Klimahelfer oder Klimasünder? – Seite 1

Seit dem ersten Juli ist die Förderung von fünf deutschen Kompetenzzentren für künstliche Intelligenz gestartet – insgesamt sollen 50 Millionen Euro investiert werden. Sie sollen als Teil der KI-Strategie der Bundesregierung die Forschung an der Technologie in Deutschland vorantreiben. Laut einem der Ziele, die dafür auf der dazugehörigen Website definiert werden, sollen "die Potenziale von KI für die nachhaltige Entwicklung genutzt werden und damit einen Beitrag zum Erreichen der Nachhaltigkeitsziele der Agenda 2030 leisten." Nicht nur die Bundesregierung hält große Stücke auf die Technologie. Sie werde "zum Klimaschutz und zur Anpassung an den Klimawandel" beitragen, heißt es im von der EU-Kommission veröffentlichten Weißbuch Künstliche Intelligenz.

Mit künstlicher Intelligenz zu mehr Nachhaltigkeit? An Ideen dafür mangelt es jedenfalls nicht. Von besseren Klimaprognosen und Modellen über die maschinelle Auswertung von Satellitendaten hin zu Smart Farming und Drohnen, die "Samenbomben" abwerfen, vom autonomen Fahren über optimierte Lieferketten hin zu intelligenten Stromnetzen und Materialforschung: Die Branchen und Anwendungsfälle, in denen künstliche Intelligenz (genauer: maschinelles Lernen) im Kampf gegen den Klimawandel bereits eingesetzt oder zumindest getestet wird, sind vielfältig, wie auch eine aktuelle Publikation der Heinrich-Böll-Stiftung zeigt.

"Eine der Hoffnungen ist, dass KI den Ausbau, die Wartung und den Betrieb von Energieanlagen effizienter macht", sagt Marian Klobasa, Leiter des Geschäftsfelds Energiemanagement und Intelligente Netze am Fraunhofer Institut für System- und Innovationsforschung (ISI) in Karlsruhe. Neue Sensoren in Anlagen könnten kontinuierlich Daten sammeln, die über den Zustand und die Auslastung eines Systems informieren. Das spare Zeit, Kosten und Personal. Gleichzeitig könnten die Energienetze und der Stromhandel optimiert werden, sodass die Versorgung flexibler und bedarfsgerechter wird. Das klingt nicht nur in Zeiten der Gasknappheit nach einer guten Sache.

Datensparsamkeit lange eher zweitrangig

Doch der Aufschwung der künstlichen Intelligenz hat seinen Preis. Je komplexer die Algorithmen sind, desto mehr Daten benötigen sie. Das gilt für Anwendungen, mit denen sich mit einer simplen Eingabe digitale Kunstwerke erschaffen lassen ebenso wie für Analysen der Wolkenphysik, die in Wetterprognosen einfließen. Der Grund steckt bereits im Namen: Maschinelles Lernen bedeutet, dass die Algorithmen aus Daten lernen, bestimmte Muster und Eigenschaften zu erkennen. Damit ihnen das möglichst gut gelingt, werden sie mit Millionen von Trainingsdaten konfrontiert. Immer und immer wieder verarbeiten die sogenannten neuronalen Netze die Daten, bis sie schließlich selbstständig in der Lage sind, menschliche Sprache zu erkennen, Hunderassen auf Bildern zu identifizieren oder eben sagen können, ob eine Windkraftanlage oder ein Stromnetz effizient arbeitet oder nicht.

Je mehr Daten eine künstliche Intelligenz verarbeitet, desto mehr Energie benötigen sie. Während KI also dabei helfen kann, Energie einzusparen, benötigt sie, je nach System und Umsetzung, selbst immer mehr Energie, was wiederum zu höheren Emissionen führt. Eine viel zitierte Studie der Universität von Massachusetts aus dem Jahr 2019 (Strubell et al., 2019) kam zu dem Ergebnis, dass beim Training einer einzelnen künstlichen Intelligenz in etwa so viele CO₂-Emissionen anfallen, wie sie fünf Autos in ihrem gesamten Lebenszyklus ausstoßen. Da seit 2012 die Menge der zum Training der KI-Modelle aufgebrachten Computerressourcen exponentiell steigt, stellt sich unweigerlich die Frage, ob die künstliche Intelligenz wirklich im Kampf gegen den Klimawandel hilft – oder ob sie nicht ihrerseits ein Klimasünder ist.

