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«Ich habe nur gezeigt, dass es die Bombe gibt»

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Eine «Magazin»-Geschichte sorgte 2016 für internationales Aufsehen und heftige Debatten. Hannes Grassegger und Mikael Krogerus hatten über die damals kaum bekannte Datenanalyse-Firma Cambridge Analytica recherchiert – mit beunruhigenden Erkenntnissen zu den Möglichkeiten von Big Data. Wegen des fragwürdigen Umgangs mit Daten von 50 Millionen Facebook-Nutzern steht Cambridge Analytica nun erneut im Fokus des öffentlichen Interesses. Es geht um die Frage, was mit unseren Daten alles gemacht werden kann. Darum veröffentlicht Redaktion Tamedia nochmals den «Magazin»-Artikel «Ich habe nur gezeigt, dass es die Bombe gibt» von Hannes Grassegger und Mikael Krogerus in einer aktualisierten Version vom Januar 2017.

«Am 9. November 2016 gegen 8.30 Uhr erwacht Michal Kosinski in Zürich im Hotel Sunnehus. Der 34-jährige Forscher ist für einen Vortrag am Risikocenter der ETH angereist, zu einer Tagung über die Gefahren von Big Data und des sogenannten digitalen Umsturzes. Solche Vorträge hält Kosinski ständig, überall auf der Welt. Er ist ein führender Experte für Psychometrik, einen datengetriebenen Nebenzweig der Psychologie. Als er an diesem Morgen den Fernseher einschaltet, sieht er, dass die Bombe geplatzt ist: Entgegen den Hochrechnungen aller führenden Statistiker ist Donald J. Trump gewählt worden.

Lange betrachtet Kosinski Trumps Jubelfeier und die Wahlergebnisse der einzelnen Bundesstaaten. Er ahnt, dass das Ergebnis etwas mit seiner Forschung zu tun haben könnte. Dann atmet er tief durch und schaltet den Fernseher aus.

Am gleichen Tag versendet eine bis dahin kaum bekannte britische Firma mit Sitz in London eine Pressemitteilung: «Wir sind begeistert, dass unser revolutionärer Ansatz der datengetriebenen Kommunikation einen derart grundlegenden Beitrag zum Sieg für Donald Trump leistet», wird ein Alexander James Ashburner Nix zitiert. Nix ist Brite, 41 Jahre alt und CEO von Cambridge Analytica. Er tritt stets im Massanzug und mit Designerbrille auf, die leicht gewellten blonden Haare nach hinten gekämmt.

Der nachdenkliche Kosinski, der gestriegelte Nix, der breit grinsende Trump – einer hat den digitalen Umsturz ermöglicht, einer hat ihn vollführt, einer davon profitiert.

Wie gefährlich ist Big Data?

Jeder, der nicht die letzten fünf Jahre auf dem Mond gelebt hat, kennt den Begriff «Big Data». Big Data bedeutet im Kern, dass alles, was wir treiben, ob im Netz oder ausserhalb, digitale Spuren hinterlässt. Jeder Einkauf mit der Karte, jede Google-Anfrage, jede Bewegung mit dem Handy in der Tasche, jeder «Like» wird gespeichert. Besonders jeder Like. Lange war nicht ganz klar, wozu diese Daten gut sein sollen – ausser dass uns online Blutdrucksenker angeboten werden, wenn wir grad «Blutdruck senken» gegoogelt haben.

Am 9. November wurde deutlich, dass vielleicht viel mehr möglich ist. Denn hinter Trumps Onlinewahlkampf und auch hinter der Leave.eu-Kampagne in der frühen Phase des Brexits steckt ein und dieselbe Big-Data-Firma: Cambridge Analytica mit ihrem CEO Alexander Nix.

Wer den Ausgang der Wahl verstehen will – und wie politische Kommunikation in Zukunft funktionieren könnte –, muss mit einem merkwürdigen Vorfall an der britischen Universität Cambridge im Jahr 2014 beginnen. Und zwar an Kosinskis Department für Psychometrik.

Das Problem aber war lange Zeit die Datenbeschaffung, denn zur Bestimmung musste man einen komplizierten, sehr persönlichen Fragebogen ausfüllen. Dann kam das Internet. Und Facebook.

