Freitag, 19. April 2024

Archiv

Open Access
Warum Elsevier das "Forscher-Facebook'" Researchgate verklagt

Seit knapp zehn Jahren gibt es ein soziales Netzwerk für Wissenschaftler: Auf Researchgate werden zum Beispiel Fachartikel oder Forschungsdaten geteilt. Doch das ist nicht immer legal. Denn oft haben Verlage die Rechte für Texte inne. Der Wissenschaftsverlag Elsevier klagt daher nun gegen Researchgate.

Von Haluka Maier-Borst | 02.11.2017
    Eine Studentin der Universität Bayreuth (Bayern) sitzen am 21.01.2016 mit ihrem Notebook in der Zentralbibliothek der Universität (Aufnahme mit Zoomeffekt).
    Zentralbibliothek der Universität Bayreuth: Nur wer in angesehenen Journalen publiziert, hat eine Chance auf Fördergelder. (dpa / Nicoals Armer)
    Die Grundidee von Open Access kann Christina Riesenweber schnell erklären:
    "Also Open Access bedeutet, dass Forschungsergebnisse, also vor allem Zeitschriftenartikel in wissenschaftlichen Journals für die Leserinnen und Leser kostenfrei verfügbar sind."
    Doch was die Open-Access-Beauftragte der Freien Universität Berlin beschreibt, ist nicht die Regel. Zwar würde die Wissenschaft von einem freien Zugang zu Artikeln und Daten profitieren. Forscher könnten sich einfacher und schneller austauschen. Doch die Verlage, in denen viele der Artikel erscheinen, sperren sich dagegen.
    Wenn man mit Vertretern der Open-Access-Community spricht, fällt vor allem ein Name immer wieder: Elsevier. Elsevier gehört zu den größten Wissenschaftsverlagen. Er hat einen Jahresumsatz von 2,3 Milliarden Dollar und eine Gewinnmarge von 36 Prozent. Die kommt unter anderem zustande, weil Elsevier und andere Verlage auf zwei Arten Geld verdienen: Entweder bezahlen die Wissenschaftler, die eine Studie in einem Journal veröffentlichen, dafür, und anschließend ist diese Studie für jeden frei zugänglich. Oder die Publikation ist für den Forscher kostenfrei und die Leser müssen bezahlen - entweder für den einzelnen Artikel oder über Abonnements, die Forschungseinrichtungen und Biobliotheken mit den Verlagen abschließen. [*]
    Forschungseinrichtungen wollen per Flatrate Zugang zu allen Journalen
    Doch es regt sich Widerstand. Über 150 deutsche Forschungseinrichtungen haben ihre Abos für Elsevier-Journale aufgekündigt und wollen neu verhandeln. Sie wollen einen Deal. Konkret geht es um eine Flatrate, mit der sie Zugang zu allen Journalen des Verlages bekommen. Doch bislang zeige sich Elsevier wenig kompromissbereit, erklärt Benedikt Fecher vom Humboldt-Institut für Internet und Gesellschaft:
    "Die Verlage haben natürlich kein Interesse daran, dass sich etwas ändert. Wenn man sich die Deal-Verhandlungen anschaut und wie Elsevier da blockt, da sieht man kein Interesse daran, dass sich das System ändert. Null."
    Elsevier wehrt sich gegen diese Vorwürfe. Man habe nichts gegen Open Access. Im Gegenteil, sagt Pressesprecher Hannfried von Hindenburg: "Elsevier ist weltweit der zweitgrößte Open Access Verlag." Ein anderer Trend ist dem Verlagsriesen aber durchaus ein Dorn im Auge. Zusammen mit anderen Verlagen hat Elsevier die Internetplattform Researchgate verklagt. Das sogenannte "Facebook für Forscher" bietet Wissenschaftlern die Möglichkeit an, ein Profil anzulegen und dort ihre Artikel aus Fachjournalen zu teilen. Das Problem: Das ist eigentlich oft nicht erlaubt, wie Christina Riesenweber erklärt. Denn das Recht zur Verbreitung haben meist die Verlage.[**]
