«Spiegel» und «Bild» gefälscht: Eine grosse Kampagne aus Russland soll die Meinung in Europa beeinflussen

Mehrere Organisationen haben zusammen mit Facebook eine grosse Desinformationsoperation aufgedeckt. Das Ziel: Stimmung gegen die Sanktionen und gegen Waffenlieferungen an die Ukraine zu machen.

Lukas Mäder
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Angeblicher Todesfall wegen Sparbemühungen: Ein gefälschtes Video auf einer Webseite, die aussieht wie jene von «Bild», aber nur nachgebaut ist.

Angeblicher Todesfall wegen Sparbemühungen: Ein gefälschtes Video auf einer Webseite, die aussieht wie jene von «Bild», aber nur nachgebaut ist.

Screenshot

Wer die Website mit dem Video sieht, glaubt sich bei der deutschen Boulevardzeitung «Bild». Sogar die Links führen auf echte Artikel der «Bild»-Zeitung. Doch die Website ist gefälscht, ebenso das Video mit der Desinformation. Zu erkennen ist die Manipulation kaum. Nur die Webadresse im Browser, die URL, ist falsch: Sie lautet Bild.vip statt Bild.de.

Das gefälschte Video auf Bild.vip erzählt die Geschichte von einem Teenager, der angeblich in Berlin nach einem Fahrradunfall verstorben sei – weil die Strassenbeleuchtung ausgeschaltet war, um Energie zu sparen. Die Botschaft ist klar: Die drohende Energieknappheit in Europa hat schlimme Folgen für die Bevölkerung.

Das Video ist Teil einer koordinierten Kampagne, die mutmasslich aus Russland kommt. Das Vorgehen: Auf täuschend echten Kopien von Online-Plattformen wie «Bild», «Spiegel», oder «Guardian» wird Desinformation publiziert. Gefälschte Facebook-Accounts verbreiteten diese Nachrichten weiter, teilweise auch als bezahlte Werbung – dasselbe geschieht auf Twitter oder Instagram.

Für Desinformation missbraucht: Die Website des deutschen Magazins «Spiegel».

Für Desinformation missbraucht: Die Website des deutschen Magazins «Spiegel».

Krisztian Bocsi / Bloomberg

Wie gross und komplex die Desinformationskampagne ist, zeigen Untersuchungsberichte, die mehrere Organisationen und der Facebook-Konzern Meta nun veröffentlicht haben. Die Urheber haben über 60 gefälschte News-Websites aufgesetzt, 1633 Accounts und 703 Seiten auf Facebook erstellt. Hinzu kamen Profile auf Instagram, Twitter, Youtube oder Telegram – sowie Aktivitäten auf den Petitionsplattformen Change.org sowie Avaaz.

Im Fokus der Kampagne, die spätestens im Mai begann, stand vor allem Deutschland. Medien wie T-Online und das ZDF hatten bereits Ende August über diese Fälschungen berichtet, was die vertieften Nachforschungen ausgelöst hatte. Diese zeigen nun: Die Urheber zielten auch auf weitere Länder wie Frankreich, Grossbritannien, Italien oder die Ukraine.

Die Kampagne missbrauchte zum Beispiel Websites der englischen «Daily Mail», der französischen «20 Minutes» oder der italienischen Nachrichtenagentur Ansa. Die Fälschungen unterschieden sich nur minim in der Webadresse: Sueddeutsche.co statt Sueddeutsche.de; oder Tagesspiegel.ltd statt Tagesspiegel.de. Das Layout ist identisch. Um die Kampagne besser zu verstecken, wird der gefälschte Artikel nur angezeigt, wenn der direkte Link eingegeben wird – in den übrigen Fällen wird der Leser auf die originale Website weitergeleitet. Insgesamt mindestens 17 Medientitel kopierten die Urheber in dieser Manier.

Die gefälschten Meldungen verbreiten ein Narrativ, das russischen Interessen entspricht. Es geht etwa darum, dass die drohenden Energieengpässe der Wirtschaft und der Bevölkerung in Europa schaden könnten. Oder darum, dass die Waffenlieferungen an die Ukraine aufhören sollten. Weiter wird die Ukraine als korrupter «Nazi-Staat» dargestellt, und dem Land werden Kriegsverbrechen unterstellt.

Gefälschter Artikel im Layout des «Spiegels»: Ukrainische Flüchtlinge sollen Deutsche nationalsozialistisch beeinflusst haben.

Gefälschter Artikel im Layout des «Spiegels»: Ukrainische Flüchtlinge sollen Deutsche nationalsozialistisch beeinflusst haben.

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Wer genau hinter der grossen Kampagne steckt, lässt sich nicht mit Sicherheit sagen. Allerdings deutet vieles auf eine russische Gruppierung hin – ob staatlich oder nicht. Der Facebook-Konzern Meta schreibt gar von der «grössten und komplexesten russischen Operation» seit Beginn des Ukraine-Kriegs.

Die Kampagne weise eine unübliche Mischung aus Raffinement und brachialem Vorgehen auf, schreibt Facebook weiter. Das Fälschen der Websites und die Verwendung von über einem halben Dutzend Sprachen sei aufwendig. Gleichzeitig sei die Verbreitung meist über plumpe Anzeigen passiert, schreibt Facebook. Eine Mehrheit der gefälschten Seiten oder Profile hat Facebook laut eigenen Angaben bereits automatisch von der Plattform entfernt, bevor die Untersuchung gestartet worden sei.

Dass es sich nicht um eine Operation von Amateuren handelt, zeigt bereits das Budget, das den Urhebern zur Verfügung gestanden haben muss. Allein für bezahlte Posts auf Facebook gaben sie über 100 000 US-Dollar aus.

Ebenfalls auf professionelle Urheber deutet eine Tracking-Software hin, die die schwedische Nonprofitorganisation Qurium entdeckt hat. Mit derartiger Software lassen sich die Aufrufe von Links nachverfolgen. Das ist ein Hinweis darauf, dass der Erfolg der Kampagne gemessen und an eine übergeordnete Stelle rapportiert worden ist.

Wie gross die Wirkung solcher Operationen tatsächlich ist, bleibt unklar. Bei der nun offengelegten Kampagne bezahlten die Urheber der Kampagne in einem Fall gegen 2000 Dollar für die Verbreitung eines Facebook-Posts. Das hat das Digital Forensic Research Lab der amerikanischen Denkfabrik Atlantic Council herausgefunden. Die Falschmeldung soll zwischen 500 000- und 600 000-mal auf Facebook angezeigt worden sein, mehrheitlich in Deutschland.

Eine direkte Verwicklung des russischen Staats lässt sich bei solchen Desinformationskampagnen nur selten zweifelsfrei belegen. Es kommt jedoch immer vor, dass aus Russland heraus Operationen durchgeführt werden, mit denen die öffentliche Meinung beeinflusst werden soll – auch während des Ukraine-Kriegs. Die bekannteste Aktion ist wohl der Versuch von 2016, Einfluss auf die Präsidentschaftswahl in den USA zu nehmen.

Im Fall der nun öffentlich gewordenen Operation ist davon auszugehen, dass die Kampagne weitergeht – trotz den zahlreichen technischen Details, die nun publiziert worden sind. Facebook hat während der Untersuchung bereits beobachtet, wie die Urheber versucht haben, neue Websites einzurichten.

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