grundlegende Material eines Chips sind, werden die beiden Begriffe oft synonym verwendet.
Am häufigsten werden Chips aus dem Halbleiter Silizium hergestellt.

Wie werden Halbleiter hergestellt?

Meist bestehen Halbleiter aus purem Silizium, das aus Quarzsand, einem sehr häufigen Stoff, gewonnen wird. Dazu wird der Sand geschmolzen. In mehreren chemischen und mechanischen Prozessen wird er verfeinert, bis am Ende eine perfekt regelmässige Kristallstruktur übrigbleibt – in Stabform. Aus diesen Stäben schneidet man die feinen Halbleiterplatten, auch Wafer genannt, heraus. Diese werden mechanisch und chemisch veredelt, bis sie eine perfekte Oberfläche haben. Bei diesen Wafern beginnt die eigentliche Chipproduktion.

Wie werden Computerchips hergestellt?

Aus den hauchdünnen, runden Halbleiterplatten werden, durch Prozesse wie Lackierung, Belichtung und Ätzung, Computerchips. So entstehen dreidimensionale Strukturen, durch die Ströme geleitet werden: die Schaltkreise. Ein einzelner Chip ist rund einen Millimeter bis wenige Zentimeter gross. Am Ende der Herstellung werden die Chips in Plastikgehäuse montiert (englisch: «packaging»), bevor sie in Elektrogeräten verbaut werden.

Welche Länder sind in der Halbleiterindustrie wichtig?

Hauptsächlich die USA, Taiwan, Südkorea, Japan, europäische Länder, China.

Die USA sind das Geburtsland der Halbleiter. Eine der ersten Firmen war 1968 Intel, das bis heute ein wichtiger Komplettanbieter vom Design bis zur Produktion von Chips ist. Andere wichtige amerikanische Firmen sind spezialisiert auf das Design der Chips («electronic design automation», EDA) sowie auf den Bau von Fertigungsmaschinen für Chips.

Taiwan dominiert den Weltmarkt bei der Chip-Fertigung. TSMC und weitere Firmen beliefern praktisch alle Kunden, die Chips selbst designen, aber nicht produzieren, etwa Grafikkartenanbieter wie Nvidia und AMD sowie Anbieter von Elektronikgeräten wie Apple und Tesla. Auch beim Testen und bei der Montage von Halbleitern zu Chips ist Taiwan stark. Unter anderem sitzt dort der Weltmarktführer in diesem Bereich, ASE aus der Hafenmetropole Kaohsiung.

Südkorea hat in den vergangenen Jahren rasant aufgeholt und stellt mit Samsung und SK Hynix die beiden führenden Hersteller von Speicherchips. Die Königsdisziplin aber sind spezialisiertere Logik-Chips, die es künftig immer mehr braucht, etwa für künstliche Intelligenz. Samsung fordert in diesem Bereich mit jährlichen Milliardeninvestitionen den weltweiten Technologieführer TSMC heraus.

Japan stellt den grössten Wafer-Hersteller der Welt, Shin-Etsu. Stark ist das Land auch bei Spezialchemikalien, mit denen etwa Wafer beschichtet werden – sogenannter Fotolack. Zudem gibt es grosse Hersteller von Autochips wie Renesas.

Europas wichtigstes Halbleiterunternehmen ist ASML aus den Niederlanden: Die Firma stellt als einzige der Welt Produktionsmaschinen für die besten Chips her, die etwa in 5G-Smartphones stecken. Eine einzige Maschine kostet rund 120 Millionen Euro, Abnehmer sind Fertiger wie TSMC und Samsung. Weitere Stärken Europas sind Autochips (Infineon, STMicroelectronics, NXP, Bosch) und Chemikalien (BASF, Linde, Merck). Wie die USA hat Europa die Fertigung von Chips weitgehend aufgegeben und nach Asien ausgelagert. Mehrere Firmen investieren allerdings wieder in eigene Werke.

China wird auch in der Halbleiterindustrie zunehmend wichtiger. Die Firmen dort konzentrieren sich noch auf vergleichsweise einfache Tätigkeiten wie Test und Montage. Aber das Land stellt mit SMIC aus Schanghai bereits den fünftgrössten Chiphersteller der Welt. Mithilfe von massiven Investitionen in die heimische Halbleiterindustrie im Rahmen der Initiative «Made in China 2025» will Peking in Sachen Chips zunehmend autonom vom Rest der Welt werden.

Die USA dominieren fast alle Segmente, China ist wenig präsent

Umsatzanteile nach Firmensitz in verschiedenen Segmenten
USA
China
Taiwan
Europa
Rest der Welt

Warum hat ein Engpass geopolitische Auswirkungen?

Die USA und China liefern sich ein Rennen um die weltweite Technologieführerschaft. Die amerikanischen Exportrestriktionen für Chip-Technologie unter Präsident Donald Trump haben Pekings Ambitionen in dem Bereich einen schweren Schlag versetzt.

China betrachtet die unabhängig regierte Chip-Hochburg Taiwan als Teil seines Territoriums und droht Taipeh mit einer militärischen Invasion. Taiwan ist die Heimat des weltgrössten Auftragsfertigers TSMC, der mehr als die Hälfte aller weltweiten Chips herstellt. Zudem sitzt dort der Weltmarktführer für das Testen und Verpacken von Chips, ASE. Mit anderen Worten: Die Welt ist stark abhängig von einer Insel, der ein Krieg droht.

Südkorea will von Japan unter anderem Entschädigungen für Zwangsarbeiter während der japanischen Besetzung von 1910 bis 1945, weshalb Japan 2019 Exporte von Spezialchemikalien für die Halbleiterindustrie nach Südkorea einschränkte.

Welche Kompetenzen sind nötig, um Chips herzustellen?

Es ist Hochtechnologie nötig, um auf so kleinem Platz so komplexe Strukturen unterzubringen. Die Luft in Halbleiterfabriken muss reiner sein als in einem Operationssaal. Die dafür nötigen Maschinen sind sehr teuer. Hochkomplex ist auch das Design der Schaltkreise. Die Entwickler müssen entscheiden, welche «Architektur» für die jeweilige Verwendung am effizientesten ist. Um etwa einen Prozessor zu entwerfen, sind mehrere Jahre Arbeit von einer Gruppe von Dutzenden bis Hunderten Ingenieuren nötig. Sie müssen nicht nur technische Fragen lösen, sondern auch prognostizieren, was in ein paar Jahren nachgefragt werden wird.

Was sagt das mooresche Gesetz zur Rechenleistung?

Heute steckt in jedem Smartphone mehr Rechenleistung, als die Nasa 1969 für ihre Mondlandung brauchte. Der Fortschritt in der Halbleitertechnik wird oft durch das mooresche Gesetz beschrieben, das besagt, dass die Komplexität von Schaltkreisen auf Chips exponentiell steigt. Anders gesagt, die Leistung von Halbleitern verdoppelt sich alle ein bis zwei Jahre. Das war bis vor etwa fünf Jahren tatsächlich der Fall. Dann erreichte die Miniaturisierung physikalische Grenzen. Allerdings sinkt der Preis pro Rechenleistung weiter.

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