Defizite in der Digitalisierung Krisenmodus statt KI: Warum die Wirtschaft bei der Zukunftstechnologie zaudert

Deutschland als Spitzenreiter? Selbst der Roboter, hier im Würzberger Center for Artificial Intelligence and Robotics, wirkt verschreckt angesichts von Deutschlands digitalen Defiziten.  Quelle: imago images

Schon in der Coronakrise blieb der erhoffte Digitalisierungsschub aus. Nun bremst die Wirtschaft wieder – das kann fatale Folgen für den Standort haben. Dabei mangelt es nicht an Milliarden-Töpfen.   

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Homeoffice, Videokonferenzen, mobiles Arbeiten – die Pandemie hat zwar das Arbeitsleben digitaler gemacht, doch ein echter Digitalisierungsschub ist ausgeblieben, wie eine Studie des Instituts der Deutschen Wirtschaft (IW) gezeigt hat. Diese Versäumnisse könnten sich in der neuen Krise jetzt sogar noch verschärfen – mit fatalen Folgen für die Zukunft des Standorts. Denn mit Zoomcalls allein wird die deutsche Wirtschaft nicht wettbewerbsfähig bleiben.

So zeigt eine neue Studie des IT-Branchenverbands Bitkom, dass Deutschlands Unternehmen zwar die Chancen von Künstlicher Intelligenz (KI) erkennen, die Technologie aber in der Praxis kaum nutzen. Und schlimmer noch: Für immer mehr Firmen ist KI derzeit kein Thema mehr. „Viele Unternehmen sind aktuell gezwungen, in einen Krisenmodus zu schalten“, sagt Bitkom-Präsident Achim Berg: „Steigende Energiekosten, hohe Inflationsraten und unterbrochene Lieferketten setzen der Wirtschaft zu. Investitionen in neue Technologien und KI-gestützte Geschäftsmodelle bleiben zu oft auf der Strecke“.

Nur neun Prozent der Firmen nutzen KI

Der Bitkom hat der deutschen Wirtschaft die digitale Gretchenfrage gestellt: Wie halten Sie es mit der KI? Das wollte der Verband von 606 Unternehmen mit mehr als 20 Beschäftigten wissen. Die Antworten sind ernüchternd. Nur neun Prozent gaben demnach an, KI auch tatsächlich anzuwenden. Das ist nur ein minimales Plus im Vergleich zum Vorjahr, wo lediglich acht Prozent KI nutzen. Dass die Lage besser wird, ist nicht garantiert. Denn der Anteil der Betriebe, die sich nicht mit KI beschäftigen wollen, steigt sogar: 64 Prozent der befragten Unternehmen erklärten, dass die Technologie für sie kein Thema ist, im Vorjahr waren es noch 59 Prozent. 

Dabei sei künstliche Intelligenz „eine Schlüsseltechnologie, die praktisch überall zum Einsatz kommen kann“, sagt Berg: „Ob in der Automobilbranche, im Maschinenbau oder im Dienstleistungsbereich. Gerade jetzt sollten sich die Unternehmen für die Zeit nach der Krise aufstellen und auch durch KI zukunftsfest machen.“

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Bereits in der Pandemie waren Digitalisierungsprojekte von Unternehmen aufgrund von Unsicherheiten und Kostendruck pausiert oder verschoben worden, hatte die IW-Studie Ende 2021 gezeigt. Demnach waren zwar die Prozesse der Unternehmen digitaler geworden, ihre Produkte und Geschäftsmodelle jedoch eher nicht. Genau das ist aber Voraussetzung, wenn man Märkte erobern will. 

KI für die Kundenbindung ist keine Sprunginnovation 

Auch die Bitkom-Studie zeigt, dass die Unternehmen KI bisher eher nicht für bahnbrechende Innovationen nutzen. Vielmehr wird die Technologie vor allem im Marketing (81 Prozent) verwendet und zur Kundenbindung (61 Prozent). Rund die Hälfte der Firmen setzt KI in der Produktion ein (54 Prozent), im Einkauf (54 Prozent) und in der Buchhaltung (50 Prozent). Eher selten unterstütze KI die Strategieerstellung (38 Prozent), die interne IT und Logistik (je 35 Prozent) sowie die Personalabteilung (23 Prozent) und die Vorhaben in Forschung und Entwicklung (15 Prozent). Praktisch kein Unternehmen verwendet KI laut Bitkom in der Rechts- und Steuerabteilung.

