Quantentechnologie Ist Deutschland schon wieder zu spät dran?

Quelle: Presse

Alle sprechen von Google, IBM und Meta, doch arbeiten auch deutsche Firmen an der nächsten großen Tech-Revolution. Wie Bosch, Trumpf und Co. dafür sorgen könnten, dass Deutschland nicht den Anschluss verliert.

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Zur deutschen Technologiegeschichte der vergangenen Jahrzehnte gehört das nagende Gefühl, die Chance vertan zu haben, an den großen Trends teilzuhaben. Trotz guter Startvoraussetzungen. Nur zwei Beispiele: Die erste (moderne) E-Mail ging an einen deutschen Wissenschaftler an der Universität Karlsruhe. Geld gemacht hat dann damit aber zuallererst das US-amerikanische Unternehmen Hotmail. Auch der Musikdateistandard MP3 kommt aus Deutschland, genau genommen aus dem Fraunhofer-Institut für integrierte Schaltungen in Erlangen. Groß machte den Musikkonsum dann aber vor allem Apple mit den iPods und dem angeschlossenen Musik-Store.

Es ist eine Angst, die sich nun wieder heranpirscht, dieses Mal in Form der anstehenden Quantentechnologie-Revolution. Diese damit einhergehende Gruppe an potenziell die Wirtschaftswelt verändernden Entwicklungen geht nämlich auch überwiegend auf Grundlagenarbeit deutscher Forscher zurück: Werner Heisenberg, Max Born, Pascual Jordan, Erwin Schrödinger.

Zwar fließen Milliarden Euro an Fördergeldern in einschlägige Projekte. Doch im Vergleich zu dem, was die Silicon-Valley-Riesen oder die chinesische Regierung in die Forschung pumpen, wirkt das eher wie Kleckern statt Klotzen. Noch bleibt allerdings genug Zeit für die deutsche Wirtschaft, bei dem Thema vorne mit dabei zu sein. Denn tatsächlich steht vieles auf diesen Feldern noch am Anfang und Deutschland hat ein Ass im Ärmel: seine Mittelständler und Maschinenbauer, die nun mit Projekten einsteigen und dafür sorgen könnten, dass die deutsche Wirtschaft dieses Mal auch davon profitiert, wenn sich ungeahnte Umsatzchancen ergeben und nicht wieder nur als netter Zuarbeiter zurückbleibt, der das Fundament gelegt hat.

Niko Mohr beobachtet seit 29 Jahren als Berater die technologischen Trendthemen der Wirtschaft, aktuell ist er Partner bei McKinsey. „Future-Tech-Themen habe ich dabei immer begleitet, seit vielen Jahren etwa das Internet of Things. Seit zwei Jahren ist jetzt das Thema Quantentechnologie ganz oben“, sagt er. Die Anwendungsfelder sind vielfältig. Das populärste Thema sind sicherlich Quantencomputer, die auch das meiste Funding bekommen. Sind sie einmal voll einsatzfähig, könnten sie selbst die modernsten konventionellen Supercomputer in den Schatten stellen. Dazu kommt die Quantensensorik, mit der sich zum Beispiel die Krebsdiagnostik auf ein neues Level heben ließe. Die Quantenkommunikation wiederum würde eine abhörsichere Verständigung ermöglichen.

All diese Ansätze basieren auf Prinzipien der Quantenmechanik. Ein Quantencomputer nutzt etwa sogenannte Quantenbits (Qubits) statt normaler Bits. Deren Vorteil, grob vereinfacht: Sie können nicht nur die Position 0 oder 1 einnehmen, sondern einen Überlagerungszustand erreichen, indem sie beides gleichzeitig sind. So kann der Computer deutlich mehr Möglichkeiten einer Bitabfolge durchrechnen als sonst, die Leistung des Quantenrechners steigt entsprechend exponentiell.

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Die Quantensensorik macht sich zu nutze, dass dieser Überlagerungszustand, auch Superposition genannt, extrem empfindlich ist und auf viele externe Faktoren reagiert. Und Quantenkommunikation beziehungsweise Kryptographie ist die Reaktion darauf, dass durch die enorme Leistungsfähigkeit moderner Rechner Kommunikation einfacher entschlüsselt werden kann. Bei der Quantenkryptographie werden – erneut sehr einfach beschrieben – Quantenschlüssel zwischen den Kommunikationspartnern ausgetauscht, deren Verschränkung so gestaltet ist, dass jedweder Lauschangriff sofort sichtbar wird.