Psychometrie, manchmal auch Psychografie genannt, ist der wissenschaftliche Versuch, die Persönlichkeit eines Menschen zu vermessen. In der modernen Psychologie ist dafür die sogenannte Ocean-Methode zum Standard geworden. Zwei Psychologen war in den 1980ern der Nachweis gelungen, dass jeder Charakterzug eines Menschen sich anhand von fünf Persönlichkeitsdimensionen messen lässt, den Big Five: Offenheit (Wie aufgeschlossen sind Sie gegenüber Neuem?), Gewissenhaftigkeit (Wie perfektionistisch sind Sie?), Extraversion (Wie gesellig sind Sie?), Verträglichkeit (Wie rücksichtsvoll und kooperativ sind Sie?) und Neurotizismus (Sind Sie leicht verletzlich?). Anhand dieser Dimensionen kann man relativ genau sagen, mit was für einem Menschen wir es zu tun haben, also welche Bedürfnisse und Ängste er hat, und aber auch, wie er sich tendenziell verhalten wird. Das Problem aber war lange Zeit die Datenbeschaffung, denn zur Bestimmung musste man einen komplizierten, sehr persönlichen Fragebogen ausfüllen. Dann kam das Internet. Und Facebook. Und Kosinski.

Für den Warschauer Studenten Michal Kosinski begann ein neues Leben, als er 2008 an der ehrwürdigen Cambridge University in England aufgenommen wurde: am Zentrum für Psychometrie, im Cavendish Laboratory, dem ersten Psychometrie-Labor überhaupt. Kosinski tat sich mit seinem Studienkollegen David Stillwell zusammen (der heute an der Judge Business School an der University of Cambridge unterrichtet), ein Jahr nachdem Stillwell eine kleine App für das damals noch überschaubare soziale Netzwerk Facebook entwickelt hatte.

Auf My-Personality, so hiess die Applikation, konnte man eine Handvoll psychologischer Fragen aus dem Ocean-Fragebogen ausfüllen («Lassen Sie sich bei Stress leicht aus der Ruhe bringen?» – «Neigen Sie dazu, andere zu kritisieren?»). Als Auswertung erhielt man sein «Persönlichkeitsprofil» – eigene Ocean-Werte –, und die Forscher bekamen die wertvollen persönlichen Daten. Statt, wie erwartet, ein paar Dutzend Studienfreunde hatten schnell Hunderte, Tausende, bald Millionen ihre innersten Überzeugungen verraten. Plötzlich verfügten die beiden Doktoranden über den grössten jemals erhobenen psychologischen Datensatz.

Das Verfahren, das Kosinski mit seinen Kollegen über die nächsten Jahre entwickelt, ist eigentlich recht einfach. Zuerst legt man Testpersonen einen Fragebogen vor. Das ist das Onlinequiz. Aus ihren Antworten kalkulieren die Psychologen die persönlichen Ocean-Werte der Befragten. Damit gleicht Kosinskis Team dann alle möglichen anderen Onlinedaten der Testpersonen ab: was sie auf Facebook gelikt, geshared oder gepostet haben, welches Geschlecht, Alter, welchen Wohnort sie angegeben haben. So bekommen die Forscher Zusammenhänge. Aus einfachen Onlineaktionen lassen sich verblüffend zuverlässige Schlüsse ziehen. Zum Beispiel sind Männer, die die Kosmetikmarke MAC liken, mit hoher Wahrscheinlichkeit schwul. Einer der besten Indikatoren für Heterosexualität ist das Liken von Wu-Tang Clan, einer New Yorker Hip-Hop-Gruppe. Lady-Gaga-Follower wiederum sind mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit extrovertiert. Wer Philosophie likt, ist eher introvertiert. Solche Information allein für sich genommen produzieren keine zuverlässigen Aussagen, aber wenn hunderte oder tausende solcher Datenpunkte kombiniert werden, sind die Ergebnisse erstaunlich präzise.

