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Physikalische Grenze der Chip-Entwicklung Kleiner geht's nicht

Fünfzig Jahre lang wurden Computerchips stetig kleiner, günstiger und leistungsfähiger. Doch jetzt naht das Ende dieses mooreschen Gesetzes. Stockt die digitale Revolution, weil das Schrumpfen ein Ende hat?
Siliziumscheibe auf einer Konferenz von Chiphersteller Intel

Siliziumscheibe auf einer Konferenz von Chiphersteller Intel

Foto: Joshikazu Tsuno / AFP

Die ersten Computer waren raumfüllend. Ein paar Jahre später waren sie immer noch riesig, irgendwann nur noch klobig. Heute hat ein normales Smartphone 120 Millionen Mal die Rechenleistung  des Steuercomputers des Apollo-Mondprogramms der Nasa. Das iPad 2 hätte es noch im Jahr 1994 auf die Liste der schnellsten Supercomputer der Welt geschafft .

Ohne immer kleinere, leistungsfähigere und trotzdem günstigere Chips wäre diese Entwicklung nicht möglich gewesen. Doch womöglich ist die Chipindustrie an einem Punkt angelangt, an dem sie ihr Prinzip des exponentiellen Wachstums verwerfen muss - oder völlig neu denken. Verliert die digitale Revolution gerade jetzt, wo sie nahezu alle Lebensbereiche zu durchdringen beginnt, den Schwung?

Jahrzehntelang galt für die Chipherstellung die simple Regel des Gordon Moore. Der Chemiker und Physiker war Mitgründer des heute weltgrößten Halbleiterherstellers Intel. Im April 1965 formulierte er in der Zeitschrift "Electronics" mit Blick auf die bisherige Entwicklung eine Prognose, die verblüffende 50 Jahre lang Gültigkeit behalten sollte: Moore stellte fest, dass sich die Anzahl der Schaltkreiskomponenten auf einem integrierten Schaltkreis jedes Jahr verdoppele und prognostizierte, dass das erst einmal so weitergehen werde. Später korrigierte er die Zeitspanne auf zwei Jahre.

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"Das mooresche Gesetz ist am Ende", sagt ein IBM-Forscher

Als Moore's Law, das mooresche Gesetz, wurde die Prognose zum selbstverständlichen Pfeiler, zum Leitsatz der Industrie. Sie hielt viel länger, als Moore selbst das je erwartet hätte. Firmen wie Apple oder Microsoft konnten jahrzehntelang darauf zählen, dass Chips - wie einem Naturgesetz folgend - der Voraussage entsprachen.

Bereits in den Neunzigerjahren wurde aber diskutiert, wann die Entwicklung von immer kleineren Computerchips mit immer mehr Leistung stocken werde. Die Chiphersteller verfeinerten ihre Verfahrenstechniken, reizten jeden Vorteil aus, verschafften sich Zeit - bis jetzt.

Thilo Maurer auf der Cebit

Thilo Maurer auf der Cebit

Foto: SPIEGEL ONLINE

"Das mooresche Gesetz ist am Ende", sagt Thilo Maurer. Er erforscht Halbleitertechnologie für IBM. "Es gibt physikalische Grenzen, an denen wir nicht rütteln können." Auch das Fachmagazin "Nature" warnte im Februar  von dem nahen Ende des Schrumpfprinzips.

Der aktuelle Intel-Chef Brian Krzanich verkündete schon letztes Jahr , dass sich die Entwicklungsdauer von einer Generation von Intel-Mikroprozessoren zur nächsten auf zweieinhalb Jahre verlängern werde. Der von Moore definierte Zeitraum von zwei Jahren war nicht mehr haltbar - auch wenn Krzanich rasch betonte, es könne sich auch nur um eine temporäre Entwicklungsdelle handeln. Das aber erscheint zunehmend unwahrscheinlich.

Kleiner als ein paar Atome geht nicht - und rechnet sich nicht

Die Chipindustrie denkt schon längst in unvorstellbar kleinen Größen. Sie rechnet in Nanometern, also Millionstel Millimetern. Mit dem bloßen Auge kann man solche Strukturbreiten längst nicht mehr erkennen, ein Haar wirkt im Vergleich dick wie ein Baumstamm. Auf einen modernen Prozessor mit wenigen Quadratmillimetern Größe lassen sich heute mehrere Milliarden Transistoren quetschen. Intels 4004-Prozessor von 1971 fasste nur 2300 Transistoren.

Produktion des IBM 4300-Prozessors im Jahr 1979

Produktion des IBM 4300-Prozessors im Jahr 1979

Foto: Corbis

Die Leiterbahnen von heute sind nur noch ein paar Atome breit. Bei solchen winzigen Größen angelangt, kommen die Gesetze der Quantenmechanik ins Spiel, sagt IBM-Forscher Maurer. Sie bringen das Teilchenverhalten durcheinander. "Die aktuelle Siliziumtechnologie schafft es voraussichtlich nur noch, bis sieben oder fünf Nanometer zu kommen", schätzt er. Dann ist Schluss mit der Miniaturisierung.

