GI-Radar 212: Bei Facebook nichts Neues

 

Sehr geehrte Leserinnen und Leser,

unser Thema im Fokus ist der Datenskandal um Facebook und Cambridge Analytica, den wir für Sie im GI-Radar noch einmal zusammenfassen. Es handelt sich dabei um den neuesten Fall in einer langen Serie von Verstößen, die das Vertrauen der Nutzer in die Plattform eigentlich erschüttern sollten. Auf öffentliche Empörung folgen auch dieses Mal Unschuldsbeteuerungen und Gelöbnisse sich zu bessern. Geändert hat sich bisher – nichts. Warum sich Nutzer mit dem Austritt schwertun, lesen Sie in den Kurzmitteilungen. Unser Fundstück wird dieses Mal vor allem denjenigen gefallen, die gerne IKEA-Möbel zusammenschrauben.

Auf der GI-Homepage haben Sie weiterhin die Möglichkeit, die Ethischen Leitlinien der GI zu kommentieren (Direktlink). Bitte bringen Sie sich dort in die Diskussion ein! 

Viel Spaß mit der Lektüre dieser Ausgabe!

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KI-Forschung auf dem Irrweg + 50 Jahre Software Engineering + Smartphone-Sucht + alternative Suchmaschinen + Metcalfe's Law + Datenskandal bei Facebook + Technische Informatik: neue GI-Empfehlungen + Junior-Fellows gesucht + Turing-Bus + Digitale Bibliothek + Algorithmen im IKEA-Design

KURZMITTEILUNGEN

Teile der KI-Forschung auf dem Irrweg (SZ, 8 min). Letztes Jahr hatte ein Team um den Psychologen Michal Kosinski für Aufsehen gesorgt. Ihr System konnte angeblich anhand von genetisch bedingten Unterschieden in den Gesichtszügen allein anhand eines Fotos erkennen, ob ein Mensch homo- oder heterosexuell ist. Eine gefährliche Behauptung. Für die Ergebnisse gibt es hingegen eine viel plausiblere Begründung.  weiterlesen

50 Jahre Software Engineering (software-pioneers.com). Konferenz der Pioniere. Im Jahr 2001 veranstaltete die sd&m AG in Bonn eine Konferenz der Software-Pioniere. Jetzt hat die Ernst-Denert-Stiftung die Vorträge und Videos als zeitgeschichtliches Dokument online verfügbar gemacht.  weiterlesen

Smartphone-Nutzung: wann wird sie zur Sucht? (Zeit, 6 min). Nahezu jede/r von uns hat ein Smartphone; in der Bahn schaut kaum mehr jemand in ein Buch. Wie sieht es im Alltag aus und wann wird es warum bedenklich?  weiterlesen

Muss es immer Google sein? (Frankfurter Rundschau). GI-Vizepräsident Alexander von Gernler erläutert den Unterschied zwischen verschiedenen Suchmaschinen und wie man durch die entsprechende Wahl seines Suchwerkzeugs allzu große Datensammelei vermeiden kann.  weiterlesen

Alle schimpfen über Facebook (ZEIT, 10 min). Aber warum geht keiner woanders hin? Das liegt an Metcalfe's Law.  weiterlesen

THEMEN IM FOKUS

Mitte März wurde durch den kanadischen Whistleblower Christopher Wylie in einem Bericht des britischen Guardian bekannt, dass die Datenanalysefirma Cambridge Analytica mehr als 87 Millionen Nutzerdaten von Facebook abschöpfen konnte (Guardian). Die damals erfassten Daten beinhalten neben der Identität, dem Alter, Geschlecht, der Religion, dem Job und den „Likes“ auch Informationen, die Facebook selbst hinzugefügt hatte (Netzpolitik). Die Daten stammen aus einer Anwendung mit dem Namen „thisisyourdigitallife“, welche von 270.000 Personen genutzt worden war. Die meisten Nutzer waren wohl digitale Tagelöhner, sogenannte „Clickworker“, die für ihre Beteiligung eine kleine finanzielle Belohnung bekamen (Wikipedia). Zu diesem Zeitpunkt war es Facebook-Apps noch möglich, nicht nur Informationen über den aktuellen Nutzer, sondern auch die Daten seiner Freunde abzurufen. Insgesamt sammelte die App auf diese Weise Informationen von 87 Millionen Nutzern, darunter 309.815 aus Deutschland (Spiegel). Entwickelt wurde thisisyourdigitallife vom Marktforschungsunternehmen Global Science Research (GSR) unter Leitung von Dr. Aleksandr Kogan (University of Cambridge). Die Daten erreichten schließlich Cambridge Analytica und wurden schlussendlich im US-Wahlkampf und beim Brexit-Votum für die Erstellung von psychologischen Profilen zum sog. Microtargeting verwendet. Dazu wurden die Daten mittels des sogenannten OCEAN-Modells aufbereitet (Wikipedia).

