Datenschutz:Auskunfteien sammelten jahrelang Millionen Handy-Vertragsdaten

Jugendliche Fans halten Fotohandys beim Konzert

Display erleuchtet, Daten im Dunkeln: Die Auskunfteien sammeln Vertragsdaten von Handybesitzern.

(Foto: Stephan Görlich/imago)

Firmen wie die Schufa und Crif Bürgel haben massenhaft Daten ohne Einwilligung der Verbraucher gespeichert. Datenschützer halten das für nicht rechtens, Verbraucherschützer fordern die Löschung der Daten.

Von Nils Wischmeyer, Köln

Einen Mobilfunkvertrag abzuschließen, das geht heutzutage schnell. Einige lassen sich noch im Geschäft dazu hinreißen, andere zucken bei der Rabattaktion im Internet. Ein Klick hier, ein Häkchen da. Millionen von Menschen in Deutschland dürften einen solchen Vertrag in den vergangenen Jahren abgeschlossen haben. Was viele Menschen nicht wussten: Deutsche Auskunfteien wie die Schufa oder Crif Bürgel haben die Vertragsdaten ebenfalls gespeichert.

Nach Recherchen von NDR und Süddeutscher Zeitung haben die Auskunfteien diese Daten seit 2018 allerdings gesammelt, ohne eine Einwilligung der Verbraucher einzuholen. Betroffen können damit alle deutschen Verbraucherinnen und Verbraucher sein, die in den vergangen vier Jahren einen Mobilfunkvertrag abgeschlossen haben. Auch viele, mutmaßlich Millionen unbescholtene Bürger, die ihre Rechnung bezahlt haben, sind damit sehr wahrscheinlich in den Datenbanken der Auskunfteien gelandet. Datenschützer halten das für "unzulässig".

Einige deutsche Auskunfteien ließen die Daten nicht nur speichern, sondern auch in sogenannte Scores einfließen. Solche Scores spielen in Deutschland jedes Jahr bei Hunderttausenden Entscheidungen eine Rolle. Kriege ich einen Vertrag? Oder kann ich hier etwas auf Rechnung kaufen? Wer diese Informationen tatsächlich zum Scoring verwendet hat, darüber schweigen die angefragten Auskunfteien. Lediglich die Auskunftei Infoscore Consumer Data sagt, sie habe solche Daten nicht gespeichert. Konkurrent Crif Bürgel betonte, man nutze Handyvertragsdaten nicht zur Bonitätsbeurteilung.

Seit 2018 sammeln die Auskunfteien viele Daten, ohne eine eindeutige Einwilligung zu haben

Klaus Müller, Vorstand des Verbraucherzentrale Bundesverbands (VZBV), hält diese Praxis für schwierig. Er führt aus, dass die Auskunfteien mithilfe der Daten voraussagen können, wie ein jeder sich verhält. "Damit werde ich viel gläserner, als ich es jemals gewesen bin", warnt Deutschlands oberster Verbraucherschützer. "Das ist eine Entwicklung, die wir Verbraucherschützer falsch finden, die wir ablehnen und die von der Datenschutzgrundverordnung in dieser Form, unserer Meinung nach, nicht gedeckt ist."

Das sieht auch die Datenschutzkonferenz (DSK) so und stärkt in einem aktuellen Beschluss die Rechte der Verbraucher. Auf wenigen Seiten erklärt sie das Verhalten der Auskunfteien in den vergangenen vier Jahren für "unzulässig". Sie begründet das damit, dass durch diese Praxis "große Datenmengen über übliche Alltagsvorgänge im Wirtschaftsleben erhoben und verarbeitet würden" - und das völlig ohne Anlass.

Betroffen von dem Beschluss sind Daten, die ab dem Sommer 2018 gespeichert wurden. Zuvor war klar geregelt, dass die Auskunfteien eine Einwilligung der Verbraucher brauchten, um solche Daten zu speichern. Als die Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) in Kraft trat, scheuten sich viele Auskunfteien offenbar, die nun höheren Anforderungen an eine solche Einwilligung umzusetzen, wie ein Sprecher des Landesdatenschutzbeauftragten in NRW erklärt. Stattdessen sammeln die Auskunfteien viele Daten nun ohne eine eindeutige Einwilligung und berufen sich darauf, dass sie ein "berechtigtes Interesse" an den Daten hätten.