Als Grund für die Zurückhaltung nennen die befragten Unternehmen fehlende personelle Ressourcen sowie fehlende Daten (je 62 Prozent). Erst mit deutlichem Abstand folgen fehlende finanzielle Ressourcen (50 Prozent), die Verunsicherung durch rechtliche Hürden (49 Prozent), fehlendes technisches Know-how (48 Prozent) sowie Zeitmangel (46 Prozent). Rund ein Drittel nennt die fehlende Akzeptanz der Beschäftigten (37 Prozent) sowie allgemein fehlendes Vertrauen in KI (33 Prozent). Und rund jedem Fünften (22 Prozent) fehlt es immer noch an Use Cases für KI im Unternehmen.   

Weniger Investition in die Qualifizierung

Allerdings sind die Probleme durchaus hausgemacht. Denn die Unternehmen selbst haben zuletzt weniger in die Qualifizierung ihrer Mitarbeiter investiert: so ist der Anteil derjenigen, die Weiterbildungen von unternehmensinternen IT-Anwenderinnen und -Anwendern sowie IT-Fachkräften anbieten, laut IW-Studie zurückgegangen. Besonders schlecht schnitten in dem Digitalcheck ausgerechnet die Branchengruppe Grundstoffe, Chemie und Pharma ab, die sowohl in der Pandemie als nun in der Energiekrise besonders herausgefordert sind.

Fatal ist, dass sich viele Firmen nicht mehr auf der Überholspur sehen. Nur ein Prozent der befragten Unternehmen sieht sich an der Spitze bei der Anwendung von KI, aber 42 Prozent glauben, den Anschluss verpasst zu haben. Bitkom-Präsident Berg versucht zu motivieren: „KI ist immer noch eine junge Technologie. Wer sich jetzt konsequent mit KI beschäftigt, wird sich Wettbewerbsvorteile erarbeiten“, erklärt er.

Eine Frage der Größe 

Weil die Nutzung von KI oft auch eine Frage der Größe ist – fast jedes zweite Unternehmen mit 2.000 oder mehr Beschäftigten nutzt bereits KI, aber nur fünf Prozent der Firmen mit 20 bis 99 Beschäftigten – will die Regierung insbesondere kleine und mittelständische Unternehmen (KMU) im Einsatz der Zukunftstechnologie fördern.   

So sieht die Start-up-Strategie der Regierung vor, dass KMU Gutscheine bekommen sollen, wenn sie mit Start-ups in der Anwendung von KI zusammenarbeiten, was Bitkom-Präsident Berg begrüßt: „Viele Start-ups sind weit vorne beim Einsatz von innovativen Technologien wie Künstlicher Intelligenz, gleichzeitig haben KMU den Marktzugang, der vielen Gründerinnen und Gründern fehlt.“

„Win-Win-Situation“ für Start-ups und KMU 

Auch der Bundesverband Der Mittelstand (BVMW) sieht eine „Win-Win-Situation“ in den Voucher-Vorhaben, wie Bundesgeschäftsführer Markus Jerger sagt. Viele Unternehmen seien sich zwar bewusst, „dass es ohne Digitalisierung nicht gehen wird“. Allerdings betont Jerger auch, dass sich „nicht für alle kleinen und mittleren Unternehmen eine komplette Digitalisierung lohnen“ wird: „Das muss genau abgewogen werden.“  

Wie viel Geld für die Gutschein-Pläne der Regierung zur Verfügung stehen werden, ist bisher ohnehin unklar. „Aktuell laufen noch die Beratungen“, heißt es aus dem federführenden Wirtschaftsministerium. Auch die Höhe des im Koalitionsvertrags vorgesehenen Digitalbudgets ist noch offen – wenn es denn angesichts der angespannten Haushaltslage überhaupt ein solches Budget geben wird.

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Die KI-Milliarden fließen kaum ab

Zumal die KI-Töpfe der Regierung noch prall gefüllt sind. Von den fünf Milliarden Euro, die noch unter der großen Koalition für die Förderung und Anwendung von Künstlicher Intelligenz zur Verfügung gestellt worden waren, um Deutschland zu einem weltweit führenden KI-Standort zu machen, sind bisher erst 490 Millionen Euro abgeflossen, teilt das Forschungsministerium mit.

Dass Deutschland die Spitzenränge erreicht, glaubt auch die Wirtschaft nicht. Laut Bitkom-Studie gehen nur noch drei Prozent der Unternehmen davon aus, dass Deutschland 2030 beim Thema KI führend sein wird. Vor einem Jahr waren es noch acht Prozent. Aus Sicht der Wirtschaft liegen derzeit die USA (40 Prozent) vorne, gefolgt von China (20 Prozent) und Japan (10 Prozent).

Bis Ende 2025 sollen die fünf KI-Milliarden der Regierung ausgegeben sein – wenn das Tempo allerdings so zäh und die Wirtschaft so zurückhaltend bleibt, droht Deutschland in der Digitalisierung allerdings das zu werden, wovor Ex-Kanzlerin Angela Merkel (CDU) immer gewarnt hat: „Bummelletzter“.

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