Kosinski und sein Team verfeinern die Modelle unablässig. 2012 erbringt Kosinski den Nachweis, dass man aus durchschnittlich 68 Facebook-Seiten-Likes eines Users vorhersagen kann, welche Hautfarbe er hat (95-prozentige Treffsicherheit), ob er homosexuell ist (88-prozentige Wahrscheinlichkeit), ob Demokrat oder Republikaner (85 Prozent). Aber es geht noch weiter: Intelligenz, Religionszugehörigkeit, Alkohol-, Zigaretten- und Drogenkonsum lassen sich berechnen. Sogar, ob die Eltern einer Person bis zu deren 21. Lebensjahr zusammengeblieben sind oder nicht, lässt sich anhand der Daten ablesen. Wie gut ein Modell ist, zeigt sich daran, wie gut es vorhersagen kann, wie eine Testperson bestimmte Fragen beantworten wird. Kosinski geht wie im Rausch immer weiter: Bald kann sein Modell anhand von zehn Facebooks-Likes eine Person besser einschätzen als ein durchschnittlicher Arbeitskollege. 70 Likes reichen, um die Menschenkenntnis eines Freundes zu überbieten, 150 um die der Eltern, mit 300 Likes kann die Maschine das Verhalten einer Person eindeutiger vorhersagen als deren Partner. Und mit noch mehr Likes lässt sich sogar übertreffen, was Menschen von sich selber zu wissen glauben. Am Tag, als Kosinski diese Erkenntnisse publiziert, erhält er zwei Anrufe. Eine Klageandrohung und ein Stellenangebot. Beide von Facebook.

Nur für Freunde sichtbar

Facebook hat inzwischen die Unterscheidung zwischen öffentlichem und privatem Posten eingeführt. Im «privaten» Modus können nur die eigenen Freunde sehen, was man likt. Aber das bleibt kein Hindernis für Datensammler: Während Kosinski stets das Einverständnis der Facebook-User erfragt, verlangen viele Onlinequiz heute den Zugang zu privaten Daten als Vorbedingung für Persönlichkeitstests.

Aber es geht nicht nur um die Likes auf Facebook: Kosinski und sein Team können inzwischen Menschen allein anhand des Porträtfotos den Ocean-Kriterien zuordnen. Oder anhand der Anzahl unserer Social-Media-Kontakte (ein guter Indikator für Extraversion). Aber wir verraten auch etwas über uns, wenn wir offline sind. Der Bewegungssensor zeigt zum Beispiel, wie schnell wir das Telefon bewegen oder wie weit wir reisen (korreliert mit emotionaler Instabilität). Das Smartphone, stellt Kosinski fest, ist ein gewaltiger psychologischer Fragebogen, den wir konstant bewusst und unbewusst ausfüllen. Vor allem aber, und das ist wichtig zu verstehen, funktioniert es auch umgekehrt: Man kann nicht nur aus Daten psychologische Profile erstellen, man kann auch umgekehrt nach bestimmten Profilen suchen – etwa: alle besorgten Familienväter, alle wütenden Introvertierten. Oder auch: alle unentschlossenen Demokraten. Was Kosinski genau genommen erfunden hat, ist eine Menschensuchmaschine.

Immer deutlicher erkennt Kosinski das Potenzial – aber auch die Gefahr seiner Arbeit.

Das Netz erschien ihm immer wie ein Geschenk des Himmels. Er will ja eigentlich zurückgeben, teilen, sharen. Daten sind kopierbar, sollen doch alle etwas davon haben. Es ist der Geist einer ganzen Generation, der Beginn eines neuen Zeitalters ohne die Grenzen der physischen Welt. Aber was passiert, fragt sich Kosinski, wenn jemand seine Menschensuchmaschine missbraucht, um Menschen zu manipulieren? Er beginnt, alle seine wissenschaftlichen Arbeiten mit Warnungen zu versehen. Mit seinen Methoden könnten «das Wohlergehen, die Freiheit oder sogar das Leben von Menschen bedroht» werden. Aber niemand scheint zu verstehen, was er meint.

