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Henrik Müller

Neustart nach Corona Verdammt, wo sind die Firmengründer hin?

Henrik Müller
Eine Kolumne von Henrik Müller
Deutschland sollte mehr aus seinen Möglichkeiten machen – das heißt vor allem: mehr aus der Kreativität junger Generationen. Langfristig werden wir sonst von anderen EU-Ländern abgehängt.
Gestalten am Laptop: Junge Unternehmen könnten eine Schlüsselrolle spielen

Gestalten am Laptop: Junge Unternehmen könnten eine Schlüsselrolle spielen

Foto: MoMo Productions / Getty Images

Die Erwartung liegt in der Luft, dass etwas Neues bevorsteht. Es muss etwas geschehen, ein Aufbruch, ein Umbruch, eine Kehrtwende – je nach persönlichem Geschmack und politischer Vorliebe. Aber dass es nach den 16 langen Jahren unter Angela Merkel so nicht weitergehen kann, diese Ahnung ist der Grundton des warmlaufenden Wahlkampfs.

Der Neustart lässt sich geradezu körperlich spüren. Die allmähliche Öffnung nach den Shutdowns geht nicht nur mit einem vorsichtigen Aufatmen einher, sondern auch mit einer Hoffnung auf Reinigung: die Pandemie als Katharsis – von nun an besser.

In der Tat stehen große Aufgaben an: Die Klimakrise wird zum akuten Problem, das wirksamer Lösungen bedarf. Die Digitalisierung ist dabei, unsere Lebens-, Arbeits- und Wirtschaftsweisen umzuwälzen. Die demografische Wende wird sich in den kommenden Jahren in einer beschleunigten Schrumpfung des Arbeitskräftepotenzials niederschlagen. Die Liste ließe sich verlängern.

Es ist nur so: Lösungen für all diese Probleme entstehen nicht von allein – und nicht allein durch politischen Willen. Es braucht Menschen, die sie ersinnen und vorantreiben. Selten war der Bedarf an Innovationen größer.

Mittwoch treffen sich die Spitzen der deutschen Wissenschaftslandschaft und einiger forschender Konzerne zum »Forschungsgipfel«. Angela Merkel soll eine »Grundsatzrede« halten (für die laut Programm  lustigerweise nur zehn Minuten eingeplant sind, aber das nur am Rande). Die Veranstaltung befasst sich damit, wie sich das deutsche »Innovationssystem« verändern muss – also letztlich mit der Frage, wie künftig das Neue in die Welt kommt.

Ein gravierender Mangel ist offenkundig: In Deutschland gibt es immer weniger Firmengründungen (siehe Grafik). Dabei sind gerade neue Unternehmen, die den Strukturwandel vorantreiben, neue Jobs schaffen, neue Lösungen probieren, neue Bedürfnisse und Bedarfe erkennen.

Unter der glänzenden Oberfläche

Oberflächlich betrachtet geht es dem deutschen Innovationssystem gut. Forschung und Entwicklung (F&E) sind durch Industriekonzerne und staatliche Forschungsinstitutionen vergleichsweise großzügig finanziert; die Ausgaben tragen Privatwirtschaft und Staat im Verhältnis von zwei Drittel zu einem Drittel. Bei Patentanmeldungen gehört Deutschland international zur Spitzengruppe. Und dass in der Coronapandemie gleich zwei junge deutsche Unternehmen (Biontech aus Mainz und Curevac aus Tübingen) Impfstoffe mit der neuen mRNA-Technologie am Start haben, scheint die Leistungsfähigkeit des hiesigen Systems zu unterstreichen.

Doch unter dieser glänzenden Oberfläche tun sich Risse auf. Die F&E-Ausgaben werden vor allem von Großkonzernen traditioneller Branchen getragen, voran der Autoindustrie, deren Zukunft angesichts der Abkehr vom Verbrennungsmotor mit einem Fragezeichen versehen ist. Privates Risikokapital für technologieintensive Start-ups ist hierzulande knapp; die Erfolgsgeschichten von Biontech und Curevac fußen nicht zuletzt auf dem persönlichen finanziellen Engagement einiger wohlhabender Unternehmer der älteren Generation, insbesondere Thomas und Andreas Strüngmann (Ex-Hexal) sowie Dietmar Hopp (Ex-SAP).

Während der US-Konkurrent Moderna so viel Kapital zur Verfügung hat, dass er nun auf eigene Faust mRNA-Impfstoff produzieren und vertreiben kann, brauchen die deutschen Start-ups finanzstarke Pharmakonzerne als Partner.

Alte Gesellschaft, junge Unternehmen

Die Basis für technologieintensive Firmengründungen bilden die Hochschulen. Gründer und Mitarbeiter kommen häufig direkt von der Uni. Doch deren Budgets sind nicht gerade üppig bemessen: Die Finanzausstattung hält seit Jahren nicht mit den steigenden Studierendenzahlen Schritt: Pro Student sind die Ausgaben im vorigen Jahrzehnt um 1,3 Prozent jährlich  gesunken , so die OECD.