"In der Vergangenheit hat man häufig den erhofften Nutzen einer KI deren Anforderungen und Aufwand vorangestellt" sagt Marian Klobasa. Aspekte wie der Energieverbrauch einzelner Geräte oder auch Datensparsamkeit, etwa im Hinblick auf das autonome Fahren, bei dem viele Daten in der Cloud verarbeitet werden, seien eher zweitrangig gewesen. Inzwischen ändere sich, ähnlich wie bei Kryptowährungen, aber das Bewusstsein hinsichtlich des Energieverbrauchs solcher Technologien.

"Der ökologische Fußabdruck sollte beim Einsatz von KI stets mitgedacht werden", sagt Heike Brugger, Leiterin des Geschäftsfelds Energiepolitik am Fraunhofer ISI. Deshalb seien unter Umständen auch regulatorische Schritte notwendig. Und das nicht erst, wenn die Technik schon weit verbreitet ist. "Die Reduktion der Emissionen ist ein wichtiger Bestandteil der Kosten-Nutzen-Rechnung und hier kann der Gesetzgeber für mehr Transparenz sorgen, etwa was den Energieverbrauch von Rechenzentren und Dienstleistern angeht." Allerdings laufe Regulierung, wie so häufig im IT-Bereich, Gefahr, dem Markt hinterherzulaufen, weshalb man diesbezüglich agiler werden müsse.

Der Energieverbrauch von künstlicher Intelligenz

Zumal es alles andere als leicht ist, den CO₂-Fußabdruck von künstlicher Intelligenz genau zu messen. Viele Studien (siehe Dodge et al., 2022 und Lacoste et al., 2019) ermittelten ihn bislang mithilfe von Angaben zur verwendeten Hardware und Rechenleistung über einen bestimmten Zeitraum sowie dem geografischen Standort und den dort für den Stromverbrauch anfallenden Emissionen. Anhand dieser Informationen konnten die Forschenden ungefähr sagen, wie viel CO₂-Emissionen beim Training oder der Anwendung einer KI anfällt. Doch ein so errechneter Fußabdruck für KI greift möglicherweise zu kurz, wenn es darum geht, den tatsächlichen Einfluss von künstlicher Intelligenz auf den Klimawandel zu messen.

Das glaubt etwa Lynn Kaack. Sie ist Professorin für Computer Science und Public Policy an der Hertie School in Berlin und zudem Mitgründerin von Climate Change AI, einer internationalen Initiative, die sich mit der Schnittstelle des maschinellen Lernens und des Klimawandels beschäftigt. "Der CO₂-Fußabdruck der Hardware ist nur ein Teil der Berechnung, wir sprechen hier von den direkten oder computerspezifischen Effekten", sagt Kaack. Mindestens ebenso wichtig seien aber auch die indirekten anwendungspezifischen und die systemischen Effekte von KI.

In einem im Juni dieses Jahres erschienenen Fachbeitrag (Nature Climate Change: Kaack et al., 2022) schlagen Kaack und ihre Kolleginnen und Kollegen ein Rahmenwerk vor, das insgesamt drei Kategorien für den Einfluss von KI auf den CO₂-Fußabdruck umfasst. Zu den direkten Effekten gehört dabei der erwähnte Stromverbrauch von Datenzentren, ebenso wie der Lebenszyklus der Hardware, von der Herstellung bis zur Entsorgung. Zu den indirekten anwendungsspezifischen Effekten zählen die Forschenden einerseits die unmittelbaren Folgen, die durch den Einsatz von KI entstehen: Wird KI beispielsweise dazu eingesetzt, um neue Batterietechniken zu entwickeln, so gilt es zu beachten, wie viel Treibhausgasemissionen die Entwicklung verursacht und wie viele sie im Umkehrschluss einspart, indem ältere Batterien durch neue, umweltfreundlichere ersetzt werden.

