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Studie zu Desinformation »Ältere Menschen sind empfänglicher für Falschmeldungen«

Eine Beeinflussung der Bundestagswahl halten sie für unwahrscheinlich. Dennoch warnen Expertinnen und Experten vor den mittel- und langfristigen Folgen von Desinformation.
Facebook, YouTube und Twitter: »Professionalisierung« beim Verbreiten von Falschnachrichten

Facebook, YouTube und Twitter: »Professionalisierung« beim Verbreiten von Falschnachrichten

Foto: Tobias Hase/ dpa

Welche Risiken drohen der Gesellschaft durch Falschinformationen im Netz? Ist die kommende Bundestagswahl durch Desinformation gefährdet? Eine neue Studie liefert Einblicke, wie sich Desinformation in Deutschland verbreiten kann und welche Folgen das hat.

Für die Untersuchung mit dem Titel »Desinformation in Deutschland« wurden Faktenchecker, Forschende, Fachjournalistinnen und Vertreter von zivilgesellschaftlichen Organisationen befragt. Eines der Risiken liegt laut den Experten in einer zunehmenden »Messengerisierung« von Falschinformationen, heißt es in der Studie , also in der Verbreitung über Messenger-Apps.

Wichtigstes Social-Media-Netzwerk für die Verbreitung von Desinformation ist demnach WhatsApp. 92 Prozent der Befragten nannten die App als relevanteste Plattform, dicht gefolgt von Facebook (89 Prozent) und YouTube (88 Prozent). Besonders relevant ist laut der Befragung, in der Mehrfachnennungen möglich waren, mit 88 Prozent auch Telegram, obwohl der Messenger im Vergleich zu den anderen nur einen Bruchteil der Nutzer hat.

»Telegram ist zur Verbreitung von Desinformation auch deshalb so effizient, weil die einschlägigen Gruppen und Kanäle eben nicht vergleichbar mit einer Netzöffentlichkeit von Plattformen wie YouTube sind, auf der die unterschiedlichsten Anbieter aktiv sind«, sagt Studienautor Fiete Stegers von der Hochschule für angewandte Wissenschaft (HAW). Faktenchecks oder das Konzept der Gegenrede, die gegen Desinformation helfen können, könnten hier laut Stegers nur ein Tropfen auf den heißen Stein sein. »Während YouTube und Facebook strikter bei fragwürdigen Inhalten einschreiten, macht Telegram das kaum.«

Mittelfristige Radikalisierung statt unmittelbare Wahlmanipulation

Nicht alle Befragten sehen als Folge der kursierenden Falschinformationen die Gefahr, dass unmittelbar die Bundestagswahl manipuliert wird. Nur 20 Prozent nannten dies als Risiko in Deutschland. Jedoch warnen mehr als zwei Drittel der 63 Expertinnen und Experten grundsätzlich vor »einer Beeinflussung der Bürger:innen« in Deutschland durch Desinformation.

»Bei gezielten Kampagnen mit Falschinformationen sind vor allem die mittel- und langfristigen Folgen problematisch«, sagte Stegers. »Desinformation führt zu Polarisierung, zur Radikalisierung Einzelner und zum Glaubwürdigkeitsverlust von Medien.« Diese drei Punkte nannten in der Untersuchung jeweils rund drei Viertel der Befragten als weltweite Auswirkung von Desinformation.

Anfällig für Desinformationskampagnen sind laut den Experten vor allem Menschen, die »der transportierten Botschaft ohnehin zugeneigt sind und sich durch sie bestätigt fühlen«, heißt es in der dem SPIEGEL vorliegenden Studie. Laut den Befragten spielt außerdem das Alter eine Rolle. Entgegen dem manchmal geäußerten Klischee, dass vor allem junge Menschen auf Falsches im Netz hereinfallen würden, sehen 74 Prozent der Befragten eher bei älteren Menschen dieses Risiko, bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen hingegen nur 40 Prozent. »Ältere Menschen sind tendenziell empfänglicher für Falschmeldungen als junge«, fasst Stegers zusammen.

Die Studie warnt auch davor, dass bisher kaum Maßnahmen existierten, die explizit ältere Menschen aufklären. Für jüngere Zielgruppen gebe es dagegen inzwischen eine breite Auswahl an unterschiedlichen Bildungsangeboten.

Bewusst weglassen statt plumpe Fakes

Eine weitere wichtige Entwicklung sehen die Expertinnen und Experten in einer »Professionalisierung« unter jenen, die Falschinformationen verbreiten. »Viele Akteure konnten inzwischen schon lange Erfahrung sammeln, wie man Falschinformation effizient in Umlauf bringt«, so Stegers. Sie würden oft geschickter vorgehen, als bloß plumpe Falschheiten zu verbreiten. »Stattdessen wird sprachlich gezielter formuliert, mit Konjunktiven suggeriert, eher bewusst weggelassen oder verzerrt.«

Ein Beispiel dafür, wie mit verzerrten Darstellungen im Netz Stimmung gemacht wird, zeigte sich auch in den Tagen nach der Flutkatastrophe im Westen Deutschlands. So kursierte auf Social-Media-Plattformen ein Meme mit dem Bild von helfenden Bundeswehrsoldaten und dazu der Spruch, die Soldaten seien die »einzig guten Grünen«. Laut einer Analyse der Denkfabrik Institute for Strategic Dialogue stammten viele der Bilder allerdings nicht aus der aktuellen Flutkatastrophe.

Bevor das Meme auf Facebook-Seiten geteilt wurde, die der AfD nahe stehen, verbreitete es sich laut der dem SPIEGEL vorliegenden Analyse bereits auf privaten Konten und in privaten Gruppen. Einer der öffentlichen Verbreiter war demnach auf Facebook und Telegram der Deutschland Kurier. Hier wurde das Bild inzwischen mehr als 2500-mal geteilt.

Auch Richtigstellungen können Fakes verbreiten

Fiete Stegers macht sich auch Sorgen darum, wie Medienhäuser mit Falschinformationen aus dem Netz umgehen. »Etablierte Medien sind in der Verantwortung – sie verschaffen Falschinformationen mitunter ein Vielfaches an Reichweite und sorgen dafür, dass sie auch Menschen erreichen, die sonst damit nicht in Berührung kommen«, so Stegers. In der Studie sagen die Befragten, dass nur 10 Prozent der Medien dazugelernt hätten, wie sie Desinformation in der Berichterstattung thematisieren, ohne dabei zur ihrer Verbreitung beizutragen.

»Noch immer kommt es vor, dass Medien Desinformation so widerlegen, dass die Falschinformation hängen bleibt«, so Stegers. Das zeige sich aktuell beispielhaft an einigen Berichten über die speziellen Betten im olympischen Dorf in Tokio, in denen die Athleten angeblich keinen Sex haben können. Da sei teilweise so berichtet worden, dass eher das Falsche als die Richtigstellung bei den Lesenden hängenzubleiben drohte.

Als Erklärung dafür, warum er die von der Vodafone Stiftung Deutschland beauftragte Studie als Befragung durchgeführt habe, verweist Stegers darauf, dass es bisher keine umfassende Studie zu Desinformation in Deutschland gebe. »Die meisten Untersuchungen konzentrieren sich auf einzelne Plattform oder einen einzelnen Vorfall.« Die aktuelle Studie sollte dagegen einen allgemeinen Überblick geben, was jedoch methodisch schwierig sei. Deshalb habe man Expertinnen und Experten befragt, die sich schon lange mit dem Thema beschäftigen.