Verklärte Digitalisierung oder Kennen Sie das Gerät, das Ping macht?

In der Medizin gibt es derzeit keinen Kongress, auf dem nicht das Hohelied auf Digitalisierung, künstliche Intelligenz und Robotik gesungen würde. Kritik unerwünscht.

Ronald D. Gerste
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(Illustration: Pascal Staub)

(Illustration: Pascal Staub)

In der wöchentlichen Rubrik «Hauptsache, gesund» werfen die Autorinnen und Autoren einen persönlichen Blick auf Themen aus Medizin, Gesundheit, Ernährung und Fitness.

Zu den unvergesslichen Szenen in «Der Sinn des Lebens», dem Klassiker der britischen Komikertruppe Monty Python, gehört der Einmarsch einer Gruppe von Ärzten in den OP-Saal. Er wird von vielen Geräten begleitet, die auf dem Weg zu ihrem Einsatzort an der Kamera vorbeidefilieren. Die in grüner OP-Kleidung gewandeten Mediziner sind erkennbar stolz auf diese Hightech-Parade, am allermeisten auf «das Gerät, das Ping macht». Zu diesem Apparat hält der Klinikleiter eine Rede, in der es um die finanziellen Vorzüge der Innovation geht.

Der neue Gral

In dem Sketch, der in einer gynäkologischen Abteilung spielt, gibt es auch eine Patientin. Die Ärzte finden sie nach einigem Suchen hinter der Galerie der Maschinen. Das «Gerät, das Ping macht», so wird der Frau versichert, zeige an, ob das von ihr zu gebärende Kind am Leben sei. Auf die Frage der Patientin, was sie beim Geburtsakt zu tun habe, antwortet der «Chefarzt» John Cleese: «Nothing dear, you're not qualified!»

Die berühmte Komödie stammt aus den frühen 1980er Jahren, als sich die Spitäler einen Wettlauf lieferten, wer die imposanteren Errungenschaften der Medizintechnik anbieten kann. Etwas Vergleichbares spielt sich derzeit ab. Es gibt kaum einen Kongress, an dem es nicht um Digitalisierung und künstliche Intelligenz geht. Der Tenor der Vorträge ist – unabhängig von der medizinischen Disziplin – stets der gleiche: Es wird kommen, und wir (die Schweiz, Deutschland oder Österreich) hinken hinter den anderen (mal sind es die USA, mal ist es Estland) hinterher. Es ist so viel besser für die Patienten, und es nimmt dem Arzt so viel Arbeit ab. Und es ist absolut sicher.

Wer aus dem Publikum eine kritische Frage stellt, kann mit einem abschätzigen Lächeln des Referenten (ja, es sind meist Männer), der gerade zum Thema «Gefässchirurgie 2.0», «Diabetologie 3.0» oder «Ophthalmologie 4.0» gesprochen hat, rechnen. Die Digitalisierung und deren Nutzen zu hinterfragen, ist ja so yesteryear! Und so geht über Mediziner und Allgemeinbevölkerung eine Welle der Lobpreisung nieder.

Ein Roboter im Schwestern-Dress trägt in einem Spital in Bangkok medizinische Dokumente. (Bild: Athit Perawongmetha / Reuters)

Ein Roboter im Schwestern-Dress trägt in einem Spital in Bangkok medizinische Dokumente. (Bild: Athit Perawongmetha / Reuters)

Pflegeroboter richten Pillen an

In dieser Logik geht es künftig nicht ohne die digitale Krankenakte und das Uploading der Untersuchungsbefunde auf eine Cloud. Diese Befunde werden laut den Verkündern der schönen neuen Welt auch nicht mehr vom Arzt oder der Ärztin erhoben. Die Logarithmen der KI sind schliesslich lernfähig. Hat man sie mit genügend Bildern eines Augenhintergrunds oder von EKG-Kurven gefüttert, kann sie selbständig die Diagnose einer diabetischen Netzhautveränderung oder einer Herzkrankheit stellen. Brauchen wir dann überhaupt noch die teuer ausgebildeten Fachärzte?

Finanzielle Einsparungen bei der Betreuung durch Fachleute scheinen ein nicht offen artikuliertes Ziel der Digitalisierung und ihrer Schwester, der Robotik, zu sein. Im Hamburger Universitätsklinikum richtet bereits ein Computer-KI-Roboter-Hybrid die Tabletten für die Patienten. Es sind auch Roboter, die dem Patienten die Tabletten bringen und selbständig Container mit Spritzen, Tupfer, Bettwäsche, Handtüchern und Tabletten auffüllen. Auch in der Schweiz sind die ersten Pflegeroboter aufgetaucht. Erschaffen wir also Spitäler, in denen sich der Patient mit der Maschine und nicht mehr mit der Schwester oder dem Pfleger austauscht? Monty Python lässt grüssen.

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