Volksabstimmung über "No Billag":Zweite Chance für die Öffentlich-Rechtlichen in der Schweiz

Schweizer entscheiden über Rundfunkbeitrag

Beim SRF stehen tief greifende Reformen bevor. Ein Sparpaket soll auch die mehr als 6000 Angestellten des Unternehmens betreffen.

(Foto: dpa)

Eine große Mehrheit der Wähler hat gegen eine Abschaffung der Rundfunkabgaben in der Schweiz gestimmt. Trotzdem kann beim SRF nicht viel bleiben, wie es war.

Von Charlotte Theile, Bern

Es hätte der Tag der rechten Revolution werden sollen, der Tag, der die Schweiz und ihre Medien für immer verändert. Schon kurz nach Schließung der Abstimmungslokale um 12 Uhr mittags stand allerdings fest: Das Gegenteil ist passiert. Die Schweizer haben eine Initiative, die sie von der Rundfunkgebühr von immerhin 400 Euro jährlich befreien sollte, wuchtig abgelehnt. 71,6 Prozent stimmten laut Endergebnis gegen die Vorlage namens NoBillag.

Für das Schweizer Radio und Fernsehen (SRF), das sich in den vergangenen Monaten heftiger Kritik ausgesetzt sah, ist dieses Ergebnis mehr als nur ein Aufatmen. Ohne die Gebühren hätte das Medienunternehmen abgewickelt werden müssen. Die Schweizer stehen also hinter ihrem öffentlich-rechtlichen Rundfunk - und sind für dessen manchmal biedere, stets seriöse Berichterstattung auch bereit, einiges Geld zu bezahlen.

In der Hauptstadt Bern kamen am Sonntag Befürworter und Gegner zusammen - beide Seiten waren zunächst der Meinung, gewonnen zu haben. Olivier Kessler, Kopf der NoBillag-Initiative und bekannteste Figur der libertären, rechtspopulistischen Bewegung, die die Schweiz in den vergangenen Wochen auf Trab gehalten hatte, fand, sein Team habe immerhin ein Tabu gebrochen. Die "Zwangsgebühren für Staatsradio und Staatsfernsehen" würden nun in ganz Europa infrage gestellt, der Schweizer Vorstoß habe international eine Vorbildfunktion gehabt. Tatsächlich waren zahlreiche Journalisten aus Deutschland und anderen Nachbarländern angereist. Doch sie nahmen eine andere Botschaft mit nach Hause.

Die Umfragen der vergangenen Wochen hatten nur eine knappe Niederlage für NoBillag vorhergesagt. Für viele Schweizer Zeitungen aber war das klare Nein eine Überraschung, sogar eine "Klatsche" für die Gebührengegner, nicht wenige fanden, das SRF gehe stärker aus der Abstimmung hervor.

Das klare "Nein" kann man als Klatsche für die Gebührengegner interpretieren

Diego Yanez, früherer SRF-Chefredakteur, sieht nicht nur seinen ehemaligen Arbeitgeber gestärkt. Er glaubt: "Die Bewegung der Unzufriedenheit, die wir in den meisten westlichen Ländern sehen, hat heute einen Dämpfer bekommen." Ähnlich grundsätzlich sah das Grünenpolitikerin Regula Rytz: "Die Angriffe auf öffentliche Institutionen, die wir in der Schweiz seit Jahrzehnten erleben, bekommen keine Mehrheiten mehr." Dennoch fordert Rytz, was in den vergangenen Monaten viele forderten: Das Schweizer Radio und Fernsehen müsse bessere Online-Angebote machen, jünger werden, informativer.

Am Nachmittag kündigten der SRF-Präsident Jean-Michel Cina und Direktor Gilles Marchand tief greifende Reformen an. Neben einem Sparpaket, das auch die mehr als 6000 Angestellten des Unternehmens betreffen wird, werde man die Hälfte der Gebühreneinnahmen in Information investieren. Schweizer Spielfilme, Serien und Dokumentarfilme sollen gestärkt und Spielfilme nicht mehr durch Werbung unterbrochen werden. Auch an der Onlinestrategie des SRF soll sich einiges ändern: Künftig werde man darauf verzichten, reine Textbeiträge ins Netz zu stellen.

Damit reagiert der Rundfunk auf die Kritik der privaten Verleger, die solche Beiträge als illegitime Konkurrenz empfinden. Ein weiteres Friedensangebot an die Konkurrenz: Die Archivinhalte des SRF sollen künftig privaten Journalisten zur Verfügung stehen. Es handle sich um einen "Wendepunkt in der Geschichte" des Rundfunks, hieß von den Sendern. Verstummt mit diesen Maßnahmen die Kritik am "Service public", wie das öffentlich-rechtliche Angebot in der Schweiz heißt? Unwahrscheinlich. Die rechtspopulistische Schweizerische Volkspartei (SVP), die das Begehren als einzige große Partei unterstützt hatte, wird die Diskussion weiter am Leben halten.

Die Medienhäuser sehen sich bedroht durch sinkende Werbeeinnahmen und Glaubwürdigkeit

Einer der Vorschläge der Rechtskonservativen, die Radio und Fernsehen als zu links und zu staatsnah kritisieren, lautet auf eine Halbierung der Gebühren.

Auch auf der anderen Seite des politischen Spektrums werden Änderungen diskutiert. So kursiert bei den Sozialdemokraten die Forderung, die Rundfunkgebühr in Zukunft einkommensabhängig zu gestalten. Ein anderer Vorschlag der Sozialdemokraten: es solle öffentlich-rechtliche Printmedien geben.

Der Schweizer Medienmarkt, in dem SVP-Stratege Christoph Blocher zahlreiche nationale und lokale Zeitungen hinter sich weiß und damit großen Einfluss auf die Meinungsbildung nimmt, wird sich weiter wandeln. Die Medienhäuser sehen sich wie in vielen anderen Ländern vor große Herausforderungen gestellt, durch Gratisangebote, sinkende Werbeeinnahmen und Debatten über Glaubwürdigkeit und Ausgewogenheit.

In der Schweiz haben diese Fragen einen besonders hohen Stellenwert, schließlich greifen die Bürger in den Abstimmungen direkt in politische Entscheidungen und Verfassungsartikel ein. Und während Gebührengegner Olivier Kessler vor seinen Anhängern verkündete, es gebe "kein Recht auf Information", sahen andere die Versorgung der Bevölkerung als zentralen Pfeiler der direkten Demokratie.

Die Jugendorganisation Operation Libero hatte dieses Argument in den vergangenen Monaten medienwirksam vertreten und die NoBillag-Initiative als "Anschlag auf die Demokratie" gebrandmarkt. Operation Libero versteht sich als Antithese zur rechten SVP und trommelt in pinkfarbenen Kampagnen für "Weltoffenheit" und gesellschaftsliberale Werte. Den Sieg am Sonntag feierten sie mit Konfetti und pinken Socken. Schon am Nachmittag wurde die Stimmung wieder ernst. Der Schweiz stehen in den nächsten Jahren noch einige Grundsatzabstimmungen bevor.

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