Reaktionen. Facebook wusste seit 2015 von diesem Datenleck. Das Unternehmen verschärfte die API-Zugriffsmöglichkeiten, sperrte den Account von GSR und verlangte, die entsprechenden Daten zu löschen (Facebook). Ob die Löschung tatsächlich erfolgte, wurde offenbar allerdings nicht kontrolliert. Ebenso wenig wurden die betroffenen Nutzer von Facebook darüber informiert, dass ihre Daten an Dritten weitergegeben worden waren. Genau diese Versäumnisse werden dem Unternehmen jetzt vorgeworfen. Um die Rolle der Daten beim Brexit-Votum zu untersuchen, gab es zwischenzeitlich eine Razzia in der Konzernzentrale von Cambridge Analytica (Zeit).

Der Fall zeigt anschaulich den Zielkonflikt, dem Facebook ausgesetzt ist. Auf der einen Seite müsste Facebook den Zugriff auf die Daten streng regulieren, um Missbrauch einzudämmen. Auf der anderen Seite generieren gerade Marketing- und Analysefirmen den Großteil des Umsatzes. Kritiker sehen darin eine zu große Abhängigkeit und fordern deshalb beispielsweise, dass der Dienst stattdessen mit einer monatlichen Gebühr bezahlt werden sollte (Zeit). Die Nutzung von Facebook ist nur auf den ersten Blick kostenlos – letztlich zahlen Nutzer mit ihrem Daten für den Dienst.

Die Kritik ist nicht neu. Debatten über die Datenschutzpraktiken von Facebook gab es schon öfter. In der Vergangenheit wurde mehrfach von Kritikern darauf hingewiesen, dass Facebook datenschutzfeindliche Methoden einsetze. Zu den wichtigeren Fällen, die Aufmerksamkeit erregt haben, zählen:

Der „Gefällt mir“-Button ermöglicht seitenübergreifendes Tracking, welches für „Target Ads“ eingesetzt wird (Technology Review, engl.).

Facebook speichert auch Daten von Nicht-Nutzern (Guardian, engl.).

Übertragung der Nutzerdaten von WhatsApp zu Facebook: Der Instant-Messaging-Dienst WhatsApp wurde 2014 von Facebook übernommen und änderte 2 Jahre nach der Übernahme seine Datenschutzrichtlinie, in der Folge werden Daten von WhatsApp direkt mit Facebook geteilt (Zeit).

Aktivierung einer Software zur Gesichtserkennung mit Opt-Out Funktion, durch die Nutzer automatisch auf Bildern, auf denen sie mutmaßlich abgebildet sind, verlinkt werden, sofern sie dem nicht widersprechen (Focus)

Reaktionen aus der Politik. Facebook zeigt sich nun demütig. Firmengründer und CEO Mark Zuckerburg verkündet auf ganzseitigen Anzeigen in deutschen Zeitungen (Meedia): „Es ist unsere Verantwortung, Deine Informationen zu schützen. Wenn wir das nicht können, haben wir diese Verantwortung nicht verdient.“.

Positiv an der Debatte rund um den Datenskandal bei Facebook und Cambridge Analytica ist, dass der Schutz der Privatsphäre im Internet kurz vor der Anwendung der europäischen Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) im Zentrum der öffentlichen Diskussion steht. Zukünftig drohen Konzernen wie Facebook erhebliche Strafen, wenn sie sich nicht an die europäischen Datenschutzstandards halten.

Des Weiteren hat der Datenskandal auch die Politik auf den Plan gerufen: In den USA musste sich Mark Zuckerberg bereits vom US-Senat befragen lassen (DLF). Auch das EU Parlament möchte Zuckerberg auf Initiative der beiden Grünen Jan Philipp Albrecht und Sven Giegold demnächst befragen (heise). Zudem mehren sich die Forderungen nach Regulierung (Zeit).