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In dieser Zeit, Anfang 2014, tritt ein junger Assistenzprofessor namens Aleksandr Kogan an Kosinski heran. Er habe eine Anfrage eines Unternehmens, das sich für Kosinskis Methode interessiere und Zugang haben wolle zu den MyPersonality-Daten. Zu welchem Zweck, das könne er nicht sagen, es gebe strenge Geheimhaltungsauflagen. Kosinski will erst zusagen, es geht um sehr viel Geld für sein Institut, zögert dann aber. Schliesslich rückt Kogan mit dem Namen der Firma heraus: SCL – Strategic Communications Laboratories. Kosinski googelt die Firma: «Wir sind eine weltweit agierende Wahl-Management-Agentur», liest er auf der Unternehmenswebsite. SCL bieten Marketing auf Basis eines psychologischen Modells. Schwerpunkt: Wahlbeeinflussung. Wahlbeeinflussung? Verstört klickt sich Kosinski durch die Seiten. Was ist das für eine Firma? Und was haben diese Leute vor?

Was Kosinski zu diesem Zeitpunkt nicht weiss: Hinter SCL verbirgt sich ein kompliziertes Firmenkonstrukt mit diverse Ablegern – wie die Panama Papers und Grundbucheinträge in England und Delaware, USA zeigen. Manche haben bei Wahlen mitgewirkt in der Ukraine oder Nigeria, andere haben das nepalesische Königshaus gegen Rebellen unterstützt, wieder entwickelten für die Nato Methoden zur psychologischen Manipulation der Bevölkerung in Afghanistan und Osteuropa. Und 2013 entstand aus SCL heraus eine neue Firma: Cambridge Analytica.

Kosinski weiss davon nichts, aber er ahnt Ungutes. «Die Sache begann zu stinken», erinnert er sich. Bei seinen Nachforschungen entdeckt er, dass Aleksandr Kogan heimlich eine Firma registriert hat, die mit SCL Geschäfte macht. Aus einem Bericht des Guardian und aus einem Dokument, das dem «Magazin» vorliegt, geht hervor, dass SCL Kosinskis Methode durch Kogan kennenlernte. Plötzlich dämmert Kosinski, dass Kogan sein Ocean-Modell kopiert oder nachgebaut haben könnte, um es der Wahlbeeinflussungsfirma zu verkaufen. Sofort bricht er den Kontakt zu ihm ab und informiert den Institutsleiter. Innerhalb der Universität entfacht sich ein komplizierter Konflikt. Das Institut sorgt sich um seinen Ruf. Aleksandr Kogan zieht erst einmal nach Singapur, heiratet und nennt sich fortan Dr. Spectre. Michal Kosinski wechselt an die Stanford University in den USA.

Ein Jahr lang ist es ziemlich ruhig, dann, im November 2015, verkündet die radikalere der beiden Brexit-Kampagnen, «leave.eu», getragen von Nigel Farage, sie habe eine Big-Data-Firma beauftragt, ihren Wahlkampf online zu unterstützen: Cambridge Analytica. Kernkompetenz der Firma: neuartiges Politmarketing, sogenanntes Mikrotargeting – auf Basis des psychologischen Ocean-Modells.

Kosinski bekommt Mails, was er damit zu tun habe – bei den Stichworten Cambridge, Ocean und Analytics denken viele zuerst an ihn. Zum ersten Mal hört er von der Firma. Entsetzt schaut er auf die Website. Ist sein Albtraum wahr geworden, wird seine Methodik im grossen Stil für politische Zwecke eingesetzt? Nach dem Brexit im Juli prasseln Beschimpfungen auf ihn ein: Schau nur, was du getan hast, schreiben Freunde und Bekannte. Überall muss Kosinski erklären, dass er mit dieser Firma nichts zu tun hat. (Es ist unklar, wie tief Cambridge Analytica in die Brexit-Kampagne involviert war).

