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Interview mit Fraunhofer-Experte Peter Liggesmeyer Wie Deutschland bei Künstlicher Intelligenz sein Ressourcenproblem lösen kann

Digitale Bildung: "Wir reden im Moment ganz häufig über digitale Vermittlung, aber nicht über die digitalen Lerninhalte. Und das halte ich für einen Fehler"

Digitale Bildung: "Wir reden im Moment ganz häufig über digitale Vermittlung, aber nicht über die digitalen Lerninhalte. Und das halte ich für einen Fehler"

Foto: Andrey Armyagov/ddp images

Peter Liggesmeyer ist Leiter des Fraunhofer-Instituts für Experimentelles Software Engineering IESE in Kaiserslautern. Mit manager-magazin.de sprach der langjährige Präsident der deutschen Gesellschaft für Informatik über Deutschlands Ressourcenprobleme in Sachen Künstliche Intelligenz - und wie sie gelöst werden können.

manager-magazin.de: Herr Liggesmeyer, wenn aktuell in Deutschland von KI die Rede ist, geht es meistens darum, wie weit Deutschland von China und den USA bereits abgehängt ist und ob Deutschland überhaupt noch Chancen hat aufzuholen. Wie sehen sie als Experte der angewandten Forschung die Diskussion? Ist Deutschland tatsächlich so schlecht aufgestellt?

Peter Liggesmeyer: Wissenschaftlich sicher nicht. Da haben wir aktuell eine ganz gute Position inne. Aber angesichts der Tatsache, dass China mit sehr viel Geld bestimmte Themen fördert und in den USA die Gründerkultur ziemlich gut zu funktionieren scheint, ist es vielleicht gar nicht so ungeschickt, sich mit denjenigen zu vergleichen, die andernorts ein bisschen aus der Masse herausragen.

Also alles Paletti? Hätte Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier sich seine ganze KI-Strategie sparen können?

Natürlich nicht. Aber ich glaube, man muss sich schon über die Unterschiede zwischen den Ländern im Klaren sein. Die IT in den USA ist im Wesentlichen sogenannte Primär-IT. Das heißt, sie haben dort Unternehmen wie Microsoft, Hewlett-Packard oder Oracle, deren Produkt hauptsächlich Software ist. Von dieser Sorte gibt es in Deutschland eigentlich nur ein einziges großes Unternehmen, nämlich SAP . Die anderen großen deutschen Firmen bauen Produkte, in denen Software enthalten ist ...

und die dort auch eine beträchtliche Rolle spielt.

Ja, aber die Unternehmen verkaufen keine Software an sich, sondern ein Auto mit Software, eine Maschinensteuerung, in der Software drin ist, oder einen Roboter, der softwaregesteuert ist. Und dafür braucht man etwas andere Kompetenzen: Insbesondere Engineering-Kompetenz und die Fähigkeit, Software und Engineering zusammenzubringen. Und das sollte meiner Ansicht nach auch Konsequenzen dahingehend haben, worauf wir unsere Forschungsschwerpunkte in der KI legen.

Das heißt konkret?

Für unsere Volkswirtschaft ist es wichtig, dass KI bestimmte Aufgaben erfüllen kann. Beispielsweise autonome Fertigungsstraßen, in denen nicht die Gefahr besteht, dass ein Schwerlastroboter "versehentlich" einen Menschen umfährt. Das sind sicherheitskritische Systeme, die unglaublich gut, sicher und verlässlich funktionieren müssen. Da gelten andere Anforderungen als bei der Spracherkennung, wo man sich, wenn der Computer einen beim ersten Versuch nicht versteht, vielleicht ärgert, aber es danach einfach noch einmal versuchen kann. Das sind Kompetenzen, mit denen wir uns in Deutschland durchaus profilieren können.

Und wie sieht es hierzulande mit der Versorgung mit solchen Grenzgängern aus, die KI-Kenntnisse und Engineering vereinen?

Nicht gut. Wir erzeugen generell in der Ausbildung für den IT-Bereich zu wenige Absolventen. Und diejenigen, die wir hervorbringen, sind dann oft auch nicht ideal qualifiziert, sondern haben Schwierigkeiten, den technischen Innovationen zu folgen.

Das ist ein ziemlich hartes Urteil. Wie erklären sie sich das?

Es wird ihnen im Studium nicht beigebracht. Dabei ist es nicht so, dass sich Universitäten und Fachhochschulen nicht bemühen würden, diese neuen Belange in die Studiengänge einzubauen. Aber man kann die Studiengänge ja nicht endlos aufblasen. Also muss man sich überlegen, was man dafür herausnimmt. Und das ist angesichts der Autarkie von Professoren, die ihre eigenen Fächer mitunter für ganz besonders wichtig halten, nicht ganz trivial. Außerdem wird das Thema IT meines Erachtens in Deutschland dem Nachwuchs viel zu spät nahegebracht.