Deutschland und Europa hätten dieses Potenzial durchaus erkannt, ist sich Mohr sicher. „Bei den Gesamtinvestitionen liegt Europa global auf Platz vier hinter den USA, dem Vereinigten Königreich und Kanada – Informationen zu Chinas Gesamtinvestitionsaktivitäten sind schwierig bekommen“, erklärt er: „Blickt man nur auf die öffentlichen Investitionen, rangiert die EU hinter China auf dem zweiten Platz. Und der mit Abstand größte Teil entfällt dabei auf Deutschland.“ Es gehe hier auch um strategische Fragen, kaum jemand wolle abhängig von anderen Ländern sein, wenn es um diese Technologien geht. „Niemand will etwa längerfristig kritische Quanten-Rechenkapazität aus dem Ausland zubuchen müssen.“ Mit seinem engen Netz an Forschungseinrichtungen sei gerade Deutschland prädestiniert für die Entwicklung von funktionierenden Ansätzen.

Aber nicht nur die Forschungseinrichtungen können helfen, gerade deutsche Mittelständler seien so gut geeignet wie wenige andere, um das Komponentengeschäft in der Quantentechnologie zu erobern. „Diese Komponenten können dabei helfen, Quantentechnologien in realen Anwendungsszenarien nutzbar zu machen, die wiederum neue Maschinen, neue Materialien, neue Medikamente bedeuten“, sagt Mohr. „Da hat Deutschland mit seiner sehr starken industriellen Powerbase eine große Chance.“

Zu dieser Powerbase gehört die Robert Bosch GmbH. Der Mischkonzern aus Stuttgart verkündete im Februar, dass er ein eigenes Start-up für die Erforschung von Quantensensorik gegründet habe. Geleitet wird dies von der promovierten Physikerin Katrin Kobe, die zunächst 15 Mitarbeiter an die Seite gestellt bekommt.

Konkret arbeitet Bosch an zwei Sensorarten. Das eine sind Magnetfeld-Quantensensoren, die die Diagnose neurologischer Erkrankungen erleichtern sollen. Das Unternehmen rechnet dabei mit einem Marktvolumen von 14 Milliarden US-Dollar im Jahr 2030. Das andere sind Drehratensensoren, die etwa bei der Positionsbestimmung von autonomen Robotern helfen können. Anders als im Komponentengeschäft sieht es bei der Frage aus, wer denn nun Quantencomputer baut. „Im Bereich Chipentwicklung sind wir schon bei konventionellen Chips bislang in Europa nicht so gut aufgestellt“, gibt Niko Mohr zu bedenken. Aber die Chance sei da, das jetzt zu ändern.



Es ist eine Chance, die sie etwa 15 Kilometer von Stuttgart entfernt ergreifen wollen. Dort, in Ditzingen, sitzt Trumpf, ein weiteres Schwergewicht des Maschinenbaus. Auch Trumpf hat sich für den Weg der Ausgründung entschieden, um die eigenen Quantenaktivitäten zu managen. Q.ant heißt das Start-up, das der 36-jährige Michael Förtsch leitet. Das ambitionierte Ziel: Ein voll funktionsfähiger Quantenchip soll in fünf Jahren zur Verfügung stehen, der zudem keine aufwendige Kühlung brauchen wird.

Das ist relevant, denn heutige Quantencomputer sind vor allem so groß, weil sie riesige Kühlapparate beinhalten, die die fragile Superposition in den Quantenchips erhalten. Ein weiterer Vorteil laut Förtsch: Die Chips ließen sich potenziell in herkömmlichen Rechenzentren verbauen, wo die Betreiber dann je nach Bedarf zwischen normaler und Quantencomputerleistung hin- und herwechseln könnten. „Ein solches Nebeneinander wird es mittelfristig wahrscheinlich brauchen, denn Quantencomputer braucht man eher nicht für alltägliche Aufgaben“, erklärt er.

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Was die Projekte von Bosch und Trumpf gemein haben: Sie stehen noch am Anfang, fertige Produkte gibt es aktuell nicht. Allerdings gilt dies auch für die Konkurrenz in den USA und China. Die Überlegenheit ihrer Quantentechnologien haben die dortigen Entwickler auch erst in sehr engem Rahmen bewiesen. Im letzten November vermeldete etwa IBM einen Quantencomputer mit 127 Qubits, das Quantenäquivalent zum Bit. Für einen Quantencomputer, der ähnlich wie ein Laptop dutzende Aufgaben parallel erledigen könnte, bräuchte es aber wohl mehrere tausend davon. Das Rennen um die Quantentechnologie ist also noch offen.

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