Im vergangenen Jahr hat die Mehrheit der 28 EU-Regierungen gegen den Widerstand Deutschlands und einer Handvoll anderer europäischer Staaten ein Abkommen über die Herausgabe elektronischer Beweismittel beschlossen, die sogenannte E-Evidence-Verordnung. Ob und in welcher Form es Gesetz wird, liegt jetzt in der Hand des Europäischen Parlaments. Die Abgeordneten haben das letzte Wort darüber.

Es heißt, vor der Europawahl im Mai würden sie keine Entscheidung treffen. Doch die Brüsseler Kommission und die Mehrheit der EU-Regierungen preschen bereits vor. Was unterhalb des öffentlichen Radars blieb: In der vergangenen Woche saßen sie in Brüssel zusammen und berieten über eine weitere E-Evidence-Verordnung, dieses Mal zwischen der Europäischen Union und den Vereinigten Staaten von Amerika.

Es kursieren schon erste Papiere. Zum Beispiel ein Argumentationspapier, warum ein solches Abkommen aus europäischer Sicht auch mit Washington unbedingt notwendig sei, sowie der Entwurf eines Beschlusses, in dem der Europäische Rat, also das Gremium aller EU-Regierungschefs, die Kommission beauftragt, unverzüglich Verhandlungen mit den USA aufzunehmen.

Es kann also plötzlich alles ganz schnell gehen. Es heißt, spätestens auf dem für Juni geplanten Treffen mit Regierungsvertretern aus Washington würde Brüssel gerne Tatsachen schaffen und offizielle Verhandlungen aufnehmen.

Die Einwände gegen eine E-Evidence-Verordnung mit den Vereinigten Staaten sind dieselben, wie sie auch gegenüber dem Abkommen für die Staaten der Europäischen Union gelten. Wird dieses Abkommen in der jetzt vorliegenden Form Gesetz, droht ein weitreichender Eingriff in die Privatsphäre der Bürger. Dann nämlich dürften sich ausländische Ermittler auf der Suche nach Beweisen für eine schwere Straftat direkt an die in Deutschland tätigen Internet- und Telefonfirmen wenden und die Herausgabe sämtlicher Kundendaten eines Verdächtigen verlangen.

Kundendaten – das wären so gut wie alle Informationen, die ein Mensch ins Internet stellt oder sonst irgendwie elektronisch versendet oder speichert. Also Bilder, Videos und SMS, Browserbewegungen und E-Mails.

Die Konsequenz: Ermittler aus einem anderen EU-Staat oder aus den Vereinigten Staaten dürften alle Zugangs-, Verkehrs- und Inhaltsdaten anfordern, wie etwa PIN- und IP-Nummern sowie alle Informationen, wann und wo der Verdächtige einen Internetdienst in Anspruch genommen hat und was in seinen SMS-Nachrichten oder E-Mails steht.

Justizministerin hat große Einwände

Besonders bedenklich und ein Grund, warum auch Bundesjustizministerin Katarina Barley große Einwände gegen den gegenwärtigen Entwurf hegt: Zwischen den ausländischen Strafermittlern und den privaten Providern säßen hierzulande keine staatlichen Wächter, keine Richter oder Aufsichtsbehörden, die kontrollieren würden, ob das Auskunftsersuchen im Einklang mit dem deutschen Datenschutz steht. Die Prüfung läge allein in den Händen der privaten Firmen und ihrer Rechtsabteilungen.

Natürlich gibt es triftige Gründe für ein E-Evidence-Abkommen. Und es wird auch höchste Zeit, die Herausgabe elektronischer Beweismittel zu erleichtern und zu beschleunigen. Denn Verbrecher hinterlassen heute immer öfter elektronische Spuren, nutzen sie doch für ihre Planungen und Verabredungen vorzugsweise Chats, WhatsApps, SMS, und E-Mail-Dienste.

In einem Memorandum der EU-Kommission vom 5. Februar dieses Jahres begründet Brüssel die Notwendigkeit eines Vertrags mit den USA unter anderem damit, dass inzwischen mehr als die Hälfte aller Strafermittlungen auf grenzüberschreitende elektronische Beweismittel angewiesen sind und die meisten Internetprovider in den Vereinigten Staaten sitzen.