GI-Radar 208: Unfall- oder Datenschutz

 

Sehr geehrte Leserinnen und Leser,

Informatiker tragen in unserer digitalisierten Gesellschaft viel Verantwortung. Dies wird am Beispiel des „Schutzranzens“ (Thema im Fokus) wieder einmal deutlich. Wir müssen uns heute also nicht nur mit technischen, sondern auch mit ethischen Fragestellungen auseinandersetzen. Ausführlich behandeln werden wir dieses Thema in der nächsten Ausgabe des GI-Radars. Schon jetzt können Sie aber die neuen ethischen Leitlinien der GI kommentieren (GI-Meldungen).

Viel Spaß mit der Lektüre dieser Ausgabe!

auf gi-radar.de weiterlesen

OpenSchufa + Koalitionsvertrag + Digitalministerium + Alterserkennung durch Wischen + Schutzranzen + Ethische Leitlinien der GI + Jugendwettbewerb Informatik + Rul Gunzenhäuser gestorben + GI-Präsident zum Bundesclient + Git für Einsteiger

KURZMITTEILUNGEN

Projekt OpenSchufa (Heise). Wie funktionieren die geheim gehaltenen Algorithmen, mit denen die Schufa ihren (auch Ihren) Bonitätsscore ermittelt? Das Projekt OpenSchufa hat es sich zum Ziel gesetzt, Licht ins Dunkel zu bringen. Dazu soll man bei der Schufa eine Selbstauskunft einholen und diese an die Initiatoren des Projekts schicken. Ein kontroverser Ansatz, der in Zukunft auch auf andere datenbasierte Dienste übertragen werden könnte.  weiterlesen

IT-Sicherheit im Koalitionsvertrag (Netzpolitik). Was der Entwurf des Koalitionsvertrages zu diesem Thema sagt, ist viel zu unkonkret, analysiert Netzpolitik-Autorin Anna Biselli. Darüber hinaus werden den Autoren des Vertrags mangelnde Transparenz und zu viele Interessenskonflikte vorgeworfen.  weiterlesen

Wirtschaftsverbände fordern Digitalminister (Zeit). Was beginnt wie eine Stellenanzeige, ist eine Petition einer ganzen Reihe von IT-Verbänden. Sie kritisieren, dass das Thema Digitalisierung in zu vielen Händen liegt und deshalb nur unzureichend vorangetrieben werden kann. Hier soll ein eigenes Ressort Abhilfe schaffen.   weiterlesen

Alterserkennung für Smartphone-Nutzer (Technology Review). Wissenschaftler haben ein neues Verfahren vorgestellt, mit dem ein Smartphone anhand des Wisch-Verhaltens herausfinden kann, ob es von einem Kind oder einem Erwachsenen bedient wird. Dadurch könnten Apps, die nicht altersgerecht sind, automatisch gesperrt werden.  weiterlesen

THEMEN IM FOKUS

Schutzranzen: Unfallschutz oder Datenschutz? Die Idee des Start-ups Coodriver GmbH klingt auf den ersten Blick sinnvoll: Kinder installieren eine spezielle Schutzranzen-App auf ihrem Handy oder legen einen speziellen GPS-Tracker in ihren Schulranzen. Dadurch können sie auf wenige Meter genau geortet werden. Das soll die Sicherheit der Kinder verbessern: Eltern wissen darüber Bescheid, wo sich ihre Kinder befinden, und vorbeifahrende Autofahrer können gewarnt werden, etwa wenn ein Kind hinter parkenden Autos oder Büschen verborgen ist und sich einem Auto nähert. Autofahrer und später autonome Fahrzeuge bekommen dadurch mehr Zeit zu reagieren (Projektseite).

Das Projekt Schutzranzen wirft einige grundsätzliche Fragen auf, insbesondere die, wie wir in Zukunft leben wollen. Auf den Schutzranzen für Kinder könnten Schutzaktentaschen für Erwachsene und Schutzrollatoren für ältere Menschen folgen. Verschiedene Aspekte gilt es dabei abzuwägen: Die Unfallvermeidung, die Privatsphäre des Kindes, Datenschutz, die IT-Sicherheit, unsere Zukunft.

Unfallvermeidung. Unfallvermeidung ist unbestritten ein erstrebenswertes Ziel. Das Projekt Schutzranzen kann dieses Ziel aber nur dann erreichen, wenn eine kritische Masse von Autofahrern und Kindern daran teilnimmt. Andererseits: Würden sich tatsächlich fast alle Kinder und Autos dem Projekt anschließen, könnte das einerseits zum Nachteil für die teilnehmenden Kinder werden, die sich fälschlicherweise darauf verlassen, dass sie von allen Verkehrsteilnehmern bemerkt werden. Andererseits kann es zum Nachteil der nicht teilnehmenden Kinder werden, die von den Autofahrern dann möglicherweise eher übersehen werden.

Dementsprechend stellt sich die Frage, ob dieser Ansatz zielführend ist. Möglicherweise gibt es Alternativen, die ohne Tracking auskommen, etwa eine Verbesserung der Sensorik in den Autos oder am Straßenrand – davon würden am Ende alle profitieren.

