«Das war nur PR, vergiss es» – ein Startup-Besuch illustriert die Probleme von Chinas Chip-Industrie

In China überbieten sich Regierungen aller Ebenen mit Subventionen für Halbleiterfirmen. Denn Peking will unabhängiger von den USA werden. Trotzdem müssen manche Startups arg kämpfen.

Matthias Sander, Shenzhen
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China produziert recht wenige Chips selbst – zum Beispiel die Firma Jiangsu Azure in der Stadt Huai’an im Osten des Landes.

China produziert recht wenige Chips selbst – zum Beispiel die Firma Jiangsu Azure in der Stadt Huai’an im Osten des Landes.

China Daily / Reuters

Alles las sich mal wieder prima, in diesem Jubel-Artikel eines chinesischen Branchenportals. Da war dieser dynamische Unternehmer in der Hightech-Metropole Shenzhen, Absolvent einer der besten Ingenieur-Unis, Gründer mehrerer Startups. Seine jüngste Firma, hiess es in dem Artikel, werde von der Chinesischen Akademie der Wissenschaften unterstützt und habe mit Chinas grösstem IT-Konzern, Huawei, eine «tiefe strategische Kooperation».

Zweimal war der Mann mit Startups gescheitert, aber Scheitern gehört schliesslich dazu. Erst ging es um E-Zigaretten, dann um Drohnen, beide Male kam ihm plötzliche Regulierung dazwischen, wie es in dem Artikel hiess. Also setzte der Gründer fortan auf ein Produkt, bei dem er mit der Rückendeckung der chinesischen Regierung rechnete: auf Computerchips – jene fingernagelgrossen Motoren der Digitalisierung, die von der E-Mobilität bis zum Militär unerlässlich sind.

Peking will seine Halbleiterproduktion enorm ausbauen. 2021 deckte China laut der Marktforschungsfirma IC Insight seinen Eigenbedarf nur zu 16,7 Prozent, doch 2025 sollen es schon 70 Prozent sein. Deshalb haben zwei Staatsfonds seit 2014 rund 50 Milliarden US-Dollar in die heimische Chip-Industrie investiert. Auch chinesische Städte und Provinzen überbieten sich mit entsprechenden Subventionen.

Einen weiteren Schub bekam die Branche indirekt durch Washingtons Sanktionen seit 2019. Dass Huawei keine 5G-Chips mehr erhält und Chinas grösster Chip-Hersteller, SMIC, nicht mehr die besten Produktionsmaschinen, hat China zur Flucht nach vorn getrieben. Das Land will nun noch schneller möglichst viele Technologien selbst beherrschen, allen voran jene der Chips.

Chip-Mangel hat für China gute Seite

Sogar der weltweite Chip-Mangel seit zwei Jahren hat für China eine positive Seite. Denn Kunden in China trauen sich nun verstärkt, fehlende ausländische Chips durch solche einheimischer Newcomer zu ersetzen. Selbst ein nicht perfektes Produkt erscheint vielen immer noch besser als gar keines.

Doch all der Rückenwind garantiert keinen Erfolg, wie ein Besuch bei dem erwähnten Startup in Shenzhen zeigt. Der Gründer bittet um Anonymität, um über das «sensible Thema» der chinesischen Chip-Industrie offen sprechen zu können; nennen wir ihn Ying Jian. Seine Geschichte illustriert exemplarisch Probleme , die Chinas Chip-Ambitionen seit Jahrzehnten torpedieren. Und Ying hat eine genauso typische rettende Idee.

Die chinesische Regierung verlangt in zunehmend mehr öffentlichen Aufträgen und Regulierungen, dass heimische Produkte verwendet werden. Zum Beispiel bei Rauchmeldern. Ying Jian entwickelte deshalb mit seiner Firma einen speziellen Sensor-Chip. Dieser habe das etablierte Produkt eines deutschen Herstellers ersetzt, sagt Ying. Seit 2021 verkaufe er den Chip an Industriekunden und mache damit 60 Prozent seines Chip-Umsatzes.

Den weitaus grössten Umsatz jedoch, rund 200 Millionen Renminbi-Yuan (gut 28 Millionen Franken), mache er weiterhin nicht mit Chips, sondern mit Software und Plattformen für Smart-City-Projekte, die er seit ein paar Jahren anbietet. Dabei geht es um die umfassende Überwachung von Leuten und Fahrzeugen durch Kameras und Sensoren, die in chinesischen Städten allgegenwärtig sind. So kam Ying erst auf die Idee, Chips für Rauchmelder und andere Sensoren zu entwickeln.

E-Zigaretten, Drohnen, Smart City und jetzt Chips: Vier Branchen hat Ying schon gesehen, in nur acht Jahren. Beeindruckend. «Shenzhen bietet diese Umgebung: Du kannst sehr schnell von einem Business zum anderen wechseln», sagt er. «Aber es ist auch sehr schwer für Startups, einen spezifischen Vorteil zu entwickeln.» Anders gesagt: Viele können vieles ein bisschen, aber nur wenige etwas richtig gut.