Deutschland gibt deutlich weniger Geld für den akademischen Nachwuchs aus als vergleichbare Länder. Und es könnte in den kommenden Jahren noch weniger werden: Wenn die »Schuldenbremse« wieder greift und die Bundesländer nach überstandener Coronakrise auf Sparen umschalten müssen, dürften auch die Mittel für die Universitäten und Hochschulen betroffen sein. Das aber bedeutet absehbar weniger Stellen für den wissenschaftlichen Nachwuchs. Das personelle Reservoir, aus dem Start-ups schöpfen, schwindet.

Schon jetzt leiden Start-up-Aktivitäten an den Hochschulen unter einer schmalen Grundfinanzierung, wie das »Gründungsradar« des Stifterverbands  konstatiert. Junge Firmen im Uni-Dunstkreis seien überwiegend von befristeter Drittelförderung abhängig. Mitarbeiter lassen sich mit diesen Geldern schwerlich heranziehen. Die Folgen: »hohe Personalfluktuation, Unsicherheit, keine nachhaltige Nachverfolgung von Ideen und Strukturen und ständiger Neustart«. Immerhin bemühten sich die Unis vermehrt um Ausgründungen, so der Bericht. 2019 verzeichneten die befragten Hochschulen 2176 neue Firmen in ihrem Umfeld; 2012 waren es lediglich 1145.

Deutschland, so sieht es aus, könnte mehr aus seinen Möglichkeiten machen – und das heißt vor allem: aus der Leistungsfähigkeit und Kreativität der jüngeren Generationen. Es bräuchte eine »Agenda 2030«, um die produktive Energie dieser alternden Gesellschaft zu erhalten. Junge Unternehmen könnten dabei eine Schlüsselrolle spielen.

Gute Zeiten, schlechte Gründer?

Es geht nicht nur um Hightech-Start-ups, Risikokapital und milliardenschwere Börsengänge. Das Gründungsgeschehen lässt seit vielen Jahren in der Breite nach. Es gibt immer weniger junge Firmen, auch weniger Pleiten (siehe Grafik). Per Saldo wird weniger ausprobiert, die gesellschaftliche Dynamik nimmt ab.

Seit anderthalb Jahrzehnten folgt die Zahl der Gewerbeanmeldungen einem fallenden Trend. Die Gründungsintensität hierzulande liegt inzwischen unter dem EU-Durchschnitt . Vergleichbare Länder wie Frankreich, die Niederlande oder Großbritannien verzeichnen deutlich höhere Werte.

Im Coronajahr 2020 ging die Zahl an Unternehmensgründungen noch weiter zurück: um 4,5 Prozent. Auch in den ersten Monaten dieses Jahres lässt sich keine Trendwende erkennen, wie aktuelle Angaben des Statistischen Bundesamts  zeigen. Immerhin stieg die Zahl  der Nebenerwerbsbetriebe 2020 deutlich, also von Leuten, die versuchen, sich parallel zu einer normalen Beschäftigung selbstständig zu machen.

Die deutsche Zurückhaltung in Sachen Entrepreneurship steht in bemerkenswertem Kontrast zur Dynamik in den USA , in Großbritannien  oder in Frankreich , wo die Coronakrise einen Gründungsboom ausgelöst hat.

Natürlich, der deutsche Rückstand resultiert zum Teil aus einem über viele Jahre günstigen Arbeitsmarkt. Der letzte Anstieg der Gründungsaktivität fiel in die Krise der Jahre 2008/09. Die wirtschaftliche Erholung im Jahrzehnt danach sorgte dafür, dass etablierte Unternehmen wuchsen und ihre Belegschaften aufstockten. Jüngere Beschäftigte mit guter Ausbildung konnten sich in den Vor-Corona-Jahren vor Jobangeboten kaum retten. Entsprechend unattraktiv erschien das stressige Risiko einer Firmengründung.

Gehemmt wird das Unternehmertum hierzulande auch durch eine schwerfällige öffentliche Verwaltung. Bürokratische Hürden machen es Unternehmensgründern unnötig schwer, ins Geschäft zu kommen; beim »Ease of starting a business«-Ranking  der Weltbank  belegt Deutschland aktuell Rang 125 – weit hinter den skandinavischen und den angelsächsischen Ländern, aber auch hinter Frankreich. Wir sollten uns nicht damit zufriedengeben.

Die wichtigsten Wirtschaftstermine der bevorstehenden Woche

Peking – China im Aufwind – Neue Zahlen zur Industrieproduktion und zum Einzelhandelsumsatz.

Geschäftszahlen I – von Ryanair.

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