Seit Jahren wollen Apple und Google die Gesundheitsbranche erobern, doch sie scheiterten immer wieder. Warum? Und kommt jetzt die Wende?

Gutes tun und zugleich gut Geld verdienen, die Aussicht lockt Tech-Konzerne schon lange in die Medizinbranche. Bisher wurden vor allem leere Versprechen abgegeben.

Ruth Fulterer
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Die Apple-Watch ist beliebt. Aber kann sie wirklich die Medizin verändern?

Die Apple-Watch ist beliebt. Aber kann sie wirklich die Medizin verändern?

Goran Basic / NZZ

Google, 2008: «Durch unser Gesundheitsangebot werden Nutzer befähigt, die Daten ihrer Krankengeschichte online zu sammeln, zu speichern und zu verwalten.»

IBM, 2013: «Das Krebszentrum der Universität von Texas nutzt den kognitiven Rechner IBM Watson auf der Mission, Krebs zu besiegen.»

Tim Cook, Apple-CEO, 2019: «Wenn Sie in der Zukunft fragen: Was war Apples grösster Beitrag an die Menschheit? Dann wird man von Gesundheit sprechen.»

Google Health wurde 2013 eingestellt, IBM Watson Health im Frühjahr 2021. Apple veröffentlicht zwar mit grossem Trommelwirbel Studien anhand seiner Apple Watch. Doch solange bei Gesunden in einem von zehn Fällen fälschlicherweise ein Herzinfarkt diagnostiziert wird, hält sich der faktische medizinische Nutzen des Geräts in Grenzen.

Es gibt einige gute Gründe für den Misserfolg.

Big Tech hat die Gesundheitsbranche lange missverstanden

1. Der Kulturclash: Das Motto «Move fast and break things» (bewege dich schnell und mache Dinge kaputt), mit dem Tech-Firmen die Welt als Spielwiese ihrer Kreativität beschreiben, passt nicht zu Krankenhäusern. Medikamente und Gesundheitsprodukte sind stark reguliert. Kein Werbeversprechen darf ohne harte wissenschaftliche Evidenz gegeben werden.

Ingenieure in Tech-Firmen sind es dagegen gewohnt, Produkte früh zu lancieren und dann anzupassen oder zu stoppen. In der Medizintechnologie läuft die Entwicklung anders. Sie muss von Anfang an nach offiziellen Richtlinien dokumentiert werden. Man kann nicht laufend Kunden-Feedback einarbeiten, weil das Produkt erst an die Kunden darf, wenn es vollständig zugelassen ist.

2. Der Arztberuf ist nicht nur Wissenschaft: Die Tech-Firmen haben wohl zum Teil unterschätzt, wie schwer sich das Betreuen und Heilen von Kranken digitalisieren lässt. Walter Karlen, Professor für biomedizinische Technik an der Universität Ulm, sagt: «Der Arztberuf basiert nicht nur auf Wissenschaft, sondern ist auch eine Kunst.» Wenn ein Patient in die Praxis kommt, ist die Unsicherheit hoch. Wer eine Diagnose erstellen will, muss sehr viele Informationen zugleich verarbeiten und Patientenbedürfnisse einschliessen.

Diesen Erfahrungswert eines Arztes könne man nicht einfach kopieren, sagt Karlen. Auch Aufmerksamkeit und Zuwendung spielen eine Rolle im Heilungsprozess. Selbst wenn Algorithmen perfekt ärztliche Entscheidungen träfen und Pflegeroboter einwandfrei funktionierten, liesse sich das Gesundheitspersonal nicht ganz ersetzen – zu wichtig ist der menschliche Kontakt. Dieser Punkt steht für Daniel Hackmann von DWH Consulting im Mittelpunkt. Und er glaubt auch aus einem anderen Grund nicht daran, dass Big Tech gross in den Gesundheitsbereich einsteigen wird – wegen des Geldes.

3. Verdienstmöglichkeiten: Medizintechnik- und Pharmafirmen verdienen gut. Aber ihre Umsätze und vor allem auch ihre Renditen relativieren sich angesichts derjenigen von Big Tech. Die Umsatzrentabilität, also der Gewinn in Relation zum Umsatz, liegt bei Apple und der Google-Mutter Alphabet bei um die 30 Prozent. In der Medtech- und Pharmabranche liegt der Wert typischerweise bei um die 20 Prozent. Das Gesundheitswesen ist sicher langfristig attraktiv. Aber im Moment verdienen die Tech-Firmen anders mehr Geld. Und zum Teil schadet das Geschäft mit der Werbung auch dem Ruf als potenzielle Gesundheitsfirma.

4. Das Misstrauen der möglichen Nutzer: Denn obwohl die meisten Menschen gerne Google und Facebook nutzen, herrscht Skepsis, wenn diese Firmen im Gesundheitsbereich aktiv werden. Es fällt nicht schwer, sich vorzustellen, dass es ein Problem wäre, wenn persönliche Gesundheitsdaten in falsche Hände gelangten.

Als 2019 bekanntwurde, dass Google in den USA mit Spitälern zusammenarbeitet und im Zuge dessen Zugriff auf Patientendaten hat, leitete die amerikanische Gesundheitsbehörde prompt eine Untersuchung ein. Bisher blieb diese ohne Konsequenzen, aber der Vorfall zeigt, dass Medien, Bevölkerung und Politik den Konzernen genau auf die Finger schauen. Dass Apple so sehr für ein Image als Datenschützer-Unternehmen kämpft, kann man als Teil der Strategie der Firma sehen, in Zukunft im Gesundheitssektor zu wachsen.