Chip-Startups zu Tausenden

Der Verdacht liegt nahe, dass das für viele Chip-Startups in China gilt. Eine Abfrage im Firmenregister Qichacha zeigt, dass fast 16 000 Firmen das chinesische Wort für «Halbleiter» im Namen tragen, und dass gut 6000 davon erst in den vergangenen drei Jahren gegründet wurden. Wie viele dieser Firmen wirklich aktiv sind, ist unklar.

Die Zahl der Chip-Firmen in China steigt rasant

Anmeldungen von Firmen mit «Halbleiter» im Namen pro Jahr

Naturgemäss werden nicht alle diese Chip-Firmen erfolgreich sein. Glaubt man Ying, stehen viele Startups schon mit dem Rücken zur Wand: «Die meisten werden in zwei oder drei Jahren zusammenbrechen.» Dafür sieht er eine Reihe von Gründen: fehlendes Personal, fehlendes Geld und fehlende Wafer – die pizzagrossen Siliziumscheiben, aus denen Chips hergestellt werden.

Der Reihe nach: das Personalproblem. «Du kannst dieser Tage keine qualifizierten Mitarbeiter finden», sagt Ying. Chinas Chip-Industrie fehlen laut Schätzungen mindestens 250 000 Leute. Spezialisten lassen sich entsprechend gut bezahlen. Seit Ying 2019 mit der Chip-Entwicklung begann, hätten sich die Gehälter vervielfacht, sagt er. Startups wie seines könnten nicht mit den grossen Chip-Firmen mithalten.

Zumal vielen Chip-Startups offenbar bald das Geld ausgeht. «Risikokapitalgeber und Business-Angels investieren nicht mehr», sagt Ying. Das überrascht auf den ersten Blick, denn vergangenes Jahr investierten Risikokapitalgeber in China laut der Marktforschungsfirma Preqin 8,8 Milliarden US-Dollar in den Sektor; in den USA waren es nur 1,3 Milliarden. Auch in den ersten Monaten dieses Jahres floss laut dem Branchenportal «Semiengineering» weltweit am meisten Chip-Risikokapital in chinesische Firmen.

Doch womöglich ändert sich das bald, wie ein zweiter Blick zeigt. Laut dem Tech-Portal «The Information» sank 2021 die Zahl der Risikokapitalfonds, die mit US-Dollars in chinesische Tech-Startups investieren, um rund zwei Drittel. Genauso stark schrumpften die eingesammelten Gelder, auf nur noch 4,2 Milliarden US-Dollar. Auch das Portal «Techcrunch» erwartet dieses Jahr einen «massiven Rückgang» an Investitionen in chinesische Startups.

Tech-Regulierung und Lockdowns

Dafür werden im Wesentlichen drei Gründe genannt. Erstens Pekings rabiater Regulierungsfeldzug gegen grosse Internetplattformen wie Alibaba (Handel, Finanzen) und Tencent (soziale Netzwerke, Gaming). Dieser hat laut der Investmentbank Goldman Sachs zu Börsenverlusten von 2 Billionen US-Dollar geführt. Der Feldzug richtet sich zwar überwiegend gegen Software-Anbieter und nicht gegen «hard tech» wie Chips, aber viele Investoren dürften in beiden Sparten aktiv sein und entsprechend leiden.

Zweitens machen Chinas strikte Corona-Regeln die Investoren vorsichtiger. Reisen zwischen den wirtschaftsstarken Metropolen an Chinas Ostküste sind nur mit dem Risiko einer Quarantäne möglich, wenn überhaupt. Schanghai, der wichtigste Standort des Landes sowohl für Finanzen wie auch für Chips, war gerade zwei Monate im Lockdown.

Drittens geht es Chinas Wirtschaft insgesamt schlecht, unter anderem wegen der Pandemie. Überall im Land werden Gehälter gekürzt und Arbeiter entlassen. Das ist kein Klima, in dem Investoren jahrelange Wetten eingehen, wie sie für die Entwicklung hochkomplexer Chips nötig sind.

Leute wie Ying bekommen das zu spüren. «Viele Startup-Gründer haben vielleicht schon ihr Haus verkauft. Sie haben viele Bankkredite. Es ist sehr gefährlich.» Ying selbst war einmal in dieser Lage, das will er nicht wiederholen. Derzeit investiere er Gewinne aus dem Geschäft mit Smart City in seine Chip-Firma, aber wie lange noch?

Mit staatlicher Hilfe rechnet Ying nicht. «Die meiste Unterstützung der Regierung geht an riesige Konzerne», behauptet er. Dabei haben selbst viele Bezirksregierungen Subventionsprogramme für Tech-Startups, insbesondere für Chips. Der Shenzhener Bezirk Nanshan, wo Yings Firma in einem Hightech-Park sitzt, wirbt damit, 70 Prozent der Entwicklungskosten eines fertigen Chip-Designs zu erstatten.