Die letzten physikalisch möglichen Schrumpfprozesse seien außerdem "mit erheblich höherem Entwicklungsaufwand" verbunden. Je weiter man die Chip-Architektur noch verkleinern will, desto kostspieliger wird es.

Moore's Law bestand auch fort, weil die Branche immer bereit war, das für den Fortschritt nötige Geld zu investieren. Manche Hersteller geben nun schon vor der Fünf-Nanometer-Grenze auf. Toshiba etwa hat 2015 angekündigt , dass es seine weit verbreiteten sogenannten Nand-Flash-Speicher nicht mehr weiter schrumpfen lassen will. Auf unter 15 Nanometer kommen zu wollen, ergebe keinen Sinn.

Moderne Chipfabrik in Südkorea

Moderne Chipfabrik in Südkorea

Foto: © POOL New / Reuters/ REUTERS

"Mehr als Moore", lautet der neue Leitsatz

Dass die bisher praktizierte Verdichtung von Transistoren auf einem Chip, wie Moore sie beschreibt, an ihre Grenzen stößt, bedeutet aber kein Ende der Chipentwicklung. Die Branche forscht unter dem Motto "More than Moore" an neuen Ideen.

"Die Diskussion um Moore's Law sollte berücksichtigen, dass es mehr gibt als Miniaturisierung", heißt es etwa von Chiphersteller Infineon. "Die technischen Möglichkeiten, Halbleiter kleiner, kostengünstiger und gleichzeitig funktionsfähiger zu gestalten, sind noch lange nicht ausgereizt."

Viele Hersteller setzen zum Beispiel darauf, ihre Prozessoren zu spezialisieren und mehr Leistung zu erreichen, indem sie verschiedene Spezial-Chips in ein System integrieren. Sie können in ihrem Aufgabenbereich höhere Leistungen erzielen als allgemein ausgerichtete Prozessoren.

Chips wachsen jetzt in die Höhe

Wenn es nicht mehr kleiner geht, liegt außerdem nahe, die bestehenden Flächen besser zu nutzen. Chiphersteller entwickeln deshalb mit Hochdruck neuen Aufbau- und Verbindungstechniken - zum Beispiel das vertikale Stapeln oder das horizontale Verteilen in einem gemeinsamen Gehäuse.

Toshiba mag die Entwicklung seiner Nand-Flash-Bausteine eingestellt haben - das gilt aber nur für die 2D-Variante, sagt Axel Störmann von Toshiba. Stattdessen fokussiert man sich auf die Entwicklung von 3D-Varianten. So sei noch mal deutlich mehr Leistung möglich. Moores Gesetz muss also doch noch nicht ganz abgeschrieben werden.

Man kann sich den Bau in 3D etwa so vorstellen wie bei einer Stadt, die immer dichter besiedelt worden ist, sagt Störmann, der sich bei Toshiba insbesondere mit Flash-Speichern beschäftigt. Irgendwann sind alle Bauflächen ausgenutzt. Also wächst die Nutzfläche in die Höhe weiter. Es entstehen Hochhäuser und Wolkenkratzer.

So ähnlich ist es auch beim 3D-Nand-Flash. Aktuell stapelt Toshiba 48 Lagen, im nächsten Schritt sollen es schon 64 sein, sagt Störmann. "Wir müssen schauen, wie weit wir das bei der Fertigung treiben können. Ich schätze, dass über hundert Lagen möglich sind, aber nicht viel mehr."

Das menschliche Gehirn als Vorbild

Die Grenzen von Moore's Law sind auch der Anstoß, radikale Ansätze auszuprobieren und Selbstverständlichkeiten der Branche infrage zu stellen: Zum einen wird der Grundbaustein der Halbleitertechnologie, das Silizium, auf den Prüfstand gestellt. Das Leibniz-Institut für innovative Mikroelektronik etwa untersucht, ob sich nicht Germanium oder Graphen besser für Chips eignen könnten.

Bei IBM forschen Maurer und Kollegen außerdem im SyNAPSE-Projekt  mit neuromorphen Systemen weiter. Solche Systeme orientieren sich an den Strukturen des Nervensystems von Menschen. Die Architektur von Chips wird grundlegend verändert mit dem menschlichen Gehirn als Vorbild. Das soll mehr Leistung bringen und Strom sparen - die neuen Chips bräuchten deutlich weniger Energie als bisherige Chips, verspricht IBM.

"Wir können so eine ganz neue Art der Datenverarbeitung etablieren", sagt Maurer. Dass das ein ziemlich hochgestecktes Ziel ist, weiß er. Das Ende von Moore sei aber eben nicht das Ende des Fortschritts.

Halbleiterbauelemente: Die Rechenknechte des IT-Zeitalters

left Transistoren können elektrische Signale verstärken (wichtig beim Einsatz in Radios) oder als nicht-mechanische Schalter wirken. Als Schalter können Transistoren die beiden grundlegenden Zustände des Binärsystems darstellen: Strom oder kein Strom, 1 oder 0 – die Basis der Informationstechnologie.