Erst Brexit, dann Trump

Zehn Monate später. Es ist der 19. September 2016, die US-Wahl rückt näher. Gitarrenriffs erfüllen den dunkelblauen Saal des New Yorker Grand Hyatt Hotels, Creedence Clearwater Revival: «Bad Moon Rising». Der Concordia Summit ist eine Art Weltwirtschaftsforum in Klein. Entscheidungsträger aus aller Welt sind eingeladen, unter den Gästen befindet sich auch Bundesrat Schneider-Ammann. «Bitte heissen Sie Alexander Nix, Chief Executive Officer von Cambridge Analytica, willkommen», verkündet eine sanfte Frauenstimme aus dem Off. Ein schlanker Mann im dunklen Anzug betritt die Bühnenmitte. Es herrscht gebannte Stille. Viele hier wissen: Das ist Trumps neuer Digital-Mann. «Bald werden Sie mich Mr. Brexit nennen», hatte Trump einige Wochen zuvor etwas kryptisch getwittert. Politikbeobachter hatten zwar auf die inhaltliche Ähnlichkeit zwischen Trumps Agenda und jener des rechten Brexit-Lagers verwiesen. Die wenigsten aber hatten den Zusammenhang mit Trumps kürzlichem Engagement einer weithin unbekannten Marketingfirma bemerkt: Cambridge Analytica.

Trumps Digitalkampagne hatte davor mehr oder minder aus einer Person bestanden: Brad Parscale, einem Marketingunternehmer und gescheiterten Start-up-Gründer, der Trump für 1500 Dollar eine rudimentäre Website aufgebaut hatte. Der 70-jährige Trump ist kein Digitaltyp, auf seinem Arbeitstisch steht nicht einmal ein Computer. So etwas wie eine E-Mail von Trump gibt es nicht, hat seine persönliche Assistentin einmal verraten. Sie selber habe ihn zum Smartphone überredet – von dem aus er seither unkontrolliert twittert.

Hillary Clinton hingegen verliess sich auf das Erbe des ersten Social-Media-Präsidenten, Barack Obama. Sie hatte die Adresslisten der Demokratischen Partei, arbeitete mit der führenden Big-Data-Bude «BlueLabs» und bekam Unterstützung von Google und DreamWorks. Als im Juni 2016 bekannt wurde, dass Trump Cambridge Analytica angeheuert hatte, rümpfte man in Washington die Nase. Ausländische Gecken in Massanzügen, die Land und Leute nicht verstehen? Seriously?

«Es ist mein Privileg, vor Ihnen, verehrte Zuhörer, über die Macht von Big Data und der Psychografie im Wahlkampf zu sprechen.» Hinter Alexander Nix erscheint das Logo von Cambridge Analytica – ein Gehirn, zusammengesetzt aus ein paar Netzwerkknoten, wie eine Landkarte. «Vor ein paar Monaten war Cruz noch einer der weniger beliebten Kandidaten», sagt der blonde Mann mit diesem britischen Zungenschlag, der Amerikanern dasselbe Gefühl einjagt wie vielen Schweizern Hochdeutsch, «nur 40 Prozent der Wähler kannten seinen Namen.» Ende 2014 war Cambridge Analytica in den US-Wahlkampf eingestiegen, zunächst als Berater der Republikaner Ben Carson und Ted Cruz, finanziert vom verschwiegenen US-Softwaremilliardär Robert Mercer.

«Wie also hat er das geschafft?», fährt Nix fort. Bisher, so Nix, seien Wahlkampagnen nach demografischen Konzepten geführt worden, «eine lächerliche Idee, wenn Sie drüber nachdenken: Alle Frauen erhalten die gleiche Nachricht, bloss weil sie das gleiche Geschlecht haben – oder alle Afroamerikaner, wegen ihrer Rasse?»

Obwohl das stimmen mag, ist Cambridge Analyticas Rolle in der Cruz-Kampagne nicht unumstritten. Im Dezember 2015 führte Cruz Team ihren Erfolg zurück auf die psychologische Auswertung und Analyse von Big Data. In Advertising Age, einer Fachzeitschrift, sagte ein Mitarbeiter, die Cambridge-Leute seien «wie ein fünftes Rad am Wagen», ihr Kernprodukt aber – das Wähler-Daten-Modell – sei «exzellent.» Cambridge Analytica erhielt mindestens 5,8 Millionen Dollar, um potentielle Wähler in Iowa zu identifizieren, eine Vorwahl die Cruz gewann, bevor er im Mai 2016 aus dem Rennen ausschied.