Ausblick. In den vergangenen Tagen hat sich abgezeichnet, dass mit einer Ausweitung des Skandals zu rechnen ist. Die britische Ex-Managerin von Cambridge Analytica hat in einer Befragung im britischen Parlament angedeutet, dass bei Cambridge Analytica noch weitere Apps im Einsatz waren, die ebenfalls mit Facebook-Daten gearbeitet haben (FAZ).

Aber wie groß ist der Schaden für Facebook tatsächlich? Auch bei allen bisherigen Skandalen gelobte Mark Zuckerberg Besserung. Und schon wenige Monate später war man wieder beim „business as usual“. Dass es jetzt zu nachhaltigen Änderungen auf der Plattform kommt, etwa zu einem Wechsel des Geschäftsmodells, darf daher bezweifelt werden.

Diesen Bericht hat GI-Junior-Fellow Tim Philipp Schäfers verfasst. Vielen Dank! Themenvorschläge für das Thema im Fokus nehmen wir unter redaktion@gi-radar.de gerne entgegen.

GI-MELDUNGEN

Neue GI-Empfehlungen zur Technischen Informatik. Der Fachbereich Technische Informatik hat neue Empfehlungen für ein Curriculum zum Bachelor- und Masterstudium veröffentlicht. Sie dienen als Leitschnur bei der Ausgestaltung der entsprechenden Studiengänge.  weiterlesen

GI-Junior-Fellows gesucht. Die GI sucht ihre Junior-Fellows 2018. Junior-Fellows sind herausragende junge Leute, die in der GI ein Netzwerk finden, Projekte anstoßen, sich profilieren und einfach ganz nah dran sind an der GI-Arbeit. Gut sichtbare Beispiele sind Alexander von Gernler, mittlerweile im GI-Vorstand, und Dominik Herrmann, Chefredakteur des GI-Radars. Bewerbungsschluss: 30. April.  weiterlesen

Der Turing-Bus geht auf Tour. Im Wissenschaftsjahr 2018 hat die GI gemeinsam mit der Open Knowledge Foundation den Turing-Bus erdacht, der durch Deutschland tourt und jungen Leuten informatische Themen schmackhaft macht. Die erste Station ist am 26. April in Cottbus.  weiterlesen

Digitale Bibliothek der GI startet. Die GI hat nun ein eigenes Portal zur permanenten Veröffentlichung von Publikationen (mit DOI). Mitglieder erhalten Zugriff auf Volltexte, Fachgruppen können das Portal für ihre Veröffentlichungen nutzen.  weiterlesen

FUNDSTÜCK

Algorithmen im IKEA-Design. Wie stellt man Algorithmen anschaulich dar? Diese Frage beschäftigt Lehrerinnen und Lehrer in vielen Schulen und Hochschulen. Eine innovative Form der Darstellung kommt nun von drei Informatikern an der TU Braunschweig. Auf ihrer Seite „IDEA Instructions“ veröffentlichen sie bildliche Darstellungen bekannter Algorithmen im Design der Anleitungen des bekannten schwedischen Möbelhauses. Ganz wie im Original kommen die Erklärungen ohne Sprache aus und sind trotzdem erstaunlich gut verständlich. Die Grafiken liegen als skalierbare SVG-Dateien vor und können gemäß CC BY-SA 4.0 für eigene Zwecke verwendet werden.   Zur Webseite (IDEA Instructions)

Dieses Fundstück kommt von GI-Mitglied Gregor Joeris. Welches Fundstück hat Sie zuletzt inspiriert? Senden Sie uns Ihre Vorschläge!

 

Dies war Ausgabe 212 des GI-Radars. Diese Ausgabe wurde von Dominik Herrmann erstellt, der sich darüber freut, dass er durch das GI-Junior-Fellowship die Möglichkeit bekommen hat, das neue GI-Radar mitzugestalten. Die GI-Mitteilungen hat GI-Geschäftsführerin Cornelia Winter zusammengetragen. Das nächste GI-Radar erscheint am 4. Mai 2018.

Im GI-Radar berichten wir alle zwei Wochen über ausgewählte Informatik-Themen. Wir sind sehr an Ihrer Meinung interessiert. Für Anregungen und Kritik haben wir ein offenes Ohr, entweder per E-Mail (redaktion@gi-radar.de) oder über das Feedback-Formular bei SurveyMonkey. Links und Texte können Sie uns auch über Twitter (@informatikradar) oder Facebook zukommen lassen.