EU-Parlament: Weg frei für flächendeckende Scans nach Kinderpornografie

Der Innenausschuss des EU-Parlaments hat für einen Entwurf gestimmt, mit dem Facebook & Co. Inhalte nach sexuellen Missbrauchsdarstellungen durchsuchen dürfen.

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(Bild: Pikul Noorod/Shutterstock.com)

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Facebook, Google, Microsoft und andere Diensteanbieter sollen die privaten Nachrichten ihrer Nutzer in der EU wieder rechtmäßig nach Darstellungen sexuellen Missbrauchs von Kindern scannen können. Der federführende Ausschuss für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres des EU-Parlaments hat am Mittwoch einen entsprechenden Gesetzentwurf gebilligt. Für die Initiative zur sogenannten Chatkontrolle stimmten 54 Abgeordnete, 12 dagegen.

Das EU-Parlament muss den Entwurf, mit dem per Eilverordnung Ausnahmen von der Anwendung einiger einschlägiger Bestimmungen der E-Privacy-Richtlinie zum Datenschutz der elektronischen Kommunikation eingeführt werden, noch im Plenum bestätigen. Dies gilt angesichts der nun erfolgten Empfehlung der Innenpolitiker aber als Formsache.

Anbieter wie Google und Microsoft scannen bereits verdachtsunabhängig und flächendeckend Nachrichten auf Kinder- und Jugendpornographie sowie auf Anzeichen von Cybergrooming, also das Heranpirschen Erwachsener an den Nachwuchs. Mit dem seit 21. Dezember anwendbaren europäischen Kodex für die elektronische Kommunikation fallen "nummernunabhängige interpersonelle Kommunikationsdienste" aber in den Bereich der E-Privacy-Richtlinie. Diese enthält keine ausdrückliche Rechtsgrundlage für die freiwillige Verarbeitung von Inhalten oder Verbindungs- und Standortdaten im Kampf gegen Missbrauchsdarstellungen. Facebook setzte die Rasterung der Kommunikation daher Ende vorigen Jahres aus.

Die vom Innenausschuss nun gebilligte Übergangsverordnung erlaubt Anbietern von E-Mail-, Chat-, Dating- und Messenger-Diensten die Kontrollen wieder. Melden ihre Suchalgorithmen einen Verdacht, werden Nutzer in der Regel – trotz hoher Fehlerquoten – automatisiert bei der Polizei angezeigt. Ihre auffällige Korrespondenz wird dabei an die Strafverfolger weitergeleitet. Die Betroffenen müssen die Dienstleister nicht darüber informieren. Für Ermittler gibt es keine Auflage, Statistiken über Falschanzeigen und tatsächlich eingeleitete Verfahren zu veröffentlichen.

Die Innenpolitiker hatten voriges Jahr noch Korrekturen am ursprünglichen Entwurf der EU-Kommission gefordert, die meisten ihrer Appelle für Einschränkungen in den Verhandlungen mit den EU-Staaten und der Brüsseler Regierungsinstitution aber aufgegeben. Die drei beteiligten Gremien konnten so Ende April eine Einigung verkünden, die der Ausschuss nun bestätigt hat.

Aus dem Papier der Unterhändler des Parlaments wurde so etwa die Passage gestrichen, dass Algorithmen Textnachrichten "nicht systematisch, sondern nur bei Vorliegen konkreter Verdachtspunkte auf sexuellen Kindesmissbrauch filtern und durchsuchen“ sollten. Zudem dürfen nun auch System mit Künstlicher Intelligenz (KI) genutzt werden, um unbekannte Fotos und Videos nach Auffälligkeiten zu durchleuchten. Besonders geschützte Korrespondenz von Berufsgeheimnisträgern wie Ärzten, Psychologen und Anwälten wird laut dem ausgehandelten Text nicht von der Durchsuchung ausgenommen.

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Die frühere Richterin am Europäischen Gerichtshof, Ninon Colneric, hatte jüngst gewarnt, dass die vorgesehene Verordnung nicht mit dem EU-Recht vereinbar sei. Die Grundrechte der Bürger auf Achtung der Privatsphäre, auf Datenschutz und auf freie Meinungsäußerung würden damit unverhältnismäßig verletzt.

Der Verhandlungsführer der Grünen, Patrick Breyer, moniert: "Dieser Deal versetzt dem digitalen Briefgeheimnis den Todesstoß, schafft einen verheerenden Präzedenzfall und ist nur durch Desinformations- und Erpressungskampagnen internationaler Akteure möglich gemacht worden." Es sei "ineffektiv, illegal und unverantwortlich", meint das Mitglied der Piratenpartei, "solche Denunziationsmaschinen auf uns loszulassen". Dabei würden "totalitäre Methoden" eingesetzt. Missbrauchsopfer Alexander Hanff befürchtet, dass die derzeit allein von US-Anbietern genutzte Chatkontrolle sexuelle Übergriffe nur "weiter in den Untergrund treiben" werde.

Die Kommission bereitet derweil bereits ein Folgegesetz vor, um das Instrument für alle einschlägigen Dienstleister verpflichtend zu machen. Der Entwurf soll im Juni präsentiert werden. Die Auflagen könnten dann auch für Messenger-Dienste wie WhatsApp, Signal und Threema gelten, die bisher noch Ende-zu-Ende-verschlüsselt sind. Eine durchgängige Inhaltekontrolle ist bei diesen nicht möglich. Sie müssten daher wohl ihre kryptografischen Verfahren aufweichen.

(mho)