Die Privatsphäre des Kindes. In Deutschland ist es verboten, Kinder mit Alltagsgegenständen auszuspionieren, die nicht als Kamera zu erkennen sind. So wurde 2006 ein Teddybär verboten, der mit Kamera und Mikrofon ausgestattet Kinder filmte und belauschte (Spiegel).Die Polizei kann zudem schon heute ein Kind im Notfall anhand seines Handys orten. Das Konzept Schutzranzen spielt mit den Ängsten besorgter Eltern. Müssen Eltern ihr Kind aber wirklich jederzeit auf Schritt und Tritt überwachen können?

Datenschutz. Wie viele andere Projekte verspricht die Projektseite großspurig 100% Datenschutz durch Verschlüsselung und Anonymisierung. Wie so oft stellt sich auf Nachfrage allerdings heraus, dass es im Detail Anlass zur Kritik gibt. Es gibt Hinweise darauf, dass die umfangreichen erobenen Daten nicht in Deutschland bleiben (digitalcourage).

IT-Sicherheit. Ein Projekt wie der Schutzranzen hat hohe Anforderungen an die IT-Sicherheit. Gerade die zentral vorgehaltene Datenbank mit den Positionsdaten stellt ein lukratives Ziel dar. Es wird nicht klar, welche Maßnahmen die Initiatoren hierzu ergriffen haben. Große und kleine Anbieter (auch von Babyfonen) waren in der Vergangenheit Opfer eines Datenlecks geworden. Im Falle des Schutzranzens könnten Angreifern dadurch die aktuellen Positionen einer Vielzahl von Kindern in die Hände fallen.

Wie geht es weiter? Die Stadt Wolfsburg ist bereits aus dem Projekt wieder ausgestiegen (Heise). In Ludwigsburg will man das Projekt hingegen umsetzen. Die App wurde bereits mehrere tausend Mal heruntergeladen. Wollen wir in einer Zukunft leben, in der nicht nur alle Dinge ständig vernetzt sind, sondern auch jeder Mensch?

Das Thema im Fokus hat GI-Präsidiumsmitglied Andrea Herrmann geschrieben. Vielen Dank!

Alle Leser des GI-Radars können ein solches „Thema im Fokus“ beitragen. Schicken Sie uns Ihre Ideen an redaktion@gi-radar.de und wir stimmen die Details mit Ihnen ab.

GI-MELDUNGEN

Ethische Leitlinien: Kommentare erwünscht! Die GI hat seit vielen Jahren Ethische Leitlinien, die regelmäßig überarbeitet werden. Dieses Mal möchten wir Sie – die GI-Mitglieder – involvieren. Wir bitten Sie um kritische Durchsicht, Ihre Ideen und Kommentare zum vorliegenden Entwurf.  weiterlesen

Jugendwettbewerb Informatik. Am 26. Februar startet der Jugendwettbewerb Informatik, eines der Formate für die Informatikbildung, deren Träger unter anderem die GI ist. Ohne Programmiererfahrung können sich Kinder hier in einer bausteinorientierten Umgebung ausprobieren und erste Erfahrungen sammeln.  weiterlesen

GI-Fellow Rul Gunzenhäuser gestorben. Am 14. Februar 2018 ist Prof. Rul Gunzenhäuser gestorben. Im Jahr 2003 wurde er von der GI unter anderem für seine Verdienste um die Weiterentwicklung der Informatikausbildung zum Fellow ernannt.  weiterlesen

GI-Präsident im Interview. GI-Präsident Hannes Federrath äußert sich im Interview des Deutschlandfunks zur Entwicklung eines sog. Bundesclients. Nachzuhören im Podcast.  weiterlesen

FUNDSTÜCK

Interaktives Tutorial: Git für Einsteiger. Kennen Sie das? Presentation.pptx, Presentation2.pptx, Presentation2-Entwurf.pptx, Presentation3-final.pptx, Presentation3-final-FINAL.pptx… Um dem drohenden Chaos zu entrinnen, setzen Software-Entwickler seit jeher Versionskontrollsysteme wie Git ein. Git ist für Einsteiger allerdings schwer zu durchschauen. Es gibt zwar erstklassige Bücher, aber die Materie ist trocken. Zudem fällt es schwer, das dort Beschriebene parallel am Rechner nachzuvollziehen. Dies ändert sich vielleicht mit unserem Fundstück, das Lennard Hildebrandt im Rahmen seiner (ebenfalls sehr sehenswerten) Bachelorarbeit an der Fachhochschule Potsdam erstellt hat.   Interaktive Einführung mit Link zur Arbeit (github.io)

Welches Fundstück hat Sie zuletzt inspiriert? Senden Sie uns Ihre Vorschläge!

 

Dies war Ausgabe 208 des GI-Radars. Zusammengestellt wurden die Texte von GI-Junior-Fellow Dominik Herrmann, der es charmant fände, wenn die Ethischen Leitlinien der GI auch so ansprechend interaktiv aufbereitet wären. GI-Geschäftsführerin Cornelia Winter hat die GI-Mitteilungen zusammengetragen. Das nächste GI-Radar erscheint am 9. März 2018.

Im GI-Radar berichten wir alle zwei Wochen über ausgewählte Informatik-Themen. Wir sind sehr an Ihrer Meinung interessiert. Für Anregungen und Kritik haben wir ein offenes Ohr, entweder per E-Mail (redaktion@gi-radar.de) oder über das Feedback-Formular bei SurveyMonkey. Links und Texte können Sie uns auch über Twitter (@informatikradar) oder Facebook zukommen lassen.