Andererseits gilt es, die systemischen Folgen zu beachten, die, so Kaack, ebenfalls "gravierend sein können". Dazu gehören sogenannte Reboundeffekte, die auftreten können. Gemeint ist damit, dass Einsparungen zu Verhaltensänderungen führen, die positive Effekte gleich wieder zunichtemachen könnten: Wenn etwa ein Bergbauunternehmen die KI-Systeme einsetzt, um die Produktivität im Kohleabbau zu steigern, würden die dank der höheren Effizienz eingesparten Emissionen durch eine kostengünstigere und gesteigerte Förderung unter Umständen negiert. "Ein weiteres Beispiel ist die Werbung, die schon jetzt künstliche Intelligenz in vielen Bereichen einsetzt. Das könnte dazu führen, dass die Menschen insgesamt mehr oder mehr von einem bestimmten Produkt konsumieren", sagt Kaack. Und mehr Konsum bedeute in den meisten Fällen wieder mehr Emissionen.

Was KI grüner machen würde

Weil solche indirekten Effekte kaum zu beziffern sind, soll das Framework von Lynn Kaack und ihren Kolleginnen und Kollegen die Beteiligten in der gesamten KI-Wertschöpfungskette vor allem für die Folgen sensibilisieren. Zudem geben sie Empfehlungen an den öffentlichen Sektor und die Privatwirtschaft, mit denen die CO₂-Emissionen von KI-Anwendungen reduziert werden könnten.

Dazu gehören erstens die Förderung und Entwicklung von sogenannter Green AI, also von nachhaltiger KI. "Alle Rechenzentren weltweit sind nur für etwa ein bis zwei Prozent aller Treibhausgasemissionen verantwortlich, und KI-Anwendungen machen davon wiederum nur einen Bruchteil aus", sagt Kaack. Dennoch sei es, auch im Hinblick auf die weitere Entwicklung und das Wachstum der Branche, wichtig, sowohl nachhaltigere Datenzentren zu bauen, als auch effizientere Algorithmen und Trainingsmodelle zu entwickeln. Hier sei in den vergangenen Jahren ein neuer Forschungsbereich entstanden, der sich mit dem Spannungsfeld zwischen Performance und Effizienz beschäftigt, also der Frage, wie maschinelles Lernen bei geringerem Energieverbrauch ähnlich hohe Leistungen erbringen kann.

Eine zweite Empfehlung betrifft den Einsatz der besagten Algorithmen. So könnten standardisierte, transparente Angaben zum Energieverbrauch Unternehmen helfen, die möglichen Auswirkungen und Umweltfolgen über ihren gesamten Lebenszyklus hinweg besser zu beurteilen. Gleichzeitig sei eine Interoperabilität erstrebenswert, sodass Unternehmen nicht darauf angewiesen sind, die KI eines einzelnen Anbieters zu verwenden, wenn es etwa eine energieeffizientere Alternative gibt.

Heike Brugger vom Fraunhofer ISI geht sogar noch einen Schritt weiter: "Man muss nicht überall künstliche Intelligenz verwenden, nur weil es möglich ist. Häufig reicht auch einfach eine klassische Automatisierung der Abläufe." Anders gesagt: Zum umweltbewussten Umgang mit KI gehört auch, sich zu fragen, ob man sie überhaupt benötigt.

Eine dritte Empfehlung beschreiben die Autorinnen und Autoren um Kaack ganz allgemein als "machine learning literacy", sie fordern also mehr Kenntnis der Themen für maschinelles Lernen und künstliche Intelligenz, sowohl im öffentlichen Sektor und bei klimarelevanten Institutionen, aber auch bei den Bürgerinnen und Bürgern: "Ich würde nicht fordern, dass jeder und jede die Algorithmen verstehen muss. Aber es ist wichtig zu verstehen, was künstliche Intelligenz im Hinblick auf das eigene Leben verändern kann, in welchen Bereichen die Technologie für welche Zwecke eingesetzt wird und welche Auswirkungen sie auf den Klimawandel hat", sagt Lynn Kaack.

Denn am Ende, da sind sich die befragten Expertinnen und Experten einig, kann künstliche Intelligenz im Kampf gegen den menschengemachten Klimawandel helfen. Man müsse sie nur richtig und vor allem bewusst einsetzen.