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Illustration: Patrick Mariathasan / DER SPIEGEL

Patrick Beuth

Umstrittene US-Firma Clearview AI bietet Gesichtserkennung jetzt auch Schulen an

Patrick Beuth
Ein Netzwelt-Newsletter von Patrick Beuth
Die New Yorker Firma monetarisiert ihre widerrechtlich erstellte Biometrie-Datenbank mit einem neuen Produkt. Nach dem Massenmord in Uvalde dürfte sich alles verkaufen, was nach mehr Sicherheit für Schulen klingt.

Die vielleicht schmierigste Biometrie-Bude des Planeten will nicht mehr nur mit Gesichtserkennung für Strafverfolger Geld machen, sondern auch mit Gesichtserkennung für Schulen. Ich spreche von Clearview AI, meinem Lieblingsbeispiel für fragwürdige KI-Anwendungen.

Ich bin mit meiner Meinung nicht allein: Die New Yorker Firma wurde diese Woche von der britischen Datenschutzbehörde ICO zu einer Zahlung von 7,5 Millionen Pfund und zur Löschung aller Daten von Bewohnern des Vereinigten Königreichs verdonnert . Denn das ungefragte Sammeln von Gesichtsfotos im Netz zur Erstellung einer gigantischen, kommerziell vermarkteten Biometrie-Datenbank ist einerseits Clearviews Spezialität, andererseits ein Datenschutzverstoß. Und das nicht nur in Großbritannien – ähnliche Rüffel hat die Firma auch schon in Frankreich, Kanada, Australien und Deutschland bekommen. In Italien kassierte sie sogar eine Strafe in Höhe von 20 Millionen Euro.

(Lesen Sie hier mehr dazu, ob und wie man als Internetnutzer aus der Clearview-Datenbank wieder herauskommt.)

Wenige Tage vor der ICO-Entscheidung hatte Clearview zudem einem Vergleich mit der Bürgerrechtsorganisation ACLU zugestimmt, um eine Klage im US-Bundesstaat Illinois zu stoppen. Die Einigung besagt unter anderem, dass Clearview seine Gesichtsdatenbank den meisten privaten Einrichtungen in den USA nicht zugänglich machen darf, weder kostenlos noch gegen Geld.

Also versucht die Firma nun, ein anderes Produkt zu verkaufen: ein Zugangssystem, das auf freiwilliger Gesichtserkennung beruht. Wie die Nachrichtenagentur Reuters am Mittwoch berichtete , sollen die jeweiligen Nutzerinnen und Nutzer Fotos von sich hochladen. Beim Betreten eines physischen oder digitalen Raums wird dann ein Kamerabild mit dem zuvor hochgeladenen Foto abgeglichen.

Clearview AI ist ein auf Datenschutzverstöße spezialisiertes Start-up

Clearview AI ist ein auf Datenschutzverstöße spezialisiertes Start-up

Foto:

Andre M. Chang / picture alliance / ZUMAPRESS.com

Zu den ersten Kunden gehört laut Clearview-CEO Hoan Ton-That eine US-Firma, die ihrerseits Zugangssysteme an Schulen verkauft. Seit einigen Jahren  gehört der Einsatz solcher Technologien zu den Versuchen, US-Schulen besser vor bewaffneten Angreifern zu sichern. Es ist absehbar, dass Clearview für seinen Deal, falls er wirklich existiert, nach so furchtbaren Vorkommnissen wie nun im texanischen Uvalde kaum kritisiert werden wird. Genauso absehbar ist, dass Gesichtserkennung nicht die richtige Antwort auf Uvalde sein kann.

Hoan Ton-That betonte Reuters zufolge noch, dass die neue Technik nicht genutzt wird, um weitere Fotos für die große Clearview-Datenbank zu sammeln. Das Zugangssystem wurde allerdings mit den ungefragt und zumindest in mehreren Ländern unerlaubt gesammelten Gesichtsfotos trainiert. Clearview monetarisiert also seine bisherigen Datenschutzverstöße munter weiter.

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Ich wünsche Ihnen einen sonnigen Feiertag,

Patrick Beuth