Am Cern trainieren Physiker einen IBM-Quantencomputer für die Suche nach dem Higgs-Teilchen

Noch suchen Forscher nach relevanten Anwendungen, bei denen Quantencomputer echte Vorteile bieten. Teilchenphysiker hätten da eine Idee.

Christian Speicher
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Ein Quantencomputer von IBM. Man sieht vor allem die Kühlapparatur, die den supraleitenden Quantenchip auf seine Betriebstemperatur bringt.

Ein Quantencomputer von IBM. Man sieht vor allem die Kühlapparatur, die den supraleitenden Quantenchip auf seine Betriebstemperatur bringt.

IBM

Das europäische Laboratorium für Elementarteilchenphysik ist bekannt für seine Teilchenbeschleuniger. Nirgendwo sonst werden Protonen mit solcher Wucht zur Kollision gebracht wie am Cern in Genf. Was viele nicht wissen: Das Cern hat auch ein sehr grosses Rechenzentrum. Hier wird ein Teil der Daten ausgewertet und gespeichert, die die Experimente am Cern liefern. Dabei sollen in Zukunft auch Quantencomputer helfen. Wie IBM letzte Woche bekanntgegeben hat, wird das Cern zu einem «IBM Quantum Hub» ernannt. Es bekommt damit einen privilegierten Zugang zu den mehr als zwanzig Quantencomputern, die IBM in den letzten Jahren gebaut hat.

Was man sich am Cern von den Quantencomputern verspricht, zeigt eine noch nicht begutachtete Arbeit, die bis anhin nur als Preprint vorliegt. Eine internationale Gruppe unter Beteiligung von IBM- und Cern-Forschern geht darin der Frage nach, ob Quantencomputer teilchenphysikalische Daten besser auswerten können als herkömmliche Rechner.

Lernen, zu unterscheiden

Bei den Experimenten am Cern fallen Unmengen von Daten an. Eine der Hauptaufgaben besteht darin, die Spreu vom Weizen zu trennen und aus der Datenflut die interessanten Ereignisse herauszufischen. Sind diese selten, kann die Analyse sehr zeitraubend sein. Teilchenphysiker setzen deshalb auf maschinelle Lern-Algorithmen, die darauf trainiert werden, ein echtes Signal von uninteressantem Rauschen zu unterscheiden.

Hier kommen die Quantencomputer ins Spiel. Denn maschinelles Lernen ist der Arbeitsweise dieser Rechner auf den Leib geschnitten. Quantencomputer rechnen mit überlagerten und verschränkten Zuständen. In der Welt der klassischen Bits und Bytes gibt es nichts, was mit diesen Quantenzuständen vergleichbar wäre. Ein Lern-Algorithmus, der diese Zustände nutzt, könnte deshalb in der Lage sein, in Datensätzen Muster zu erkennen, die einem herkömmlichen Lern-Algorithmus verborgen bleiben.

Das Forscherteam machte eine Probe aufs Exempel. Sie liessen einen Quanten-Algorithmus gegen mehrere herkömmliche Algorithmen antreten, mit denen die Forscher am Cern ihre Daten zurzeit analysieren. Die Forscher wählten dazu ein Problem aus, das aus dem Leben eines Teilchenphysikers gegriffen ist. Die Algorithmen sollten Ereignisse erkennen, bei denen ein Higgs-Teilchen und zwei Top-Quarks erzeugt werden. Solche Ereignisse sind sehr selten.

Hinter diesen verwirrenden Teilchenspuren verbirgt sich ein Ereignis, bei dem ein Higgs-Teilchen und zwei Top-Quarks erzeugt wurden.

Hinter diesen verwirrenden Teilchenspuren verbirgt sich ein Ereignis, bei dem ein Higgs-Teilchen und zwei Top-Quarks erzeugt wurden.

Cern / Atlas

Im Vergleich zu klassischen Computern haben die heutigen Quantencomputer ein Handicap. Sie machen Fehler, die noch nicht korrigiert werden können. Um einen fairen Vergleich zu ermöglichen, liessen die Forscher den Quanten-Algorithmus deshalb auf einem klassischen Computer laufen, der einen fehlerfreien Quantencomputer mit bis zu 20 Quantenbits simuliert. Das ist möglich, solange die Zahl der Quantenbits nicht zu gross ist.

Das Ergebnis spricht für den Quanten-Algorithmus. Nach einem Training bewältigte er die Aufgabe, die interessanten Ereignisse zu erkennen, ebenso gut wie ein klassischer Lern-Algorithmus – wenn nicht sogar besser.

Im nächsten Schritt kam ein «echter» Quantencomputer zum Zuge. Die Daten aus den teilchenphysikalischen Experimenten wurden so komprimiert, dass man mit ihnen einen der Quantencomputer von IBM füttern konnte. Obwohl dieser Fehler macht, konnte er die teilchenphysikalischen Daten nach einer Lernphase ähnlich gut klassifizieren wie der simulierte fehlerfreie Quantencomputer.

Zwischenschritt zum Quantenvorteil

Einen echten Quantenvorteil habe man damit zwar noch nicht nachgewiesen, sagt Ivano Tavernelli vom IBM-Forschungszentrum in Rüschlikon. Tavernelli baut allerdings darauf, dass dieser möglich ist, wenn in Zukunft grössere oder fehlertolerante Quantencomputer gebaut werden. Auch der Lern-Algorithmus lasse sich vermutlich noch verbessern.

Interessant werden Quantencomputer vor allem, wenn am Cern das nächste Upgrade des Large Hadron Colliders ansteht. Ab dem Jahr 2027 soll der Beschleuniger pro Sekunde zehnmal so viele Teilchen zur Kollision bringen wie heute. Die Quantencomputer könnten gerade zur rechten Zeit kommen, um das gewaltige Datenvolumen zu bewältigen. In Zukunft möchte Tavernelli diese darauf trainieren, nicht nur nach bereits bekannten Teilchen zu suchen. Der Quantencomputer soll in den Daten auch subtile Anomalien erkennen, die auf bis anhin unbekannte Teilchen oder Kräfte hindeuten könnten.

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