Vielleicht ist das verrückteste Detail an dem Produkt, woher sein Name stammt. Der GPS-Tracker für Kinder heißt "Wo ist Lilly" und ist die jüngste Erfindung des Berliner Start-ups Myfairdeal. Eltern können den Sender am Rucksack ihres Kindes befestigen und aus der Ferne per SMS den Standort abfragen.

Nein, Lilly ist nicht das blonde Mädchen, mit dem Myfairdeal auf seiner Homepage wirbt. Lilly ist der dreijährige Labrador des Firmenbesitzers Daniel Spanier.

Der Schritt von Hunden zu Kindern ist offenbar nicht groß. Myfairdeal tummelt sich schon seit Jahren im Hunde-und Katzenbusiness. Es begann mit einem Sender am Hundehalsband: Büxt das Tier aus, erhält der Besitzer per SMS auf einer Karte den genauen Standort. Warum den Tracker nicht auch für Kinder anbieten, dachte sich Spanier und entwickelte "Wo ist Lilly".

Die Idee ist schnell erklärt: Für 149 Euro erhalten Eltern einen GPS-Tracker, der etwa so groß ist wie ein Schlüsselanhänger. Dazu gibt es eine SIM-Karte mit Guthaben fürs Smartphone. Wer sein Kind orten will, der schickt eine SMS an den Tracker und erhält die genauen Koordinaten plus Markierung auf Google Maps.

Der Tracker besitzt auch einen SOS-Knopf, den Kinder in einer Notfall-Situation selbst drücken können, um den Eltern sofort ihre Positionsdaten zu schicken. Unter Notfall-Situation versteht Spanier im Ernstfall Kidnapping: "Es geht uns nicht um eine Live-Überwachung oder permanente Kontrolle", sagt der 31-Jährige. "Aber die Alternative könnte eben sein, dass im schlimmsten Fall Ihr Kind entführt wird."

Es ist genau diese Angst, mit der Anbieter wie Myfairdeal spielen. Aber ist sie begründet? Tatsächlich ist die Zahl der Kindesentführungen in Deutschland laut polizeilicher Kriminalstatistik seit dem Jahr 2008 durchgängig rückläufig – nur im vergangenen Jahr gab es einen Ausreißer mit einem Plus von 3,7 Prozent. 2013 wurden in Deutschland 1.884 Minderjährige entführt.

Subjektive Bedrohungsempfindung

Psychologen wie Stephan Grünewald vom Kölner Marktforschungsinstitut Rheingold unterscheiden zwischen "objektiver und subjektiver Bedrohungsempfindung." Objektiv mag es vielleicht eine recht geringe Wahrscheinlichkeit geben, dass das eigene Kind entführt wird oder ihm etwas zustößt. Aber die subjektive Angst ist da, dass es doch passiert. Und noch fataler: Wenn statistisch vielleicht nur ein einziges Kind im Jahr entführt wird, dann ist es das Schlimmste für die Eltern, wenn es ausgerechnet das eigene ist. 

Dem wollen Eltern nicht tatenlos entgegenstehen – und versuchen ihre Ängste mit GPS-Trackern in den Griff zu bekommen. Für Grünewald sind die Kinder-Tracker ein weiteres Zeichen dafür, wie stark doch die aktuelle Elterngeneration versuche, das Leben ihrer Kleinen zu steuern. Während in den sechziger und siebziger Jahren der Nachwuchs öfter sich selbst überlassen war, sei heute der Anspruch der Eltern, die Zeit der Kinder möglichst gut zu organisieren. Die Schulausbildung werde optimiert, die Freizeit sei mit Musik- und Sportkursen durchprogrammiert. "Der Kontrollanspruch ist eng mit diesem Steuerungsanspruch verwandt", sagt er.

Eine andere Kindheit

GPS-Tracker zeigen, so interpretiert Grünewald es, also nur, wie sehr sich die Kindheit inzwischen verändert hat. Für den Psychologen sind sie mehr Fluch als Segen. Wer sich einmal auf das System einlasse, begebe sich in eine Abhängigkeitsspirale. "Die Kehrseite dieses Kontrollwahns ist die Selbstversklavung", sagt Grünewald. Wer den Standort seines Kindes nicht permanent überprüfe, mache sich am Ende gar schuldig.

Grünwald gesteht den Eltern zu, das Gerät aus einer guten Absicht heraus zu kaufen. Der Kölner fordert sie aber gleichzeitig auf, mehr ihrem Bauchgefühl zu vertrauen, der "geheimen Intelligenz des Seelischen", wie er es nennt. Eltern würden eine ganz eigene Art der Wachsamkeit entwickeln. Die Fähigkeit ginge verloren, wenn man sich nur noch auf technische Dienstleistungen wie GPS-Tracker verlasse.