Yings Firma ist im Chip-Design tätig und hat einen Preis der Shenzhener Regierung für den Rauchmelder-Chip gewonnen. Trotzdem bekam Ying nach eigenen Angaben vom Staat bisher «keine Hilfe, keine Subventionen, keine Investitionen». Für Startups sei es sehr schwer, die Förderkriterien zu erfüllen, sagt er. «Vielleicht sind die angekündigten Massnahmen und die tatsächlichen Handlungen komplett unterschiedlich.»

China muss Wafer importieren

Es fehlt also an Geld, an Personal – und schliesslich an Siliziumscheiben. «Wir bekommen nicht genug Wafer», sagt Ying. Chinesische Hersteller wie SMIC und Huahong hätten nicht genug Kapazitäten für kleine Firmen wie seine. Dadurch könne er die Nachfrage seiner Kunden nicht stillen.

Wafer-Knappheit herrscht zwar weltweit. Zum Beispiel verkündete der zweitgrösste Wafer-Hersteller, Sumco aus Japan, dass sein wichtigstes Produkt bis 2026 ausverkauft sei. Doch China ist besonders stark von Wafer-Importen abhängig. Denn 90 Prozent aller Wafer werden von vier Firmen aus Japan, Taiwan und Deutschland – von der Münchner Siltronic – hergestellt.

Chinesische Analytiker sehen das mit grosser Sorge. Zusätzlich beunruhigt sie, dass der amerikanische Präsident Joe Biden im März eine Chip-Allianz zwischen den USA, Südkorea, Japan und Taiwan ins Gespräch brachte. Die nationalistische Parteizeitung «Global Times» schrieb, ein Lieferketten-Krieg zwischen den USA und China in der Halbleiterindustrie sei laut chinesischen Beobachtern unausweichlich.

Eine schwierige Gemengelage also für ein kleines Startup wie das von Ying Jian. Hilft ihm wenigstens die «tiefe strategische Partnerschaft» mit Huawei, die der Jubel-Artikel erwähnte? Der freundliche Firmengründer winkt ab. «Das war nur PR, vergiss es», sagt er. Huawei habe halt Büros im selben Hochhaus wie er und habe für seine Eröffnungsfeier Tech-Gäste gebraucht, also sei er hingegangen. «Es war sehr praktisch für uns, wir haben nicht viel Zeit verschwendet.»

Und wie unterstützt die Chinesische Akademie der Wissenschaften (CAS) ihn? «Die CAS hat uns geholfen, die Firma zu gründen», sagt der Akademie-Alumni vage. Wie genau sieht die Kooperation heute aus? «Sie ist nicht sehr eng.» Eigentlich, sagt Ying schliesslich, habe die CAS nur ihren Namen hergegeben. «Damit die Kunden genug Vertrauen haben. Damit sie denken, unsere Produkte sind stark und zuverlässig genug.»

Yings Rauchmelder-Chip mag tatsächlich zuverlässig sein, trotzdem reicht es womöglich nicht. Ying fürchtet wegen all der Probleme, dass er bald seine Firma schliessen muss. «Vielleicht morgen, vielleicht nächste Woche oder nächsten Monat», sagt er lakonisch.

Aber er hat auch eine rettende Idee.

Aussen China, innen Ausland

Ying würde am liebsten fertige Chip-Blättchen im Ausland einkaufen. Die würde seine Firma dann selbst in Gehäuse montieren und mit ihrem Namen versehen. «Der Körper käme aus Japan oder Europa und würde ein chinesisches T-Shirt tragen», sagt er witzelnd.

So sei beiden Seiten gedient, ihm und dem ausländischen Partner, erklärt Ying weiter. Er müsste nicht 10 Millionen Renminbi-Yuan, gut 1,4 Millionen Schweizerfranken, in die Entwicklung eines einzigen Chips stecken, der womöglich sowieso nie marktreif wird. Die 10 Millionen könnte er stattdessen in die Kooperation mit dem ausländischen Partner investieren. Schon nach zwei Jahren, sagt er, winkten vielleicht 100 Millionen Umsatz.

Der ausländische Partner bekäme dank Ying Zugang zum grössten Chip-Markt der Welt. Ohne chinesischen Partner dürfte das zunehmend schwieriger werden, denn die Regierung will mehr heimische Ware. Yings Firma hat ausserdem wegen der Smart-City-Projekte schon Kontakte zu potenziellen Grosskunden.

Rein wirtschaftlich klingt das alles sehr sinnvoll. Doch darum geht es nicht. China will nationale Champions. Und genau wegen solch kurzfristigen Gewinnstrebens gelingt der chinesischen Chip-Industrie seit Jahrzehnten nichts Bahnbrechendes.