"Informatik ist eine Kulturtechnik wie Rechnen, Schreiben, Lesen"

Wann sollte man denn Ihrer Ansicht nach damit anfangen?

Möglichst früh. Und es ist ja nicht nur so, dass wir in Sachen Informatik hierzulande echte Spätstarter sind. Es wird meines Erachtens auch an dem eigentlichen Sachverhalt vorbeidiskutiert. Wenn wir über Bildung in Schulen reden, über frühe Bildung in Digitalisierung, dann geht es allzu oft um Breitbandanbindung, um Smartboards in Klassenzimmern, um Ausstattung mit Hardware. Das hat aber nicht zwingend etwas mit Qualifikation in digitaler Hinsicht zu tun. Wir reden im Moment ganz häufig über digitale Vermittlung, aber nicht über die digitalen Lerninhalte. Und das halte ich für einen substanziellen Fehler.

Und wie lässt sich Ihrer Ansicht nach dieses Nachwuchsproblem lösen?

Indem man viel früher mit der digitalen Bildung ansetzt. Auch wenn diese Sichtweise noch nicht weit verbreitet ist: Informatik ist meiner Ansicht nach eine Kulturtechnik wie Rechnen, Schreiben oder Lesen. Daher sollte man am besten schon im Kindergarten damit anfangen, die Kinder in einfacher, kindgerechter und spielerischer Form dort heranzuführen. Dann würde sich der Rest von alleine erledigen. Die Kinder würden dann während ihrer Schulzeit natürlichen Zugang dazu gewinnen.

Davon sind wir aber aktuell noch weit entfernt.

Ja, mein Sohn hatte in der 8. Klasse zum ersten Mal die Möglichkeit, Informatik zu wählen, in Konkurrenz zu Spanisch, Französisch und Latein. Aber wie soll jemand, der in der Mittelstufe von einem mittelmäßig qualifizierten Informatiklehrer in geringem Umfang in Informatik eingeführt wird, sich dazu eine profunde Meinung bilden?

Und diese profunde Einschätzung ist Ihrer Ansicht nach nötig, um genügend Nachwuchsinformatiker zu produzieren, um nicht weltweit den Anschluss zu verlieren?

Ja. In Deutschland gibt es eine schiefe Wahrnehmung, dass Informatiker in abgedunkelten Räumen blass vor einem Computermonitor sitzen und wenig soziale Interaktion haben. Dabei ist das Gegenteil der Fall. Es geht viel um Kommunikation und um Arbeiten in Teams. Aber dieses Zerrbild führt dazu, dass sich zu wenige und dann auch noch häufig die Falschen für einen Informatikstudiengang entscheiden. Die Folge sind Abbruchquoten von teilweise 50 Prozent.

"Informatik hat sehr viel mit Kommunikation, Engineering und Mathematik zu tun. Wir müssen ein Zerrbild geraderücken"

Die Falschen? Wer wären Ihrer Ansicht nach denn die Richtigen?

Viele Jungs, die zu Hause gern Computerspiele spielen, denken sich: Mir würde das Spaß machen, so etwas zu schreiben, und studieren deshalb Informatik. Und brechen oft ab, wenn sie feststellen, dass das Ganze doch sehr viel mit Kommunikation, mit Engineering und Mathematik zu tun hat. Die Mädchen haben da oft ein ähnliches Bild, und fangen deshalb erst überhaupt nicht an, Informatik zu studieren. Das heißt, wir bekommen das Klientel, dem die Inhalte potenziell ganz gut liegen könnten, wenn sie nur wüssten, was der Gegenstand des Studiums ist, gar nicht zu sehen. Wenn wir dieses Zerrbild, das in der Öffentlichkeit vom Beruf eines Informatikers herrscht, geraderücken könnten, könnten wir meiner Ansicht nach gleichzeitig die Kopfzahl steigern und die Abbrecherquote senken.

Damit wäre dann aber immer noch nicht das Ausbildungsproblem gelöst. Schließlich dürfte ein Großteil der neu ausgebildeten Informatiker angesichts der aktuell rosigen Arbeitsmarktlage und der dort lockenden guten Gehälter wohl eher in die Wirtschaft gehen. Dabei brauchen wir doch gerade gut ausgebildete Informatiklehrer, wenn man Ihrer Argumentation folgt.

Das stimmt. In dem Moment, in dem sie einen Markt haben, in dem sie mit einem Informatikabschluss zwischen vielen, gut bezahlten Stellen wählen können, fragen sich viele natürlich: Warum sollte ich Informatiklehrer werden? Das erfordert schon eine gewisse Portion Altruismus. Aber es wird immer auch Menschen geben, bei denen die pädagogische Neigung überwiegt. Aktuell gibt es sie nicht in ausreichender Zahl. Die Frage ist: Wie bricht man aus diesem Teufelskreis aus? Irgendwo müssen wir beginnen.