Nix klickt weiter zur nächsten Folie: fünf verschiedene Gesichter, jedes Gesicht entspricht einem Persönlichkeitsprofil. Es ist das Ocean-Modell. «Wir bei Cambridge Analytica», sagt Nix, «haben ein Modell entwickelt, das die Persönlichkeit jedes Erwachsenen in den USA berechnen kann.» Jetzt ist es absolut still im Saal. Der Erfolg des Marketings von Cambridge Analytica beruhe auf der Kombination dreier Elemente: psychologische Verhaltensanalyse nach dem Ocean-Modell, Big-Data-Auswertung und Ad-Targeting. Ad-Targeting, das ist personalisierte Werbung, also Werbung, die sich möglichst genau an den Charakter eines einzelnen Konsumenten anpasst.

«Für einen ängstlichen Menschen mit hohen Neurotizismus-Werten verkaufen wir die Waffe als Versicherung.»

Alexander Nix

Nix erklärt grossspurig, wie seine Firma das macht. Aus allen möglichen Quellen kauft Cambridge Analytica persönliche Daten: Grundbucheinträge, Bonuskarten, Wählerverzeichnisse, Clubmitgliedschaften, Zeitschriftenabonnements, medizinische Daten. Nix zeigt die Logos global tätiger Datenhändler wie Acxiom und Experian – in den USA sind quasi alle persönlichen Daten käuflich zu erwerben. Wenn man wissen will, wo zum Beispiel jüdische Frauen wohnen, kann man diese Informationen einfach kaufen. Inklusive Telefonnummern. Nun kreuzt Cambridge Analytica diese Zahlenpakete mit Wählerlisten der Republikanischen Partei und Onlinedaten wie Facebook-Likes – dann errechnet man das Ocean-Persönlichkeitsprofil: Aus digitalen Fussabdrücken werden plötzlich reale Menschen mit Ängsten, Bedürfnissen, Interessen – und mit einer Wohnadresse.

Das Vorgehen ähnelt den Modellen, die Michal Kosinski entwickelt hatte. Auch Cambridge Analytica verwendet IQ-Quiz und andere kleine Ocean-Test-Apps, um an die aussagekräftigen Facebook-Likes von Usern zu gelangen. Und Cambridge Analytica macht genau das, wovor Kosinski gewarnt hatte: «Wir haben Psychogramme von allen erwachsenen US Bürgern – 220 Millionen Menschen», prahlt Nix und öffnet den Screenshot, «so sehen unsere Kontrollzentren aus. Lassen Sie mich zeigen, was wir damit tun.» Ein digitales Cockpit erscheint. Links Diagramme, rechts eine Karte von Iowa, wo Cruz überraschend viele Stimmen im Vorwahlkampf gesammelt hatte. Darauf Hunderttausende kleiner Punkte, rot und blau. Nix grenzt die Kriterien ein: Republikaner – die blauen Punkte verschwinden; «noch nicht überzeugt» – wieder verschwinden Punkte; «männlich» und so weiter. Am Schluss erscheint ein einzelner Name, darunter Alter, Adresse, Interessen, politische Neigung. Wie bearbeitet Cambridge Analytica nun eine solche Person mit politischen Botschaften?

Nix zeigt am Beispiel des Waffengesetzes zwei Versionen, wie man psychografisch durchleuchtete Wähler ansprechen kann: «Für einen ängstlichen Menschen mit hohen Neurotizismus-Werten verkaufen wir die Waffe als Versicherung. Sehen Sie links das Bild dazu: die Hand eines Einbrechers, die eine Scheibe einschlägt.» Die rechte Seite zeigt einen Mann und ein Kind im Sonnenuntergang, beide mit Flinten in einem Feld, offensichtlich bei der Entenjagd: «Das ist für konservative Typen mit hoher Extraversion.»

