Der Like-Button war gedacht als Hilfe für die Menschen, heraus kam ein Spion

Wie die Nutzung einer Technologie neues Recht entstehen lässt.

Christoph Beat Graber
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Von wegen Daumen hoch: Was aus dem Like-Button von Facebook geworden ist, gefällt seinen Schöpferinnen nicht.

Von wegen Daumen hoch: Was aus dem Like-Button von Facebook geworden ist, gefällt seinen Schöpferinnen nicht.

Benoit Tessier / Reuters

«Recht auf Vergessenwerden», «Google-Vorschaubilder», «Netzneutralität» oder «Facebook-Like-Button»: All diese Begriffe stehen für aufsehenerregende Urteile, die Gerichte in der Europäischen Union und in den USA in jüngster Zeit gefällt haben. Was diese Urteile verbindet, ist das Bemühen, das Recht an neue Bedingungen digitaler Netzwerke anzupassen. Wissenschaftlich gesehen sind sie Ausdruck eines eigenartigen Zusammenwirkens des Sozialen mit dem Technologischen.

Ein Beispiel für dieses Zusammenwirken ist der Like-Button von Facebook. Im Jahre 2007 beobachtete Leah Pearlman, die damals als Technologiedesignerin bei Facebook arbeitete, dass Nutzer Updates ihrer «Friends» nur selten kommentierten. Und sie stellte sich vor, dass alle von mehr Interaktion profitieren würden. Pearlman vermutete, dass Leute, die nichts Neues oder Gescheites zu sagen haben, am Ende gar nichts sagen.

Ein Knopf für alle, die nichts zu sagen haben

Sie nahm indes an, dass die Nutzer, die zwar gerade keine witzige Antwort auf einen Post eines «Friends» parat haben, diesem aber dennoch mit positiven Gefühlen gegenüberstehen, immerhin geneigt wären, ein einziges Wort wie «awesome» zu hinterlassen. Weil Dutzende oder sogar Hunderte von «Awesome»-Antworten die Facebook-Seiten überfüllen würden und nicht schön anzusehen wären, entwickelte sie zusammen mit ihrem Facebook-Kollegen Justin Rosenstein einen Awesome-Button, der neben jedem Post automatisch sichtbar würde.

Darauf zu klicken, wäre alles, was Nutzer tun müssten, um Wohlwollen anderen gegenüber auszudrücken. Die Absicht der beiden Programmierer war, die Positivität zu wecken, die nach ihrer Einschätzung in jedem Facebook-Nutzer schlummerte. Sie stellten sich vor, dass das Anklicken eines Plug-in Leuten, die kommunikative Hürden scheuten, eine Art Pfad des geringsten Widerstandes zur Verfügung stellen und so zu mehr Interaktion animieren würde.

Die Idee der beiden Coder wurde vom Facebook-Management gut aufgenommen: Nach einem Namenswechsel von «Awesome» zu «Like» ist am 9. Februar 2009 ein kleines blau-weisses Daumen-hoch-Icon aktiviert worden. Schon bald zeigte sich, dass Pearlmans und Rosensteins eher gemeinwohlorientierte Interpretation des Like-Buttons nicht die einzig mögliche war.

Vielmehr entbrannte innerhalb von Facebook eine Diskussion zwischen der Analytics-Abteilung und den Business-Managern über die «gültige» Interpretation des neuen digitalen Artefakts. Maschinen sind bekanntlich nicht fähig, Intentionen zu entwickeln. Aber Menschen und soziale Systeme können Erwartungen an die (Gebrauchs-)Möglichkeiten schaffen, die einer Technologie innewohnen. In der Wissenschaft spricht man in diesem Zusammenhang von «Affordanzen».

Für die Analytics-Abteilung von Facebook stand die Möglichkeit im Vordergrund, über den Like-Button genauere Kenntnisse der Nutzerpräferenzen zu erhalten, um so die zugänglich zu machenden Inhalte noch präziser auf das Persönlichkeitsprofil jeder einzelnen Nutzerin zuzuschneiden.

Die Business-Manager waren von dieser Interpretation ebenfalls angetan, weil die Personalisierung von Inhalten die Möglichkeit versprach, der Werbebranche individualisierte Anzeigen zu verkaufen. Diese geschäftsorientierte Interpretation konnte sich letztlich durchsetzen: Seither erzielt Facebook mit dem Like-Button Milliardeneinnahmen.

Sucht nach Likes

Als sich der durchschlagende Erfolg des Plug-in abzuzeichnen begann, publizierte Facebook eine «Copy and paste»-Software, die es nun jeder beliebigen Website ermöglichen würde, jeden Eintrag oder Post mit einem Like-Button zu versehen. Websites, die mit einem Like-Button bestückt sind, transferieren die persönlichen Daten jedes Besuchers an Facebook. Das gilt selbst dann, wenn der Besucher kein Facebook-Mitglied ist und nie auf den Button geklickt hat.