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Was für den Erfolg in der Zukunft spricht

Die bisher genannten Gründe sind zum Teil Kinderkrankheiten. Viele der hochfliegenden Pläne der ersten Jahre scheiterten. Doch die Tech-Firmen lernen daraus und gehen die Sache nun gezielter, klüger und auch bescheidener an. Und einiges spricht dafür, dass sie Erfolg haben werden.

1. Digitalisierung des Gesundheitswesens: Es stimmt, dass Ärztinnen nicht durch Algorithmen, Pfleger nicht durch Roboter ersetzt werden können. Doch Krankenhäuser verändern sich. Die Pandemie hat gezeigt, wie viel zu gewinnen wäre, wenn Gesundheitsdaten digital gespeichert und sortiert würden. Ein kluges Informationssystem könnte sogar dazu führen, dass Medizinpersonal mehr Zeit mit Patienten und weniger am PC verbrächte. Nämlich dann, wenn Informationen über Patienten ohne Hürden verfügbar wären und die Ergebnisse von Geräten direkt in deren Akte übertragen würden.

2. Das Potenzial der Wearables: Wenn auch bis jetzt noch kein besonders grosser medizinischer Nutzen von den Gesundheitstrackern am Handgelenk ausgeht – ihr Potenzial ist gross. Sie sind geeignet, Patienten im Alltag zu begleiten. Mithilfe von LED und optischen Sensoren, die messen, wie viel Licht der Körper reflektiert, lassen sich der Herzschlag und die Sauerstoffsättigung im Blut bestimmen, bald vielleicht auch der Blutdruck und der Blutzuckerspiegel, was besonders für Diabetiker hilfreich wäre.

Solche Tracker geben auch Auskunft über tägliche Routinen wie Schlaf und Bewegung. Für Ärzte ist das hilfreich, um sich ein realistisches Bild vom Patienten zu machen und seine Selbsteinschätzung zu komplettieren. Dass viele Menschen Tracker von Tech-Firmen nutzen, zeigt zudem, dass beim Abwägen zwischen Datenschutz und dem Reiz eines Gadgets dann doch oft Letzterer siegt.

3. Künstliche Intelligenz: Auch dies ein Schlagwort, unter dem schon viele Träume mit wenig Substanz verkauft wurden. Trotzdem, maschinelles Lernen, also das Auswerten von Daten mit selbstlernenden Algorithmen, ist auf dem Vormarsch, auch in der Gesundheitsbranche. Und in diesem Feld sind Google und Amazon ungeschlagen. Die IT-Konzerne haben ihre Strategie in letzter Zeit geändert.

Das beschreibt der Medtech-Branchenexperte Beatus Hofrichter von Conceplus: «Wir beobachten, dass Big Tech die Kooperationen mit Medizintechnologie-Firmen sucht, die bereits einen Markt- und Datenzugang haben.» Wenn Googles Forschungsabteilungen diese Daten auswerten, ergeben sich neue Diagnosemöglichkeiten. Quasi über Nacht könnten solche Kooperationen zur bedrohlichen Konkurrenz für traditionelle Firmen werden, sagt Hofrichter.

Patienten können profitieren – dafür braucht es Regeln

Für jene, die an einer guten Gesundheitsversorgung zu akzeptablen Preisen interessiert sind, ist es keine schlechte Nachricht, dass Tech-Firmen sich in diesen Bereich einmischen. Allerdings nur, wenn die Umstände stimmen. Wichtig wäre ein allgemeiner Datenstandard. Im Moment versuchen viele Hersteller in der Medizintechnologie, Kunden zu binden, indem die eigenen Maschinen nur mit kompatiblen Geräten kommunizieren können. Das schadet der Innovation und macht abhängig.

Das Zauberwort dagegen heisst Interoperabilität: also ein Standard, der für alle gilt. Krankenhäuser müssen Wege finden, ihre Daten sicher zu speichern und sie zugleich anonymisiert für die Forschung nutzbar zu machen. Das vermindert den Vorsprung der Tech-Konzerne, und auch kleinere Firmen haben längerfristig eine Chance.

Zweitens braucht es Regeln zum Datenschutz. Im Moment geben Firmen den Nutzern oft nicht die Möglichkeit, ihre Dienste und Geräte zu nutzen, ohne eigene Daten preiszugeben. Die Optionen der Datenschutzvereinbarung sind: alles akzeptieren oder von der Nutzung ausgeschlossen bleiben. Das wird problematischer, je weiter in den Alltag und ins Gesundheitssystem solche Tracker vordringen.

Auch das Recht kann Daten schützen, indem Vereinbarungen getroffen werden, die unrechtmässige Nutzung privater Daten strafbar machen. Sonderfälle müssen geregelt werden. Wenn ein Hersteller von Medizinalgeräten pleitegehe, würden die Daten mit der Konkursmasse eingefroren, sagt Professor Walter Karlen. Besser wäre es, sie gingen an den Patienten zurück. Auch im Fall von Gentests braucht es eigene Regeln. Schliesslich gibt man hier nicht nur über sich selbst etwas preis, sondern auch über andere.

Insgesamt müssen sich also nicht nur die Konkurrenz, sondern auch Bürger und Gesetzgeber überlegen, wie sie damit umgehen, wenn Datenfirmen gross im Gesundheitswesen einsteigen. Denn so leer wie im vergangenen Jahrzehnt werden die Big-Tech-Versprechen in den nächsten zehn Jahren nicht bleiben.

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