Wie man Clinton-Wähler von der Urne fernhält

Trumps auffällige Widersprüche, seine oft kritisierte Haltungslosigkeit und die daraus resultierende ungeheure Menge an unterschiedlichen Botschaften entpuppen sich plötzlich als sein grosser Vorteil: Jedem Wähler seine Botschaft. «Trump agiert wie ein perfekt opportunistischer Algorithmus, der sich nur nach Publikumsreaktionen richtet», notiert bereits im August die Mathematikerin Cathy O'Neil. Am Tag der dritten Präsidentschaftsdebatte zwischen Trump und Clinton testete Trumps Team 175 000 verschiedene Variationen seiner Argumente, vor allem via Facebook. Die Botschaften unterscheiden sich meist nur in mikroskopischen Details, um den Empfängern psychologisch optimal zu entsprechen: verschiedene Titel, Farben, Untertitel, mit Foto oder mit Video. Die Feinkörnigkeit der Anpassung geht hinunter bis zu Kleinstgruppen, erklärt Nix im Gespräch mit «Das Magazin». «Wir können Dörfer oder Häuserblocks gezielt erreichen. Sogar Einzelpersonen.» In Miamis Stadtteil Little Haiti versorgte Trumps Team Einwohner mit Nachrichten über das Versagen der Clinton-Stiftung nach dem Erdbeben in Haiti – um sie davon abzuhalten, Clinton zu wählen. Das ist eines der Ziele: potenzielle Clinton-Wähler – hierzu gehören zweifelnde Linke, Afroamerikaner, junge Frauen – von der Urne fernzuhalten, ihre Wahl zu «unterdrücken», wie ein Trump-Mitarbeiter Bloomberg wenige Wochen vor der Wahl erzählt. In sogenannten dark posts, das sind gekaufte Facebook-Inserate in der Timeline, die nur User mit passendem Profil sehen können, werden zum Beispiel Afroamerikanern Videos zugespielt, in denen Hillary Clinton schwarze Männer als Raubtiere bezeichnet.

«Meine Kinder», beendet Nix seinen Vortrag am Concordia Summit, «werden sich so etwas wie ein Werbeplakat mit der gleichen Nachricht für alle, ja das ganze Konzept eines Massenmediums, nicht mehr erklären können. Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit und kann Ihnen sagen, dass wir mittlerweile für einen der beiden verbliebenen Kandidaten arbeiten.» Dann verlässt er die Bühne.

Wie gezielt die amerikanische Bevölkerung bereits in diesem Moment von Trumps digitalen Truppen massiert wird, ist nicht erkennbar – weil sie selten breit im Mainstream-TV attackieren, sondern meist personalisiert auf Social Media oder im Digitalfernsehen. Und während sich das Clinton-Team auf Basis demografischer Hochrechnungen in Sicherheit wiegt, entsteht in San Antonio im Sitz der Trump-Digitalkampagne ein «zweites Hauptquartier», wie Bloomberg-Journalist Sasha Issenberg nach einem Besuch überrascht notiert. Das Cambridge-Analytica-Team, angeblich nur ein Dutzend Leute, hatte im Juli von Trump etwa 100 000 Dollar erhalten, im August bereits 250 000 Dollar, fünf Millionen im September. Insgesamt, so sagt Nix, habe man etwa 15 Millionen Dollar eingenommen.

Und die Massnahmen sind radikal: Ab Juli 2016 wird für Trump-Wahlhelfer eine App bereitgestellt, mit der sie erkennen können, welche politische Einstellung und welchen Persönlichkeitstyp die Bewohner eines Hauses haben. Wenn Trumps Leute an der Tür klingeln, dann nur bei jenen, die die App als empfänglich für seine Botschaften einstuft. Die Wahlhelfer haben auf den Persönlichkeitstyp des Bewohners angepasste Gesprächsleitfaden bereit. Die Reaktion wiederum geben die Wahlhelfer in die App ein – und die neuen Daten fliessen zurück in den Kontrollraum von Cambridge Analytica.

Es ist also keineswegs so, wie oft behauptet wird, dass die Statistiker diese Wahl verloren haben, weil sie mit ihren Polls so danebenlagen. Das Gegenteil ist richtig: Die Statistiker haben die Wahl gewonnen. Aber nur jene mit der neuen Methode.

Auch das ist nichts neues. Die Demokraten unternehmen ähnliches, aber es gibt keine Hinweise darauf, dass sie ebenfalls psychometrisches Profiling nutzen. Cambridge Analytica hingegen unterteilt die US-Bevölkerung in 32 Persönlichkeitstypen, man konzentriert sich nur auf 17 Staaten. Und wie Kosinski festgestellt hatte, dass Männer, die MAC Cosmetic liken, sehr wahrscheinlich schwul sind, fand Cambridge Analytica heraus, dass eine Vorliebe für US-gefertigte Autos das beste Anzeichen für mögliche Trump-Wähler ist. Unter anderem solche Erkenntnisse zeigen nun Trump, welche Botschaften ziehen und wo genau am besten. Die Entscheidung, dass er sich in den letzten Wochen auf Michigan und Wisconsin konzentriert, geschieht auf Basis einer Datenauswertung. Der Kandidat wird zum Umsetzungsinstrument eines Modells.