    "Viele Wissenschaftler veröffentlichen ihre Forschungspublikationen über Researchgate und denken 'Ich darf das schon', wenn sie de facto aber die Rechte nicht haben. Das heißt, wir bewegen uns da in einer legalen Grauzone. Und diese Klage von Elsevier hat sicherlich eine juristische Grundlage. Also das ist handfest."
    Was aber kann die Wissenschaft tun, wenn Verlage sich so heftig gegen die Öffnung der Forschung wehren? Zunächst einmal muss sie andere Anreize schaffen. Denn statt zu schauen, ob und in welchem Umfang ein Fachmagazin seine Artikel frei verfügbar macht, achten Forscher derzeit vor allem darauf, wie oft ein Journal zitiert wird. Also wie hoch sein Impact ist. Denn je höher der so genannte Impact Factor, umso besser für die Reputation des Autors, so Christina Riesenweber:
    "Dadurch dass die hohen Impact Journals alle bei den Verlagen sind und die Wissenschaftler in diese hohen Impact Journals reinwollen, perpetuiert sich diese Abhängigkeit von dem Verlag. Und dadurch hat man die Situation, dass man eben große Verhandlungen mit den Verlagen führt, anstatt das man eine eigene Infrastruktur aufbaut."
    "Ältere Wissenschaftler sind eher bereit, Daten zu teilen"
    Besonders problematisch ist, dass es gerade die Nachwuchsforscher sind, die sich weniger für Open Access und offene Daten einsetzen, wie Benedikt Fecher in einer groß angelegten Umfrage zeigen konnte.
    "Also in unserer Studie haben wir herausgefunden, dass gerade ältere Wissenschaftler eher bereit sind, Daten zu teilen. Und ich habe dazu jetzt keine Erklärung abgefragt, aber meine Interpretation ist, dass Wissenschaftler, die eine Festanstellung haben, die haben eine sicherere Position als junge Wissenschaftler, die sich um solche Positionen noch streiten müssen, kämpfen müssen."
    Denn nur wer in angesehenen Journalen publiziert, hat eine Chance auf Fördergelder und langfristig eine Festanstellung. Die Open-Access-Bewegung muss darum wohl vor allem von anderen getragen werden. Also von Forschern mit sicherem Posten, die es sich leisten können in einem offenen, aber weniger prestigeträchtigen Journal zu publizieren. Oder von jenen Wissenschaftlern, die als Gutachter oder Herausgeber meist kostenlos für die Verlage tätig sind, sagt Benedikt Fecher:
    "Man könnte denen Anreize bieten, finanzieller Art, auf ein öffentliches Journal umzusteigen. Das ist zum Beispiel passiert in dem Fall Lingua und Glossa. Das war eine Zeitschrift, die vorher bei Elsevier war, und wo das komplette Editorial Board in ein öffentliches Journal übergegangen ist."
    Doch selbst die größten Open-Access-Verfechter wollen keine Welt ohne Verlage. Verwaltung, Layout, Verbreitung – all das sind Aufgaben, die Verlage übernehmen und in denen sie gut sind. Und dafür sollen sie auch weiterhin bezahlt werden. Das Ziel ist aber eine neue, vielleicht gerechtere Rollenverteilung, wie Christina Riesenweber erklärt:
    "Bislang war das Geschäftsmodell der Verlage aus den wissenschaftlichen Publikationen eine Ware zu machen, die sie dann verkaufen. Und dieses Modell stellen wir infrage. Die Alternative dazu, die auch immer mehr Verlage annehmen, ist, dass sich die Verlage als Dienstleister begreifen, die einen Service verkaufen, dessen Produkt dann kostenfrei verfügbar ist. Und wenn wir das Ganze so denken, dann ist das Ganze eigentlich relativ rund."

    [*] Anmerkung der Redaktion: Die erste Version dieses Absatzes hat die Kritik an Elsevier einseitig dargestellt und die Geschäftsmodelle des Verlags nicht korrekt beschrieben. Das haben wir im Text geändert, die Audiofassung des Beitrages wurde depubliziert.
    [**]: Der Beitrag wurde an dieser Stelle um eine Stellungnahme von Elsevier ergänzt, die in der ursprünglichen Fassung nicht enthalten war.