Xinjiang ohne Internierungscamps: Chinas Propaganda macht Uigurinnen zu Youtube-Influencerinnen

Junge Chinesen kritisieren auf sozialen Netzwerken im Westen Berichte über Menschenrechtsverletzungen in Xinjiang. Dahinter stehen professionelle Influencer-Agenturen und der chinesische Parteistaat.

Matthias Sander, Shenzhen
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Influencerinnen mit Verbindungen zum chinesischen Staat präsentieren auf sozialen Netzwerken im Westen ein geschöntes Bild der Provinz Xinjiang – eines ohne Internierungslager für Uiguren, wie hier im Bild.

Influencerinnen mit Verbindungen zum chinesischen Staat präsentieren auf sozialen Netzwerken im Westen ein geschöntes Bild der Provinz Xinjiang – eines ohne Internierungslager für Uiguren, wie hier im Bild.

Mark Schiefelbein / AP

«Ich bin Guli aus Xinjiang», präsentiert die junge Influencerin sich auf Youtube, «ein einfaches uigurisches Mädchen.» In ihren Videos zeigt sie die atemberaubend schönen Landschaften von Chinas nordwestlichster Region, sie isst lokale Spezialitäten und geht der Geschichte eines bekannten Volksliedes nach.

Gulis Videos werden auch auf Twitter, Instagram, Facebook und Tiktok verbreitet. In einem Video spricht Guli mit dem deutschen Influencer Patrick Köllmer, der seit Jahren in China lebt. Ausländische Medien würden Xinjiang diffamieren, sagt Guli. Köllmer entgegnet: «Ich schaue keine ausländischen Medien über China, weil ich denke, dass es einfach falsch ist.»

Guli heisst mit vollem Namen Guli Adilijiang. Sie ist keine unabhängige Influencerin, die der Welt selbstlos das vermeintlich wahre Gesicht ihrer Heimat zeigen will: ein Bild ohne Internierungscamps für schätzungsweise eine Million Uiguren. Nein, Guli ist eine professionelle Influencerin, bezahlt von einer Marketingagentur, die für den chinesischen Parteistaat junge Leute zu Influencern macht auf Videoplattformen, die in China verboten sind.

Chinas Zensurbehörde steht hinter Video

Recherchiert hat Gulis Geschichte der australische Think-Tank Aspi für einen kürzlich erschienenen Bericht. Aspi untersuchte 18 Youtube-Kanäle von meist jungen Influencerinnen aus Xinjiang, der Inneren Mongolei, aus Hunan und Tibet. Sie haben zwischen 2000 und über 200 000 Follower und senden auf Chinesisch und Englisch, oft mit Untertiteln.

Der Think-Tank belegt seine Recherche detailliert. Zum Beispiel fand er in chinesischen Staatsmedien die längere Version eines Videos, das ein Sprecher des chinesischen Aussenministeriums auf Twitter verbreitet hatte. Am Ende dieses längeren Videos steht der Hinweis: «Co-präsentiert vom Internationalen Departement des Zentralkomitees der KPC und vom Xinjiang-Büro der Cyberspace-Behörde von China». Die Cyberspace-Behörde ist unter anderem für Chinas Online-Zensur zuständig.

Eine Beschaffungsnotiz zeigt, dass das Kultur- und Tourismusbüro des Landkreises Shayar eine Marketingagentur aus der Metropole Chengdu damit beauftragt hatte, eine Frau namens Renagul Rahman zur Influencerin auf dem chinesischen Tiktok-Pendant Douyin zu machen. Dafür erhielt die Agentur fast eine Million Renminbi-Yuan, knapp 140 000 Schweizerfranken. Auch Guli arbeitet für die Agentur.

Chinesische Propaganda ist in Lifestyle-Beiträgen eingebettet

Die Videos erfüllen die vom Partei- und Staatschef Xi Jinping oft erhobene Forderung, «Chinas Geschichte gut zu erzählen» und der Welt das «schöne China» zu zeigen. Zu fast 90 Prozent produzieren die Influencerinnen Inhalte, die Aspi als «Lifestyle» klassifiziert. Darin eingebettet sind typische Narrative der chinesischen Propaganda, etwa die vermeintliche Harmonie zwischen verschiedenen Ethnien oder die angeblich unumstössliche Loyalität zur Partei.

Verbreitet werden die Videos etwa auf Twitter von chinesischen Diplomaten und Sprechern des Aussenministeriums. Angeschaut werden sie manchmal nur ein paar hundert Mal, manchmal hunderttausendfach. Den Kommentaren nach zu urteilen, werden sie vor allem von der chinesischen Diaspora geschaut.

Die Wirksamkeit der Auslandpropaganda untersuchen auch chinesische Kommunikationswissenschafter. So stellte ein Autor der Chinesischen Akademie für Sozialwissenschaften fest, dass die Videos einer Influencerin zur Baumwollproduktion in Xinjiang – die wegen Zwangsarbeit international kritisiert wird – öfter angeschaut worden seien als jene des staatlichen China Global Television Network. Noch effektiver seien nur Videos ausländischer Influencer. Auch diese fördert der Parteistaat, wie etwa eine Recherche der «New York Times» ergeben hatte.

Die chinesische Auslandpropaganda wird insgesamt zunehmend raffinierter. Sie profitiert vom Wegschauen und vom Profitstreben der westlichen Plattformen, etwa von Youtube. Der Videodienst kennzeichnet die vermeintlich unabhängigen Influencerinnen nicht, wie er es etwa bei Staatsmedien macht, sondern hat sie teilweise als authentische Kreativdienstleister verifiziert. Youtube verdient mit den Propagandavideos Werbegelder und lässt die chinesischen Influencer-Agenturen daran über sein Partnerprogramm teilhaben.