Eine Mitarbeiterin arbeitet an der Digitalisierungsstraße: Vor ihr auf einem Bildschirm die großformatige Aufnahme eines genadelten Insekts.
Museum für Naturkunde / digitize! / Thomas Rosenthal

Naturkunde
Über die Digitalisierungs-Straße

Das Museum für Naturkunde Berlin digitalisiert seine Sammlung. Bei 15 Millionen Insekten soll das in einem innovativen neuen Prozess geschehen.

Von Charlotte Pardey 02.11.2021

Das Berliner Museum für Naturkunde hat ein Pilotprojekt gestartet: 500.000 Insekten sollen bis Ende April 2022 digitalisiert werden. Dazu eigens entwickelt wurde eine teilautomatisierte Digitalisierungsstraße, mit deren Hilfe 5.000 genadelte Insekten pro Tag bearbeitet werden sollen. Läuft die Testphase gut, sollen auch der Großteil der restlichen 14.500.000 Insekten so digitalisiert werden. Zumindest die meisten, denn manche werden zu klein, zu groß oder zu fragil sein für die Digitalisierungsstraße.

Naturkundliche Sammlungen beherbergen wertvolles Wissen für die Forschung: Sie dokumentieren die Vielfalt der Tier- und Pflanzenwelt. Ein einzelnes Exemplar sagt oft, gerade im Hinblick auf seine Art und ihre Verbreitung nicht allzu viel aus, viele verschiedene Exemplare liefern aber beispielsweise Einsichten in die historische Verbreitung einer Art.

Das Museum für Naturkunde Berlin möchte seine 30 Millionen Objekte digital erschließen und eine weltweit vernetzte Forschungsinfrastruktur schaffen. Die Digitalisierung soll dabei die Sammlung nicht ersetzen, sondern sie für die Zukunft bewahren und Forschenden und Interessenten ortsungebunden zur Verfügung stellen. Dr. Jana Hoffmann, Co-Forschungsbereichsleiterin "Zukünftige Sammlung", erklärte gegenüber der ARD, dass die naturkundlichen Objekte in sich Informationen tragen, die nicht komplett ausgelesen werden könnten.

Die Insektensammlung wird digital

Dr. Frederik Berger, Leiter der Abteilung "Sammlungsdigitalisierung" des Museums berichtet im Gespräch mit Forschung & Lehre, dass das Museum verschiedene parallele Digitalisierungsprojekte durchführt: Die Sammlungen der Muscheln und Schnecken oder der Vögel. Eine weitere Teilsammlung, die digitalisiert werde, umfasse 15 Millionen Insekten. Auf Grund der Größe dieser Sammlung seien Lösungen zur Beschleunigung gesucht worden: "Die nun in einer Pilotphase getestete teilautomatisierte Digitalisierungsstraße ist aus der Notwendigkeit entstanden, täglich 5.000 Tiere zu digitalisieren, wenn der Prozess in 10 Jahren abgeschlossen sein soll", erklärt Berger. Zur technologischen Unterstützung arbeite das Museum mit der Firma "Picturae" zusammen, einem Dienstleister in der Digitalisierung naturkundlicher Sammlungen, der die Digitalisierungsstraße konzipiert habe.

Bei der Erschließung der Insektensammlung gehe es einerseits um die konservatorische Aufbereitung und andererseits um die digitale Bereitstellung: Tiere werden dabei in Kästen neuester konservatorischer Standards überführt. Währenddessen erfolge die Digitalisierung. Berger erläutert: "Jedes einzelne Tier wird per Hand auf die Digitalisierungsstraße aufgebracht. Da sich die Tiere sehr stark unterscheiden, etwa in der Dicke der Nadeln, der Beschaffenheit des Untergrunds und ihrer Positionierung, also einzeln oder leicht überlappend, müsste ein Roboterarm eine so empfindliche Sensorik haben, was in keinem Verhältnis zum Nutzen stünde. Wir haben uns also entschieden, diesen Schritt von Menschen machen zu lassen." Im Zentrum der Digitalisierungsstraße stehe aber eine automatisierte Kamera, die, wenn sie voll ausgelastet sei, 5.000 Digitalisate am Tag produziere. Um dies zu schaffen, müssten zwei bis sieben Mitarbeitende von 'Picturae' zuarbeiten. Noch werde allerdings getestet, wie viele Personen genau benötigt werden, um das Tagesziel zu erreichen.

Physisch enthalten die Insekten viele Informationen, die bisher nicht digitalisiert sind, beispielsweise durch ihre Position im Kasten. Diese Informationstiefe soll digital zugänglich und durchsuchbar gemacht werden. In der Digitalisierungsstraße werde das Insekt von drei Seiten fotografiert. "Ganz wichtig", so Berger, "es werden auch Fotos des Etiketts gemacht, das unter den genadelten Insekten steckt. Diese Etiketten tragen die Metadaten zu dem Tier: Wann wurde es gefunden, wer hat es gesammelt und wo, zu welcher Art gehört es? Die Etiketten werden in einem späteren Prozess transkribiert und digital verfügbar gemacht."

Digitalisierung erfolge dabei nicht zum Selbstzweck, sondern geschehe im Dialog: Sie bediene einen Nutzerbedarf von Forschenden und anderen Interessenten. Dazu hat das Naturkundemuseum ein neues Portal veröffentlicht, auf dem die digitalisierten Medien zugreifbar sind. Die Digitalisierungsstraße ist außerdem Teil der Ausstellung "digitize!", das heißt, man kann sie seit dem 27. Oktober 2021 im Museum für Naturkunde beobachten. Besuchende können live dabei sein, wenn Bienen, Wespen und Ameisen über das Fließband laufen und Teil der digitalen Datensammlung des Museums werden. Sie können außerdem in hochaufgelöste Insekten-Scans hineinzoomen, die im Projekt entstanden sind.