Cambridge Analytica war natürlich nicht der alleinige Grund für Trumps Wahlsieg. Aber wie gross war der Einfluss der psychometrischen Methoden auf den Ausgang der Wahl? Cambridge Analytica will auf Anfrage keine Belege für die Wirksamkeit der Kampagne liefern. Und es ist gut möglich, dass die Frage nicht zu beantworten ist. Und doch gibt es Anhaltspunkte: Da ist Ted Cruz' überraschender Aufstieg in den Primaries. Da ist die Zunahme der ländlichen Wählerschaft. Da ist der Rückgang der Stimmenabgabe durch Afroamerikaner. Auch der Umstand, dass Trump so wenig Geld ausgab, könnte sich mit der Effektivität persönlichkeitsbasierter Werbung erklären. Und auch, dass er drei Viertel seines Marketingbudgets in den Digitalbereich steckte. Facebook erwies sich als die ultimative Waffe und der beste Wahlhelfer, wie Nix erklärte und mehrere Trump-Mitarbeiter twitterten.

Es ist also vielleicht gar nicht so, wie oft behauptet wird, dass die Statistiker diese Wahl verloren haben, weil sie mit ihren Polls so danebenlagen. Was, wenn die Statistiker die Wahl gewannen – aber nur jene mit der neuen Methode? Es ist ein Treppenwitz der Geschichte, dass Trump, der oft über die Wissenschaft schimpfte, sich in seiner Wahlkampagne einer hochwissenschaftlichen Methode bediente.

Ein anderer grosser Gewinner heisst Cambridge Analytica. Ihr Vorstandsmitglied Steve Bannon, Herausgeber der ultrarechten Onlinezeitung «Breitbart News», wurde zu Donald Trumps Chefstrategen ernannt. Cambridge Analytica behauptet, einen weltweit wachsenden Kundenstamm aufzubauen mit Anfragen aus der Schweiz, Deutschland und Österreich.

All das hat Kosinski von seinem Büro in Stanford aus beobachtet. Nach der US-Wahl steht die Universität kopf. Kosinski antwortet auf die Entwicklungen mit der schärfsten Waffe, die einem Forscher zur Verfügung steht: mit einer wissenschaftlichen Analyse. Zusammen mit seiner Forscherkollegin Sandra Matz hat er eine Reihe von Tests durchgeführt, die bald veröffentlicht werden sollen. Erste Ergebnisse sind beunruhigend: Persönliches Targeting kann die Klickraten von Facebook-Anzeigen um über 60 Prozent steigern und die sogenannte Conversion-Rate um bis zu 1400 Prozent, wenn Werbung und Produkt der Persönlichkeitsstruktur des Konsumenten angepasst sind.

In einem Statement nach der Veröffentlichung dieses Artikel sagte ein Sprecher von Cambridge Analytica: «Cambridge Analytica does not use data from Facebook. It has had no dealings with Dr. Michal Kosinski. It does not subcontract research. It does not use the same methodology. Psychographics was hardly used at all. Cambridge Analytica did not engage in efforts to discourage any Americans from casting their vote in the presidential election. Its efforts were solely directed towards increasing the number of voters in the election.»

Die Welt hat sich gedreht. Die Briten verlassen die EU, in Amerika regiert Donald Trump. Und in Stanford erhält der Mann, der eigentlich vor einer Gefahr warnen wollte, wieder anklagende Mails. «Nein», sagt Kosinski leise und schüttelt den Kopf, «das hier ist nicht meine Schuld. Ich habe die Bombe nicht gebaut. Ich habe nur gezeigt, dass es sie gibt.»

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Bei dieser Fassung handelt es sich um eine überarbeitete Version des Originaltextes, die im Januar 2017 auch in englischer Sprache auf motherboard.vice.com veröffentlicht wurde.