Der Beschluss der DSK könnte nun bedeuten, dass genau dieses Interesse nicht bestand, die Speicherung so nicht weitergehen darf und bisher gesammelte Daten sogar gelöscht werden müssen.

Die Auskunfteien gehen gegen diesen Beschluss geschlossen auf die Barrikaden. Anfragen von NDR und SZ beantworteten die Mitglieder des Verbands "Die Wirtschaftsauskunfteien e. V." nur vereinzelt und verwiesen stattdessen auf die gemeinsame Stellungnahme. Darin heißt es, ohne Daten, wie zum Beispiel zum Mobilfunkvertrag, würde eine Kreditwürdigkeitsprüfung "unnötig erschwert". Insbesondere "finanzschwächere Menschen" würden von der Verarbeitung von Daten profitieren, etwa Migranten, junge Konsumenten und häufig auch Seniorinnen.

Was die Auskunfteien mit den Daten machen, war auch Experten offenbar lange unklar

Verbraucherschützer Müller hält dagegen, sagt, hier werde der Bock zum Gärtner gemacht. Das Argument, finanzschwächeren Menschen etwas Gutes zu tun, würde hier nur für eine Praxis "instrumentalisiert", die ganz andere Interessen verfolge. "Diese Argumentation ist falsch, die teilen wir nicht. Wir können auch keinen Beleg dafür sehen", sagt Müller. Er hat stattdessen die Sorge, dass die Auskunfteien so die Menschen bewerten und diese künftig keine Verträge mehr bekommen, weil sie beispielsweise gern den Vertrag wechseln oder oft Rabatte abstauben. "Das ist ein falscher Weg - und es hat nichts mit dem Mantel der Barmherzigkeit zu tun."

Müller unterscheidet dabei klar zwischen Negativ- und Positivdaten. Negativdaten sind solche, die anfallen, wenn ein Verbraucher beispielsweise einen Kredit nicht bezahlt. Für diese Speicherung könne es wichtige Gründe geben. Für Positivdaten sieht Müller das aber grundlegend anders. Positivdaten sind eben solche Informationen darüber, dass jemand überhaupt ein Konto bei einer einem Mobilfunkunternehmen hat, auch wenn er all seine Rechnungen pünktlich bezahlt. Positivdaten heißen sie, weil sie eine positive Beziehung belegen sollen, beispielsweise einen Handyvertrag, der regelmäßig bezahlt wird. Ob sie aber positiv in den Score einfließen, dafür gibt es laut Daten- und Verbraucherschützern keine Garantie.

Was die Auskunfteien mit diesen Daten überhaupt machen, war offenbar selbst Experten lange unklar. Aus Kreisen der Landesdatenschützer war zu vernehmen, dass man vom eher intransparenten Verhalten der Auskunfteien "enttäuscht" sei. Diese hätten erst in letzter Minute offengelegt, dass diese die Daten auch für Bonitätsbewertungen heranziehen. Zuvor waren die Datenschutzbehörden der Länder davon ausgegangen, dass die Daten bei den Auskunfteien dafür verwendet würden, um Betrügern frühzeitig auf die Schliche zu kommen.

Konkrete nächste Schritte gibt es nicht. Der Hessische Beauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit, Alexander Roßnagel, sagt auf Anfrage, dass nun die Auskunfteien gefragt seien, "ihre Datenerhebungs- und Verarbeitungsprozesse zu ändern". Müller vom VZBV wird da sehr viel konkreter. Er fordert, dass "dieser wertvolle Beschluss" der Datenschutzkonferenz nun auch durchgesetzt werden muss. Immerhin sei die Datenschutzgrundverordnung kein zahnloser Tiger.

Müller sagt, dass die Daten, die nach Auffassung der Datenschützer zu Unrecht gespeichert wurden, dort nicht weiter verbleiben sollten. "Die müssen gelöscht werden", sagt Deutschlands oberster Verbraucherschützer. Es könne nicht sein, dass die Daten, die womöglich die Freiheiten der Menschen einschränken würden, einfach weiter gespeichert werden, obwohl die Datenschützer klar gesagt hätten, dass diese zu Unrecht erhoben wurden.

Ob die Daten tatsächlich gelöscht werden müssen, wird in den kommenden Monaten möglicherweise ein Gericht entscheiden müssen. Bis dahin bleiben Daten über Millionen unbescholtene Bürger wohl erst einmal bei den Auskunfteien gespeichert.

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