Pearlman und Rosenstein konnten sich nicht damit abfinden, dass sich statt ihrer gemeinwohlorientierten jene Interpretation des Like-Buttons in der «design constituency» durchgesetzt hatte, die Facebook die Maximierung von Werbeeinnahmen ermöglicht. Sie verliessen den Konzern und übten nun auf der Seite der «impact constituency» vehemente Kritik an dem, was sie als weiteren Schritt zur Ökonomisierung des Internets brandmarkten.

Die beiden wurden nun zu wichtigen Akteuren eines Diskurses, der darauf gerichtet war, einen «Gegenmythos» zum Like-Button zu schaffen, also alternative Interpretationen von dessen Affordanzen zu stärken. Zu diesem Zweck warnten sie vor den negativen Nebeneffekten ihrer Erfindung und machten die Internetöffentlichkeit auf die mit dem Sammeln von persönlichen Nutzerdaten verbundenen Gefahren und das Suchtpotenzial des Like-Buttons aufmerksam.

Dieser Kritik schlossen sich zahlreiche Internetaktivisten und auch Teile der Wissenschaft an. Dies mit dem Ziel, die «Normalisierung» einer bestimmten Interpretation des Like-Buttons zu verhindern und die Möglichkeit gesellschaftspolitischer Korrektur aufrechtzuerhalten.

Die Gerichte greifen ein

Die Diskussionen um den Like-Button können als Schritt hin zur Emergenz von normativen Erwartungen gegenüber den Affordanzen einer neuen Technologie aus der Mitte der Gesellschaft beschrieben werden. Der vom Facebook-Management favorisierte «Mythos» des Like-Buttons wurde von Kreisen der «impact constituency» zurückgewiesen und mit einem «Gegenmythos» bekämpft, der den Plug-in als sozial schädlichen Mechanismus zur Förderung psychologisch manipulativer Werbung anprangerte.

Der durch Internetaktivistinnen, Konsumentenschützer und Wissenschaft artikulierte Widerstand wurde mit dem Hinweis auf Werte und Normen gerechtfertigt, die auch im Kontext von Technologien im Internet gelten sollten. Was aber bestimmt, ob solcherart normativ aufgeladene Erwartungen an Technologien institutionalisiert und als Normen des Rechts reformuliert werden?

Weil sich Erwartungen zu neuen Technologien in Zivilgesellschaft und Politik erst allmählich entwickeln, sind es oft Gerichte, die hier vorangehen, wie jüngste Urteile in der EU oder in den USA zeigen. Wenn der Gesetzgeber – wie das in der EU etwa für Fragen der Netzneutralität zutrifft – bereits regulierend tätig geworden ist, fällt den Gerichten die Aufgabe zu, unbestimmte Gesetzesbegriffe zu klären oder mit Leitentscheiden in komplexen Fragen Rechtssicherheit zu schaffen.

Das zeigt der Fall der Firma Fashion ID, die den Like-Button auf ihrer Website eingebettet hatte. In einem Entscheid vom 29. Juli 2019 stellte der Europäische Gerichtshof (EuGH) fest, dass der Plug-in bei jedem Besuch der Website den Browser des Besuchers veranlasst, Inhalte von Facebook anzufordern, und hierzu personenbezogene Daten des Besuchers an Facebook übermittelt. Obwohl die Betreiberin der Fashion-ID-Website keinen direkten Einfluss darauf hat, welche Daten an Facebook weitergeleitet werden, ist sie gemäss EuGH verpflichtet, die Besucher zu informieren – und vorab ihre Einwilligung in das mit dem Like-Button zusammenhängende Sammeln und Weitergeben personenbezogener Daten einzuholen.

In diesem Fall enthielt das bestehende Datenschutzrecht der EU bereits Regeln, die den Like-Button von Facebook erfassen. In anderen Fällen werden wohl neue Gesetze nötig sein. Für Gesetzgeber besteht die grösste Herausforderung darin, dass die Affordanzen vieler technologischer Artefakte oder Systeme versteckt sind. Es sollten somit Verfahren entwickelt werden, die gemeinwohlfreundliche Affordanzen entdecken helfen und deren Stabilisierung fördern. Dazu wären Diskurse zu institutionalisieren, die so inklusiv wie möglich sind und nicht nur Expertinnen, Politiker oder Schulen aller Stufen, sondern auch breite Kreise der Zivilgesellschaft einbeziehen.

Prof. Dr. iur. Christoph Beat Graber ist Ordinarius für Rechtssoziologie und Medienrecht an der Universität Zürich. Im Herbst erscheint von ihm «How the Law is Learning in the Digital Society» in der Fachzeitschrift Law Technology and Humans, Vol 3 (2).